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Würzburg
Warum Stille in der Musik wichtig ist
Komponieren wie zu Mozarts Zeiten? Geht heute nicht mehr, findet Rebecca Saunders. Sie ist Composer in Residence bei den Würzburger Tagen der Neuen Musik.
'Jedes Stück soll einen neuen Raum eröffnen, eine neue Frage stellen', sagt die Komponistin Rebecca Saunders.
Foto: - | "Jedes Stück soll einen neuen Raum eröffnen, eine neue Frage stellen", sagt die Komponistin Rebecca Saunders.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:33 Uhr

Ihr Werk hinterlasse sichtbare und bedeutende Spuren in der Musikgeschichte der Gegenwart, urteilt die Ernst von Siemens Musikstiftung. Sie verleiht ihren mit 250 000 Euro dotierten internationalen Musikpreis 2019 an Rebecca Saunders. Dies gab die Stiftung am Donnerstag offiziell bekannt. Saunders (51), geboren in London, studierte zunächst im schottischen Edinburgh und danach in Karlsruhe bei Wolfgang Rihm. Die Komponistin mit Doktortitel lebt und arbeitet in Berlin. Demnächst kommt sie zu den Tagen der Neuen Musik nach Würzburg.

Frage: Zunächst herzlichen Glückwunsch zum Siemens-Musikpreis. Es ist ja nicht Ihr erster, aber wohl bislang der wichtigste Preis.

Rebecca Saunders: Ja. Ich freue mich wahnsinnig und war auch überrascht. Es ist eine schöne Anerkennung für meine Arbeit. Das Preisgeld gibt auch Sicherheit für die Zukunft und ermöglicht es mir, auch radikalere Projekte anzugehen.

Sie haben in „Yes“ den Monolog der Molly Bloom vertont. James Joyce hat mit diesem letzten Kapitel seines Romans „Ulysses“ mit sprachlichen Konventionen gebrochen. Geht es Ihnen darum, mit musikalischen Konventionen brechen?

Saunders: Nein, ich meine ja, ich meine nein . . . (lacht) Was soll man da sagen? Es geht nicht ums Brechen, nicht ums Kaputtmachen. Man steht natürlich in einer Tradition. Wenn man sich Jahrzehnte mit Musik beschäftigt hat, verinnerlicht man Strukturen, Formen, Ausdrucksmöglichkeiten. Man muss sich ganz bewusst auch mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Aber jedes Stück soll einen neuen Raum eröffnen, eine neue Frage stellen. Musik bringt uns zum Denken, zum Fühlen, zum Reflektieren. Aber man denkt, fühlt und reflektiert heute ganz anders als etwa vor 100 Jahren. Die musikalischen Strukturen, die man heute entwirft, sind deswegen selbstverständlich andere als früher.

Man kann also heute nicht mehr so komponieren wie zu Mozarts Zeit?

Saunders: Über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg hat sich eine ganz andere Art, Strukturen zu entwerfen, entwickelt. Wie man mit Klängen umgeht, welche Klänge jetzt zur Verfügung stehen und wie wir sie wahrnehmen – all das hat sich radikal geändert. Es wäre absurd, jetzt eine Sonatenform zu verwenden. Das hätte keine sozialpolitische, gesellschaftliche Relevanz mehr. Wir stehen hier und jetzt in einer ganz anderen akustischen Landschaft – auch geopolitisch und sozialpolitisch – als frühere Generationen. Da ist selbstverständlich auch die Musik eine ganz anders. Kunst ist sozusagen die Seele der Gesellschaft. Sie reflektiert die jeweiligen Umstände.

Die „Zeit“ hat mal geschrieben, Sie hätten eine „absolute Abneigung, auch nur ein melodisches Fragment zu schreiben“. Ist das so?

Saunders: So ist das nicht. Im Grunde ist meine Musik nicht „atonal“, wenn man diesen verbrauchten Begriff benutzen möchte. Es gibt schon melodische Fragmente. Die bestehen in manchen Stücken nur aus zwei oder drei Tönen. Aber das Ohr erkennt sie. Als junge Frau fiel es mir leicht, eine Melodie zu schreiben. Es hat mich aber, als ich noch in Schottland gewohnt habe, frustriert, dass sich alles um Melodie drehte. Als ich dann, zunächst wegen des Studiums, nach Deutschland gezogen bin, war es mir wichtig, zu sagen: Die Melodie lege ich zur Seite und ich arbeite mit Farbe, mit unterschiedlichen Energie-Zuständen und mit der Virtuosität der einzelnen Spieler. Und dann sehen wir weiter.

Sie arbeiten auch gerne mit Stille.

