
Man kann sich schnell festlesen in diesem Buch: So viele Eindrücke, so viele Erlebnisse, so viele Lebensläufe. Der Journalist Siggi Seuß begleitet die Arbeit des Meininger Theaters seit der Wende kontinuierlich und kritisch. Jahrzehnte nach der aufregenden ersten Zeit nach dem Mauerfall hat er Menschen besucht, die damals am Theater arbeiteten, die diese Aufbruchsjahre prägten und von ihnen geprägt wurden – Schauspieler, Sänger, Regisseure, Puppenspieler, Musiker.
Aus den Porträts, Reportagen und Interviews, die aus diesen Begegnungen entstanden und die auch in den Medien der Main-Post erschienen, hat Seuß nun ein Buch gemacht: "Zeit der Wunder – Die Jahre des Aufbruchs am Meininger Theater 1990 bis 2001" (Verlag Resch, 17,80 Euro). Am Dienstag, 29. Oktober, liest er um 19 Uhr im Foyer der Meininger Theaters daraus.
Das Spannende sind die vielen Einzelperspektiven. Die (westliche) der jungen Schauspielerin Andrea Quirbach etwa, die zum Vorsprechen für ein Stück kam, mangels anderer Unterkünfte in einer Datsche übernachten durfte, dann gleich einen Vertrag für die gesamte Spielzeit bekam (noch in DDR-Mark) und schließlich fünf Jahre blieb. Sie erzählt: "Es war ja alles so abenteuerlich, ein bisschen so, als ob man in eine völlig andere Welt kommt. Das hat mich schon gereizt."
Jörg Hartmann handelte sich mit seiner "Rampengeilheit" eine Abmahnung ein
Oder die von Jörg Hartmann, der 1994 mit 25 in Meiningen sein erstes Engagement antrat. Heute ist er ein Star, bekannt als "Tatort"-Kommissar, ausgezeichnet mit Grimmepreis und Goldener Kamera. In Meiningen lief es zunächst nicht so glatt, Hartmann durfte anfangs nur kleine Nebenrollen spielen, bis er beim heute legendären Intendanten Ulrich Burkhardt (1951-1997) vorstellig wurde: "Herr Burkhardt, bitte ich muss irgendwas machen, sonst dreh ich am Rad." Dann ging es langsam vorwärts, aber mit seiner "Rampengeilheit" (Hartmann über Hartmann) handelte er sich sogar mal eine Abmahnung ein, weil er in einem Stück mit auf die Bühne ging, in dem er gar nicht mitspielte.

Oder die (östliche) von Christine Mielitz, die von 1998 bis 2002 Intendantin war und international Furore machte, als sie 2001 gegen viele Widerstände in Meiningen Wagners kompletten "Ring des Nibelungen" auf die Bühne stemmte. Der "Spiegel" verlieh ihr dafür den Titel "Die Wahnsinnige von Meiningen". Dirigent: Kirill Petrenko, heute Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper und Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Damals war Petrenko 28 und Siggi Seuß dachte, als er ihn auf dem Flur traf, "ein neuer Volontär".
In "Zeit der Wunder" lebt sehr anschaulich eine Zeit wieder auf, an die Seuß heute mit einem "mittelschweren Hauch von Sentimentalität" denkt, wie er im Vorwort bekennt. "Das waren Zeiten des Aufbruchs, die es so nicht mehr geben wird."
Das Buch: "Zeit der Wunder - Die Jahre des Aufbruchs am Meininger Theater 1990 bis 2001" (Verlag Resch, 136 Seiten 17,80 Euro)
Die Lesung: Dienstag, 29. Oktober, 19 Uhr, Foyer der Meininger Theaters