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Würzburg
Tage der Neuen Musik: Ein Ton ist nie nur einfach ein Ton
Sie benutzt Farben, um über ihre Musik zu sprechen. Und manchmal will sie ausdrücklich gar nichts sagen: Einblicke in die Gedankenwelt der Komponistin Rebecca Saunders.
'Musik muss man einfach zulassen': Rebecca Saunders im Gespräch mit Kompositionsprofessor Andreas Dohmen.
Foto: Daniel Peter | "Musik muss man einfach zulassen": Rebecca Saunders im Gespräch mit Kompositionsprofessor Andreas Dohmen.
Elke Tober-Vogt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:00 Uhr

Eine ganz und gar faszinierende Klangwelt tat sich beim Porträtkonzert der Tage der Neuen Musik auf. Es war Rebecca Saunders gewidmet – international hochgeschätzte britische Komponistin, Professorin an der Hochschule für Musik Hannover, soeben ausgezeichnet mit dem mit 250 000 Euro dotierten Ernst von Siemens Musikpreis, der als Nobelpreis für Musik gilt.

Im Gespräch mit dem Würzburger Kompositionsprofessor Andreas Dohmen gibt die 51-Jährige, Composer in Residence beim diesjährigen Festival, Einblicke in ihre Gedankenwelt, Vorstellungskraft und Arbeitsweise. "Musik muss man einfach zulassen", sagt Saunders. Sie müsse keine Bedeutung haben, so ihre Antwort auf die Frage, welche Rolle Texte für sie spielen.

Aber Farben: Durch intensive und langjährige Beschäftigung mit Farblehren sei es ihr gelungen, eine parallele Ausdrucksweise zu entwickeln, um über ihre Musik sprechen zu können. Die Farbe Blau stehe zum Beispiel für Ruhe und Zeitlosigkeit, und in ihrem Werk "Blaauw" habe sie versucht, tatsächlich "nichts zu sagen".

Saunders beschäftigt sich intensiv, ja akribisch mit der Analyse von Klängen

Für dieses Werk und ein weiteres ("White") betritt der niederländische Trompeter Marco Blaauw die Bühne des Kammermusiksaals der Musikhochschule. Blaauw arbeitet seit fast einem Vierteljahrhundert eng mit der Komponistin zusammen, ergründet mit ihr gemeinsam Möglichkeiten, Grenzen und Klangspektren seines ganz besonderen Instruments, der Doppeltrichter-Trompete. Mit dieser ist der Interpret etwa in der Lage, sehr schnell zwischen gedämpften Klängen und "normalem" Schall zu wechseln.

Genau mit dieser Möglichkeit rufen Saunders und Blaauw ungeheure Effekte hervor. Die Töne werden aufgefangen, zurückgeworfen und durch Blaauws Spiel direkt reflektiert vom Resonanzkörper des Flügels. Der Hörer ist in eine Sphärenmusik gehüllt, in einen Kosmos aus Nachklang, Obertönen, oszillierenden Spalttönen, Farben und Geräuschen.

Saunders beschäftigt sich intensiv, ja akribisch mit der Analyse von Klängen. Die Möglichkeiten einzelner Instrumente und Elemente will sie bis zum Kern erforschen, sagt sie. Leider sei "das Leben zu kurz", um zu einem umfassenden Ergebnis zu gelangen.

Die Stille, die Saunders "Leinwand" nennt, ist für die Komponistin essenziell

Ihre kurze "Study - Metal Bottle Necks" für E-Gitarre (Mauricio Galeano) beschränkt sich auf den Einsatz von zweien dieser Metallröhrchen, erzeugt jedoch neben Slides und Vibrationen auch Perkussives und extrem laute Schallereignisse, die an Donner erinnern.

Stark gefordert auch der Pianist Alexander Schimpf: In "Shadow" muss er knackige Cluster in rascher Abfolge und weiten Lagen über die Tastatur werfen, mit stark forcierter Dynamik und Resonanz spielen. Das klingt mal aggressiv und streitbar, mal versöhnlich und sanft. Auf akustische Eskalationen folgen Ruhepunkte; hämmernden Staccati stellt Schimpf Einzeltonakzente gegenüber, bevor das Werk im Nichts erlischt – auch dies, eine Stille, die Saunders "Leinwand" nennt, ist für die Komponistin essenziell.

"Fury II" ist schon am Vorabend beim Eröffnungskonzert im großen Saal erklungen, gespielt vom Ensemble Neue Musik unter der Leitung von Robert HP Platz. Eine unheimliche Bedrohungsatmosphäre baut sich in diesem Werk auf, überrollend urgewaltig. Nicht nur Michinori Bunya am Kontrabass setzt hier den ganzen Körper ein, und Rebecca Saunders erläutert, dass ihr die Körperarbeit, die Beziehung zwischen Musiker und Instrument wichtig ist.

Das Motto "Traces" ruft zur musikalischen Spurensuche auf 

Musikhochschulpräsident Christoph Wünsch hat eingangs von einem herausfordernden Programm gesprochen, bei dem man sich ganz nach Motto von 2019 – "Traces" – auf eine musikalische Spurensuche begeben könne. Die Hochschule, so Wünsch, verstehe sich gleichermaßen als Ausbildungsstätte wie auch als Konzertveranstalter. So würden die Tage der Neuen Musik fachbereichsübergreifend geplant und vorbereitet. 

Den Werken der Gegenwart werden an diesem ersten Abend, der übrigens wie der zweite auch auffällig gut besucht ist,  Chorkompositionen der Renaissance gegenübergestellt. Der Kammerchor der Musikhochschule, zeitweise ergänzt um ein Barockposaunen-Quartett, interpretiert Werke von Guillaume Dufay, Josquin Desprez und Johannes Ockeghem. Unter wechselnder Leitung entfalten die 24 Sängerinnen und Sänger den Zauber der Vokalpolyfonie des 15. Jahrhunderts, schlank und klar, doch auch intensiv und expressiv gesungen, bei bester Diktion und Intonation.

In farbenreichem Fluss entwickelt sich "Plektó" von Iannis Xenakis, pulsierend, mit einigen krachend exponierten Stellen fürs Schlagwerk, dünnen Linien und flächigen Clustern. Morton Feldmans "Viola in My Life" führt mit fein pigmentierter Instrumentation in eine flirrend exotische nächtliche Atmosphäre. Nimrod Guez als Violasolist gestaltet die zauberhafte und fragile Komposition äußerst subtil, in ständigem Frage-Antwort-Spiel mit dem Ensemble Neue Musik. Engagiert und konzentriert gespielt auch "Octandre" (Edgar Varèse), perfekt einstudiert, auf hohem Niveau musiziert.

"Ein Ton ist nie nur einfach ein Ton", sagt Rebecca Saunders. Genau das ist bei dieser musikalischen Spurensuche erlebbar.

 
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