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WÜRZBURG
Würzburger Kulturspeicher: Suche nach NS-Raubkunst
Die Herkunft der Bilder: Seit einem Jahr forscht Beatrix Piezonka im Museum im Kulturspeicher in Würzburg nach Kunstwerken, die unter den Nazis geraubt oder zwangsverkauft wurden. Eine erste Bilanz.
Blutspender-Ehrung im Congress-Centrum       -  Glücklich über jeden Hinweis: Seit einem Jahr untersucht Beatrix Piezonka den Bestand der Städtischen Sammlung im Museum im Würzburger Kulturspeicher.
Foto: Daniel Peter | Glücklich über jeden Hinweis: Seit einem Jahr untersucht Beatrix Piezonka den Bestand der Städtischen Sammlung im Museum im Würzburger Kulturspeicher.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 08:50 Uhr

Erheblich mehr Kunstwerke muss die Historikerin Beatrix Piezonka unter die Lupe nehmen als ursprünglich gedacht. Sie untersucht seit einem Jahr im Museum im Kulturspeicher in Würzburg Bilder nach ihrer Provenienz. Es geht um die Herkunft, um den lückenlosen Steckbrief eines Kunstwerks. Im Blickpunkt stehen dabei alle Stationen, die zum Beispiel ein Gemälde, wenn es das Künstleratelier verlassen hat, bis zu seinem momentanen Besitzer passiert hat, ebenso die Begleitumstände der Besitzerwechsel.

Im Februar dieses Jahres, als das Projekt im Kulturspeicher erstmals vorgestellt wurde, hieß es, dass etwa 1000 Werke unter Generalverdacht stünden, weil sie in der Zeit des Nationalsozialismus in die Städtische Sammlung kamen. „Es sind jedoch genau 1633 Gemälde und Papierarbeiten“, sagt Beatrix Piezonka. Sie hat zunächst damit begonnen, die Gemälde zu untersuchen, einfach und allein aus dem Grund, weil die Menge überschaubarer ist: „Es sind 227 Stück, 75 davon stammen aus dem Kunsthandel“, so Piezonka, „und der steht vor allem im Fokus.“

Die Sammlung ist schon allein wegen ihres Gründungsjahres 1941 verdächtig, NS-Raubkunst zu enthalten. Bis 1945 hat Gründungsdirektor Heiner Dikreiter über 5000 Kunstwerke eingekauft. Bei den meisten gebe es keine Bedenken, sagt Piezonka. Es sind Schenkungen oder Erwerbungen direkt von Künstlern oder deren Erben. Aber die von ihr herausgefilterten 1633 Objekte sind möglicherweise nach offizieller sperriger Bezeichnung „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke“. Beatrix Piezonka stützt sich bei ihrer Spurensuche auf die hauseigenen Inventarbücher oder durchforstet die Tagebücher von Heiner Dikreiter. Wichtige Quellen sind zudem Ausstellungs- sowie Auktionskataloge, von denen etliche digitalisiert wurden. Online recherchiert werden können auch Datenbanken im Internet wie „Lost Art“ vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg.

Hinweise liefert darüber hinaus eine Objektautopsie. Dazu wird am Werk nach Hinweisen auf dem Rahmen und auf der Rückseite gesucht. Auf diese Weise wurde bei dem Gemälde „Dame vor dem Spiegel“ des Würzburger Künstlers Ferdinand von Lütgendorff-Leinburg (1785 - 1858) eine Nummer entdeckt, die auf das Auktionshaus Dorotheum hinweist. Beatrix Piezonka nahm Kontakt auf. Die Kollegen in Wien hätten sich über die Information aus Würzburg gefreut, weitergekommen sei man jedoch nicht. „Die Herkunft des Bildes ist nach wie vor ungeklärt.“ Da Dikreiter die „Dame“ vom Berliner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt erworben hat, werden die Forschungen weitergehen. Wolfgang Gurlitt ist ein Cousin von Hildebrand Gurlitt, dessen Sammlung als „Schwabinger Kunstfund“ vor zwei Jahren weltweit für Schlagzeilen sorgte. Beide Gurlitts haben Kunst fürs geplante „Führer-Museum“ in Linz eingekauft.

Auf der Rückseite des Bildes „Waldweg mit Waldarbeitern und Beerensammlerinnen“ des Würzburgers Karl Heffner (1849 - 1927) klebt ebenfalls eine Nummer. Sie stammt von der Münchner Galerie am Lenbachhaus, vormals Galerie Heinemann. Friedrich Heinrich Zinckgraf, ein langjähriger Mitarbeiter, gelangte 1938 durch „Arisierung“ der renommierten Institution in den Besitz vieler wertvoller Kunstwerke. Die Eigentümer mussten ihm alles weit unter Wert und unter Zwang verkaufen. Problem bei der Recherche bereitet Beatrix Piezonka die Zahl 20619. Die Nummerierung der Kunstwerke unter Heinemann gehe, soweit bekannt, bis etwa 19 000. Ist das Heffner-Bild noch unter Heinemann in seine Galerie gekommen? Oder bereits unter Zinckgraf? Die Historikerin muss weiterforschen – wie auch bei den Bildern Hugo von Habermanns (1849 - 1929).

Fünf Gemälde des Künstlers gehören zur Städtischen Sammlung; nur bei einem ist die Herkunft geklärt. Offen ist sie noch beim liegenden Halbakt. Das Bild kam 1942 aus der Galerie Scheidwimmer, vormals Hugo Helbing. Bereits ab 1935 musste Helbing seine Geschäfte an einen „arischen“ Mitarbeiter übergeben. Er starb nach Misshandlungen, die ihm in der Pogromnacht am 9. November 1938 zugefügt wurden. Danach begann der Ausverkauf, auch aus seinem Privatbesitz.

Raubkunst im Museum im Kulturspeicher? Zu diesem Thema führt Beatrix Piezonka an diesem Samstag, 5. Dezember, ab 13 Uhr bei der „Bürgerwerkstatt Dialog Erinnerungskultur“ durch die Städtische Sammlung.

 
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