Saunders: Stille kann ganz unterschiedliche musikalische Zwecke haben und auch poetische Momente hervorbringen. Die Stille – dieses plötzliche Anhalten des musikalischen Flusses – baut Spannung auf. Die Ohren müssen sich anders fokussieren. Man hält den Atem an und wartet . . . Stille ist eine Möglichkeit, den Zuhörer anzulocken, ihn in den Klang hineinzuziehen. Der Klang wird dann auch ganz anders wahrgenommen. Man könnte die Stille mit einer Leinwand vergleichen, vor der Klänge unterschiedliche Schattierungen annehmen und unterschiedliche Tiefe bekommen können. Es ist sehr wichtig, sich als Komponist mit Stille auseinanderzusetzen, also über das Abwesende genauso nachzudenken wie über das Anwesende.

Rebecca Saunders: Fehlbarkeit ist wichtig.
Foto: Astrid Ackermann | Rebecca Saunders: Fehlbarkeit ist wichtig.

Worum geht es Ihnen: um eine Beschreibung der Welt? Und zwar nicht um die Oberfläche, sondern das, was drunter liegt?

Saunders: Ich denke nicht, dass man sich das, wenn man im Kunstbetrieb arbeitet, ganz bewusst zur Aufgabe macht. Aber selbstverständlich kann man mit Kunst manchmal in etwas eindringen, das im gewöhnlichen Alltag keinen Platz hat. Und das ist wichtig.

Und es geht auch darum, Emotionen im Zuhörer zu wecken?

Saunders: Wenn Sie meine Musik nur von YouTube kennen, ist das vielleicht nicht zu spüren – aber live gespielt hat sie eine starke physikalische Präsenz. Musik ist körperliches oder physikalisches Phänomen. Im Konzert erleben Sie das. Ich möchte die physikalische Anwesenheit des Klangs unterstreichen. Ich möchte, dass der Hörer sich sozusagen im Klang befindet.

Sie komponieren vor allem für konventionelles Instrumentarium?

Saunders: Das stimmt. Ich habe zwar gerade einen Auftrag angenommen – ein Solo für Sopran und Elektronik – um es auch mal mit Elektronik zu probieren. Aber ich finde es unglaublich inspirierend, mit akustischen Instrumenten und mit den Musikern zu arbeiten. Ich finde, dass jedes Instrument eine Essenz hat. Diese Essenz gemeinsam mit dem Musiker zu erforschen und dann für das Instrument zu schreiben, ist zwar sehr zeitintensiv, macht mir aber wahnsinnig Spaß. Es ist eigentlich das Grundlegende meiner Arbeit.

Sie treiben die Instrumente dann aber schon an ihre Grenzen . . .

Saunders: Ja, es ist oft schwer zu spielen, aber nie unmöglich. Es ist immer spielbar. Musiker begrüßen diese Virtuosität. Sie begrüßen es auch, sich mit ihren eigenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Es gibt einfachere Stücke. Aber mit der Virtuosität zu arbeiten, mit der Brillanz der Solisten, finde ich total spannend. Für mich persönlich interessant ist: Wenn man etwas sehr Schweres schreibt, gibt's immer wieder Fehler. Und jedes Mal werden die Fehler anders sein. Ich möchte die Mühe, die außergewöhnliche Konzentration und Aufmerksamkeit der Musiker spüren – und doch geht immer wieder was schief, und es entsteht immer wieder etwas Neues. Diese menschliche Qualität, diese Fehlbarkeit, finde ich wichtig.

Es ärgert Sie also nicht, wenn Sie ein Stück von sich hören und denken: Oh, das klingt jetzt aber nicht so, wie ich mir's vorgestellt habe?

Saunders: Das passiert natürlich. Es ist aber nicht schlimm. Ein Stück ist hoffentlich eigenwillig genug, um mehrere Fehler zu überleben. Eine Komposition hat ja auch was Plastisches: Es gibt eine Grundstruktur, aber jede Interpretation wird ganz unterschiedlich.

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Tage der Neuen Musik Würzburg
Unter dem Thema „Traces“ begeben sich die Tage der Neuen Musik der Würzburger Hochschule für Musik auf Spurensuche in die Klangwelten der Gegenwart. Composer in Residence ist Rebecca Saunders.
29. Januar, 19.30 Uhr, Großer Saal der Musikhochschule: Eröffnungskonzert; Werke von Rebecca Saunders, („Fury II“), Iannis Xenakis, Morton Feldman und Edgar Varèse, sowie von Josquin Desprez und Guillaume Dufay (15./16. Jahrhundert).
30. Januar, 19.30 Uhr, Kammermusiksaal: Porträtkonzert Rebecca Saunders; 21 Uhr, Kammermusiksaal: Konzert der Kompositionsklassen.
31. Januar und 1. Februar, 20 Uhr, Großer Saal: Sinfoniekonzert in Kooperation mit dem Mainfranken Theater (Bartók, Lutoslawski, Ospald, Saunders, Debussy).
31. Januar, 22 Uhr, Kleiner Saal: Nachtkonzert (Pironkoff, Ospald).
 
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