„Eine kleine Portion Ironie halte ich schon für sehr hilfreich im Alltag“, sagt Gerasimos Bekas. „Aber man darf das nicht übertreiben. Das führt sonst in einen Zynismus, aus dem man nicht mehr rauskommt.“ Bekas ist Leonhard-Frank-Stipendiat im Würzburger Mainfranken Theater. Soeben ist sein Roman „Alle Guten waren tot“ bei Rowohlt erschienen.
Ironie als Möglichkeit, mit Widrigkeiten des Lebens umzugehen, ist ein großes Thema im Debütroman des 31-Jährigen. Das ist gut so, denn: Im Grunde genommen erzählt „Alle Guten waren tot“ sehr viel Deprimierendes. Es geht um Probleme in einem fiktiven Würzburger Altenpflegeheim. Um Schwierigkeiten, mit denen Griechen in ihrem Alltag zurechtkommen müssen.
Als Altenpfleger und als (nicht ganz freiwilliger) Griechenlandreisender steckt Hauptfigur Aris mittendrin im deprimierenden Alltag. Der junge Mann, unsicher, kompliziert, kommt damit nicht zurecht. Er schluckt Schmerztabletten. Selbst bei an sich nichtigen Anlässen wird ihm übel. In der Würzburger Kellerkneipe bestellt er das Sonderangebot – fünf Guinness zum Preis von dreien – nur für sich allein. Devise: „Zu viel oder gar nichts.“
Griechische Lebenskünstler
Dann schickt ihn eine sterbenskranke Patientin nach Griechenland. Dort soll Aris einen Koffer, angeblich voller Geld, bergen und der Enkelin der Patientin als Erbe zukommen lassen.
Aris macht sich auf den Weg und merkt, dass das Leben in Griechenland anders abläuft. Anders deprimierend. Er wird mit dem Bus durch triste Vorstädte gekarrt, sieht überall Verfall und leer stehende Läden, trifft auf Kakerlaken und Kopfläuse. Aris blättert in einer griechischen Zeitung: „Rentenkürzungen, Konjunkturprobleme, Korruptionsskandale, missratene Brustoperationen. Eine Welt voller Hiobsbotschaften.“
Der Antiheld aus Würzburg trifft aber auf Menschen, die zwar am Rande der Armut leben, aber trotzdem gut drauf sind. Lebenskünstler, irgendwie. Bekas kennt sich aus in dem südeuropäischen Land. Der in Gemünden aufgewachsene Sohn eines griechischen Vaters und einer deutschen Mutter hat zwei Jahre in Griechenland gelebt und ist dort immer wieder zu Gast.
Zurück in die Nazi-Zeit
Ist Griechenland heute wirklich ein trostloses Land voller Lebenskünstler, Herr Bekas? „Ich würde das nicht komplett verallgemeinern. Aber: Wenn es keinen wirklichen Sozialstaat gibt und keine klaren Regeln, an die sich alle halten, triumphiert letztendlich derjenige, der in der Lage ist, das Beste aus der Situation zu machen und besonders erfinderisch zu sein. Ja, die Anzahl der psychischen Erkrankungen ist angestiegen seit der Krise in Griechenland. Viele haben resigniert, weil sie keine Zukunft mehr sehen. Ich glaube aber auch, dass die Krise viele Menschen hervorgebracht hat, die ich als Lebenskünstler bezeichnen würde.“
In Rückblenden geht es im Roman zudem um die blutige Eroberung und Besetzung Griechenlands durch Nazi-Deutschland. Die Geschichte des Mönches und Zeitzeugen Stylianos verflicht Bekas kunstvoll mit dem Erzählstrang um Aris. In Deutschland mache sich kaum einer mehr Gedanken um die Besatzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg, so Bekas am Telefon. In Griechenland aber sei die deutsche Besatzung noch immer im kollektiven Gedächtnis präsent. Das griechische Waisenkind Aris wird von dem alternativen Würzburger Paar Gitte und Helmut als eine Art Wiedergutmachung für die Taten der Nazis adoptiert.
Warum eigentlich Würzburg? Autor Bekas, der auch in Lohr wohnte und dort in der Psychiatrie Zivildienst leistete, kennt die Stadt aus der Zeit seines Politikwissenschaft-Studiums. Das ist ein Grund. In seine Wahlheimat Berlin wollte Bekas die Figur nicht setzen, denn: „Die Auseinandersetzung mit der Provinz ist was sehr Charakterformendes für die Figur. Ich glaube, er musste in Würzburg aufwachsen, um so zu sein, wie er ist. Ich habe also nicht erst die Figur entworfen und sie dann da hin gesetzt. Aris ist quasi durch Würzburg so geformt worden.“
Ein kleines Wunder
Bekas, der bislang vor allem als freier Bühnenautor arbeitete, findet das, was er auf 250 Seiten schildert – ob Altenheim oder griechische Erfahrungen – teilweise „hart“. Er habe das Deprimierende aber nicht übertrieben, im Gegenteil: „Ich musste das Ganze beim Schreiben eher runterfahren. Ich habe viel tragischere Geschichten recherchiert, als ich letztlich verwendet habe.“
„Alle Guten waren tot“ ist ein kleines Wunder. Wegen des ironischen Tons. Wegen der interessanten Figuren. Wegen zahlreicher kleiner, teils skurriler, teils anrührender Episoden. Der Roman, an dem Bekas zwei Jahre gearbeitet hat, ist unterhaltsam, ohne flach zu sein. Zudem ist die kunstvoll verflochtene Geschichte spannend. Und im Epilog taucht eine völlig unerwartete Wendung das Geschehen noch einmal in neues Licht.
Mittelfristig denkt Gerasimos Bekas an einen weiteren Roman. „Es gibt viele Sachen, die mich beschäftigen. Aber erst einmal will ich gucken, was mit diesem Roman passiert“, sagt er. Derzeit arbeitet Gerasimos Bekas an dem Stück „Sisyphos auf Silvaner“, das am 4. April im Mainfranken Theater uraufgeführt wird.