Was haben Cristiano Ronaldo und Angela Merkel gemeinsam? Erst mal nichts, scheint es. Doch beim aktuellen Projekt "Fake it till you make it – oder: Ich ist eine Andere", das am Samstag im Würzburger Tanzspeicher Premiere feierte, findet man beider Namen in einer Tabelle vereint. Doch dazu später.
In einer abendfüllenden Solo-Performance beschäftigt sich das "kollektiv anderer tanz" mit dem Verhältnis von Demokratie und Kunst, Wahrheit und Lüge. Choreograf Thomas K. Kopp und künstlerische Assistentin Katharina Lehmann nutzen ein ganzes Arsenal an Werkzeugen aus dem Theaterbereich, sind mit ihrem Team ohne Berührungsängste allen möglichen Spuren nachgegangen, die die Idee von der Schaffung einer perfekten Schein-Welt voller Glück verdeutlichen.
Herausgekommen ist ein Gesamtkunstwerk, konzentriert in der Tänzerin und Performerin Lilly Bendl (Stuttgart). Sie leistet in der 80-minütigen Aufführung Ungeheures: Als Tänzerin demonstriert sie Körperkunst intensivster Ausstrahlung und Präsenz, bewegt sich mal eckig, mal sinnlich in einer Welt zwischen Schein und Sein. Sie schlüpft in die Rolle der Erzählerin, wenn sie Teile aus Bernard Mandevilles Fabel vom unzufriedenen Bienenstock vorträgt, der der menschlichen Gesellschaft mit Licht und Schatten, Lug und Trug gleicht.
Per Video verdoppelt und verdreifacht Thomas K. Kopp die Künstlerin
Bendl bewegt sich zum Zuspielvideo elegant durch den Regen einer französischen Stadt. Sie stöckelt über den imaginären Laufsteg einer Modelshow und zerlegt in einer Meisterleistung an Überzeichnung die illusionäre Welt der Stars und Sternchen. Philosophische Exkurse über die Freiheit der Kunst oder über Wahrheit und Lüge gehen der Performerin so leicht über die Lippen wie Gedanken von Freud, Frisch und Balzac, die mit Hilfe einer Loop-Station zu einem rhythmischen Cluster geschichtet werden.
Per Video verdoppelt und verdreifacht Thomas Kopp die Künstlerin, ergänzt durch ausdrucksvolle Körperstatement-Videos von Hannes Langolf (London) zur Frage, warum man lügt. Posieren und posten als Devise der Social-Media-Welt, hier holt man sich seine eigene Wertigkeit, selbst wenn man sich die Wahrheit so lange zurechtbiegt, bis man selbst davon überzeugt ist. Das ist der Kern der Botschaft an diesem außergewöhnlich fesselnden, prallen und fordernden Abend.
Ach ja, Ronaldo und Merkel: Deren Abonnenten-Zahlen auf Instagram – 4,6 Millionen gegenüber 1.8 Millionen – sagen viel über Schein und Sein, über Rampenlicht und Realität. Doch nach dieser Vorstellung wurde eine andere frenetisch gefeiert: Lilly Bendl.
Weitere Vorstellungen: 23. und 24. Oktober, 13. und 14. November sowie im Jahr 2022. Karten unter www.tanzspeicher.de oder Tel. (0931 )45 25 855.
