Das Motto des Internationalen Museumstags am Sonntag lautete „Spurensuche. Mut zur Verantwortung!“. Beatrix Piezonka geht im Museum im Kulturspeicher in Würzburg seit gut zweieinhalb Jahren auf Spurensuche. Sie ist Provenienzforscherin, das heißt, sie untersucht die Herkunft der Gemälde, die zur Städtischen Sammlung gehören. Ist sie lückenlos – vom Atelier des Künstlers bis zum aktuellen Besitzer? Ist sie unbedenklich? Oder gehören zum Bestand sogenannte NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke, also Nazi-Raubkunst?
Am Museumstag präsentierte die Historikerin bei einer Führung neueste Ergebnisse, unter anderen zu einer Recherche, die sie seit einigen Monaten beschäftigt: zu Hugo von Habermanns „Bildnis einer Dame mit rotem Haar“. Um weitere Puzzleteile zu finden, suchte sie in Auktionskatalogen nach Hinweisen. Und letztlich konnte Beatrix Piezonka nicht nur diesen Fall, sondern auch die Herkunft von zwei weiteren Gemälden lösen.
Bekannt war der Historikerin, dass die „Dame“ am 16. Dezember 1941 von Baurat Steyrer aus Bad Sachsa an die Städtische Galerie verkauft worden war. Ebenso hatte Piezonka bereits bei ihrer Suche in einem Auktionskatalog der Münchner Galerie Hugo Helbing das Los 68 gefunden – und identifiziert: Die „Dame“ war vom 27. bis 29. Mai 1935 zur Versteigerung angeboten worden. Die im Katalog genannte Einlieferungsnummer findet sich auch auf der Rückseite des Bildes. Diese Nummer wird im Verzeichnis der Anbieter als „S“ aufgeschlüsselt.
Unklar war, ob damals Baurat Steyrer der Einlieferer war. Ebenso, ob es sich bei der Versteigerung in der Galerie Helbing um einen frühen Zwangsverkauf handelte. Kenntnis der Zeitgeschichte und über das Schicksal der Galerien gehören zum Handwerkszeug einer Provenienzforscherin.
Hugo Helbing war ein bekannter jüdischer Kunsthändler. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurden seine Geschäfte immer mehr behindert. 1935, in dem Jahr, in dem das Habermann-Gemälde versteigert werden sollte, begann die „Arisierung“ seiner Galerie. Allerdings werden erst nach der „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 26. April 1938 generell Kunstverkäufe als Zwangsverkäufe gewertet, so Beatrix Piezonka.
Ihre zeitintensive Spurensuche führte sie zum Kunsthaus Zürich. Dort befinden sich ebenfalls wie im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München viele der mehr als 800 Auktionskataloge der Galerie Helbing. In Zürich wurde sie fündig, weil sich dort im Katalog Annotationen befinden, also nähere Angaben: Steyrer hat das Werk selbst eingeliefert, es wurde in der Auktion 1935 nicht verkauft, weil das Mindestgebot von 190 Mark nicht erreicht wurde. Deshalb ging das Werk an ihn retour.
Weiter ging die Suche dann im Stadtarchiv Bad Sachsa: Baurat Steyrer hieß mit Vornamen Hermann und lebte von 1877 bis 1949. Er war Österreicher und evangelisch. Er zählte mit höchster Wahrscheinlichkeit also nicht zu den verfolgten Kunstsammlern, als er die 1935 in München nicht versteigerte „Dame mit rotem Haar“ im Dezember 1941 der Städtischen Sammlung in Würzburg verkaufen konnte. Aber wann hatte Baurat Steyrer die „Dame“ erworben – vor oder nach 1933? Diese Frage zu klären, ist oft entscheidend in der Provenienzforschung.
Insgesamt hat die Städtische Galerie zwischen 1941 und 1942 zwölf Gemälde und drei Zeichnungen von Hermann Steyrer gekauft. Dazu gehören die Gemälde „Gebirgslandschaft“ von Anton Lier sowie „Ruhe auf der Flucht“ von Anton Rausch.
Die „Gebirgslandschaft“ ist unbedenklich, weil sie wie das Habermann-Bildnis der „Dame“ bei der Helbing-Auktion 1935 an Baurat Steyrer zurückging. Bei der „Flucht“ von Rausch verhält es sich anders.
Sie wurde nicht von der Galerie Helbing verkauft, sondern von einer anderen sehr renommierten jüdischen Münchner Galerie: von Heinemann. Darauf weist der Aufkleber auf der Rückseite des Bildes, auf dem auch die Eingangsnummer steht. Die Geschäftsunterlagen der 1938 „arisierten“ und später unter dem Namen des „arischen“ Besitzers Heinrich Zinckgraf weitergeführten Heinemann-Galerie können im Internet durchsucht werden. Das Ergebnis: Baurat Steyrer hat das Bild „Ruhe auf der Flucht“ bereits 1923 dort erworben. „Deshalb gilt es als unbedenklich“, so Piezonka.
Die weitere Suche ergab, dass Steyrer mehrfach in den 1920er Jahren Gemälde gekauft hatte. Deshalb geht Beatrix Piezonka davon aus, dass die „Dame“ ebenso in dieser Zeit in seinen Besitz kam – also Jahre bevor die Nationalsozialisten auf Kunstraub gingen und begannen, nicht nur die Existenz jüdischer Kunsthändler zu vernichten.