Am 23. Juni ist erstmals beim Kissinger Sommer Richard Wagners "Rheingold" konzertant zu erleben. Und zwar mit einem Gastspiel aus Minden der eher ungewöhnlichen Art. "Der Ring in Minden" ist inzwischen so etwas wie ein Markenzeichen: Seit 2002 bietet der dortige Wagner-Verband im Gastspieltheater der mittelgroßen Stadt in Ostwestfalen Aufführungen von Wagner-Opern an. Und seit 2015 gibt es dort das Projekt "Ring" - vier Jahre lang hatte pro Saison zunächst eine der vier Opern des monumentalen Zyklus' Premiere, 2019 nun kommt der "Ring des Nibelungen" zweimal komplett. Die Ausführenden: die Nordwestdeutsche Philharmonie unter der Leitung des Dirigenten Frank Beermann. Quasi als Auskoppelung ist das "Rheingold" in Bad Kissingen zu Gast.
Frank Beermann: Das ist schon etwas länger so. Zum Wagner-Jubiläum 2013 hat Marek Janowski in Berlin alle großen Opern konzertant gemacht. "Tristan" konzertant hat man auch schon öfter erlebt, erster Akt "Walküre" ist in Sinfoniekonzerten schon seit 50 Jahren Standard. Aber es stimmt, in letzter Zeit kommt es noch öfter vor.
Beermann: Ich vermute, dass das mehrere Gründe hat. Konzertant kann man zum Beispiel sehr gut am musikalischen Detail arbeiten. Das ist mit Bühnengeschehen oft etwas schwieriger. Wir spielen immer mehr Opern konzertant, inzwischen sogar Verdi und Puccini. Ich denke, es gibt eine Sehnsucht des Publikums, die mit dem Regietheater zu tun hat. Die Menschen sehnen sich nach etwas anderem zurück, kriegen das aber im Theater nicht geboten, deshalb hören sie ihre Oper lieber konzertant, um es ein bisschen flapsig zu formulieren. Das wiederum finde ich persönlich sehr schade, denn die Oper ist schließlich für die Szene geschrieben. Konzertant geht nur mit sehr wenigen Werken, bei den meisten bleibt zu viel auf der Strecke. Beim "Rheingold" noch am wenigsten, weil das eine durchgehend komponierte Form ist, da hat man sich immer schon über andere Aufführungsmöglichkeiten Gedanken gemacht.
Beermann: In unserem Fall ganz bestimmt, weil wir mit einem Konzertorchester spielen. Im Opernorchester wechseln sich viel mehr Musiker ab, da gibt es häufige Besetzungswechsel. Beim Konzertorchester hat man den Luxus, mit einer Besetzung zu probieren, das bedeutet, dass man richtig etwas aufbauen kann. Dass sich auch zwischen den Musikern etwas entwickeln kann. Wir können sehr detailliert das Verhältnis von Wort und Musik analysieren. Wir werden, so wie wir das in Minden auch machen, das Orchester hinter den Sängern platzieren, da kann man ganz anders mit dem Wort-Ton-Verhältnis umgehen.
Beermann: Witzigerweise ist es im Theater in Minden genau umgekehrt: Da sitzt das Orchester hinter dem Bühnenportal, das bildet eine Art Phonschranke. Da können wir gar nicht laut genug spielen. In Bad Kissingen wird das tatsächlich anders sein. Wir haben deshalb eine ganze Reihe von Extraproben disponiert, um genau das in den Griff zu bekommen, was Sie sagen.
Beermann: Bei den Kostümen bleiben wir schon im abstrakten Bereich, aber die Kollegen werden nicht dastehen und aus Noten singen. Semi Stage ist ein großes Wort, aber es wird auf jeden Fall bewegt sein, und es wird szenische Interaktion zwischen den Sängern geben.
Beermann: Genau so wird es sein. Wir haben dafür schon ein Modell entwickelt. Vor den Orchesterproben machen wir mit den Sängern eine szenische Klavierprobe, damit das klappt. Wir haben ja nicht den Luxus eines Opernhauses, wo ein Inspizient hilft.
Beermann: Beim Schott-Verlag gibt es die sogenannte Lessing-Fassung. Da sind die Bläser leicht reduziert, man spielt etwa mit sechs Hörnern statt mit acht, aber man spielt durchgehend mit vier Wagner-Tuben im Satz. Das heißt, es ist eigentlich alles da, was man braucht, auch alle anderen Spezialinstrumente.
Beermann: Auch wir haben die letzten vier Jahre in Minden die Opern einzeln zur Premiere gebracht, und in diesem Spätsommer spielen wir den ganzen Zyklus zweimal am Stück. Derzeit probe ich mit dem Orchester die einzelnen Teile in umgekehrter Reihenfolge durch. Das heißt, wir haben im April angefangen mit der Arbeit für eine Premiere am 11. September. Das bindet wirklich erheblich zeitliche Ressourcen. Alles in allem sind wir damit vier Monate beschäftigt.
Beermann: Ausverkauft. Jetzt schon. Alles. Das war schon bei den einzelnen Teilen in den letzten Jahren so. Wir hatten das alle vorher nicht hoffen können, aber wir hatten schon vom "Rheingold" an in den überregionalen Feuilletons euphorischen Reaktionen. Das hat ziemliche Wellen geschlagen, und das hat natürlich auch den Verkauf leichter gemacht.
Beermann: (lacht) Da müssen Sie bei der Festspielleitung nachfragen. Sagen wir mal so: Es wird dann schwieriger, weil wir jetzt den "Ring" machen, im Herbst ist der abgespielt. Ob wir dann nochmal für eine "Walküre" zusammenkommen... Aber wenn die Euphorie groß ist, kann man das relativ schnell wieder hochholen. Im Moment aber ist das "Rheingold" als einmalige Aktion geplant.
Beermann: Ja, das ist schon so. Wagner ist im Laufe der Zeit unglaublich oft instrumentalisiert worden, am schlimmsten bekanntermaßen durch die Nationalsozialisten. Nach dem Krieg hat es deshalb erstmal eine große Distanzierung gegeben. Ich glaube, dass es Dirigenten wie Pierre Boulez und Daniel Barenboim zu verdanken ist, dass das Thema wieder mehr an der Kunst diskutiert wird und weniger an einem politischen Missbrauch, der damit stattgefunden hat. Ich merke auch im Ausland immer stärker, dass die Menschen sich nicht mehr einfach nur bedröhnen lassen wollen von diesen unglaublichen Kunstwerken. Sondern sie stellen Fragen und gehen damit sehr kritisch, sehr offen aber auch sehr begeistert um.
Beermann: Wir haben in Minden eine Aufführung immer als reine Schüleraufführung oberhalb der Grundschulen angeboten. Die fing morgens um 11 Uhr an und dauerte dann so lange, wie das Stück eben dauert. Es war sehr faszinierend zu beobachten, wie unglaublich interessiert und gespannt und gebannt sich alle Altersgruppen mit den Opern auseinandergesetzt haben. Das Wagner-Projekt gibt es in Minden ja schon seit 2002, und inzwischen gibt es ganze Schülergenerationen, die unter dem Eindruck dieser Aufführungen in Berufe gegangen sind, die im engeren und weiteren Sinne mit Oper und Musik zu tun haben. Das habe ich mit anderen Komponisten noch nicht erlebt.