Endlich weg von Würzburg! Glücklich läuft Sisyphos durch die vollbesetzten Zuschauerreihen, schüttelt Hände und verschwindet durch die Tür. Die Bühne in der Kammer des Würzburger Mainfranken Theaters ist leer. Da ist „Sisyphos auf Silvaner“ gerade mal ein paar Minuten alt.
Eine Stunde später ist das Stück von Gerasimos Bekas zu Ende. Und Sisyphos immer noch da. Franconia und Chorus haben ihn zurückgeholt. Ohne Abschiedsparty wollen sie ihren Kumpel nicht gehenlassen. Franconia wirft Sisyphos' Reisetasche auf das Dach des Bühnenbilds – scheinbar achtlos. Aber achtlos oder grundlos geschieht beinahe nichts bei dieser Uraufführung. Denn: Als Franconia am Ende nach der Tasche angelt, um sie Sisyphos zu geben, droht der Aufbau zusammenzubrechen. Sisyphos stützt reflexmäßig die Decke. Und steht nun da wie der mythische Atlas, der das Himmelsgewölbe trägt.
Ein resignierter Seufzer ist das Letzte, was das Publikum von dem hilflosen Sisyphos hört. Er wird bleiben müssen. Griechenland? Unerreichbar und nur ein großes Bild im Bühnenhintergrund (Ausstattung: Susanne Hoffmann, Karlotta Matthies).
Wer empfindet was als Heimat?
Ausgerechnet der Zuwanderer aus Griechenland bewahrt die Würzburger davor, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Ausgerechnet der Mann, der eigentlich nie in der „Perle am Main“ leben wollte. Der seine mythische Strafe, das ewige bergauf Rollen eines Steins, für den besten Job seines Lebens gehalten hatte – und deshalb von Athene strafverschärfend nach Würzburg geschickt wurde.
Wer gehört wohin? Wer empfindet was als Heimat – und warum? Wer gehört dazu und wer nicht? Das sind Fragen, die Gerasimos Bekas umtreiben. Nicht nur in „Sisyphos auf Silvaner“, sondern auch in seinem Roman „Alle Guten waren tot“. Der Sohn eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter hat für diese Themen womöglich eine besonders sensible Antenne.
„Heimat“, sinniert Sisyphos, „ist da, wo es wehtut, dass einen keiner kennt.“ Autor Bekas, Jahrgang 1987, der in Gemünden am Main aufwuchs und in Würzburg studierte, hat es geschafft, das sperrige Thema so zu verpacken, dass es Spaß macht zuzuschauen. „Sisyphos auf Silvaner“ steckt voll Witz, Ironie und schräger Einfälle, die teilweise auch auf das Konto der Regie von Albrecht Schroeder gehen.
Da geht es um skurril Zeitgeistiges und um Prostata-Probleme; um Würzburger Weinseligkeit (zum Oktoberfest-Biertrinker-Hit „Ein Prosit der Gemütlichkeit“) und das Trauma des 16. März; ums Aufarbeiten deutscher Vergangenheit, um die Zuwanderung von Gastarbeitern in den Sechzigern und um die aktuelle Flüchtlingsdiskussion. All das wird mit Mythischem und, augenzwinkernd, mit antiker Theatertradition vermischt: Es gibt einen Chor, aber der besteht nur aus einem Mann. Bekas doziert nicht. Er führt seine Anliegen anschaulich und mit oft skurriler Logik vor. Zwischendrin verzettelt sich's wegen der Themenfülle aber auch mal.
Der Leonhard-Frank-Stipendiat wartet mit einer Art Zeitzünder-Effekt auf: Der Zuschauer freut sich, lacht und merkt erst später, was ihm an Themen serviert wurde und wie da manche, scheinbar feste Position infrage gestellt wurde. Das liegt in der Absicht des Autors. Er wolle unterhalten, aber auch verunsichern, sagte er einmal im Gespräch mit dieser Redaktion. Denn Verunsicherung führt zum Nachdenken.
Bastian Beyer (Sisyphos), Lenja Schultze (Franconia) und Anton Koelbl (Chorus) haben den Text ganz locker im Griff. Über weite Strecken spielen sie, als würden sie gar nicht spielen, sondern, als wäre alles real. Was dem Stück noch eine absurde Ebene hinzufügt. Denn Sisyphos, Franconia und Choros sind ja nicht einmal ansatzweise reale Figuren.
Und weil Sisyphos eine Figur aus der griechischen Mythologie ist, erzählt das Schlussbild zudem, dass die griechische Kultur die Stütze der europäischen Kultur ist. Auch diese Erkenntnis zündet zeitverzögert.
Nächste Aufführungen: 10., 17. 24. April. Vorverkauf: (0931) 3908-124