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WÜRZBURG
Ausstellung „Gegenstück“ im Museum am Dom mit einer unverhofften Entdeckung
Kunstreferent Jürgen Lenssen mit einer bislang unbekannten Grablegung von 1510, die Tilman Riemenschneider und Werkstatt zugeschrieben wird.
Foto: Kerstin Schmeiser-Weiss, Pressedienst des Ordinariats | Kunstreferent Jürgen Lenssen mit einer bislang unbekannten Grablegung von 1510, die Tilman Riemenschneider und Werkstatt zugeschrieben wird.
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:37 Uhr


Fast auf den Tag genau 14 Jahre nach Eröffnung des Museums am Dom zeigt Domkapitular Jürgen Lenssen die letzte Ausstellung unter seiner Ägide. Titel: „Gegenstück. Spannungsbogen Kunst“. Ende Mai, nach seinem 70. Geburtstag, wird der Kunstreferent der Diözese Würzburg verabschiedet. Lenssen will noch einmal „das vor Augen führen, was das Museum am Dom ausmacht – die Gegenüberstellung von Alt und Neu“. Es gehe datum, sich auf den Menschen in unterschiedlichen Zeiten und deren jeweiliger Kunstsprache einzulassen.

Die Ausstellung ist mehr als eine Fortführung der Dauerausstellung

Die Ausstellung im Zwischen- und Untergeschoss ist jedoch mehr als eine Fortführung zur Dauerausstellung im Obergeschoss. Mit Kurator Michael Koller hat Lenssen das Depot gesichtet und Werke ausgewählt, die das Museumskonzept auf den Punkt bringen. Dazu gibt es einige Neuerwerbungen zu sehen.

Unter den wenigen Leihgaben erwartet die Besucher sogar eine Sensation: Es gibt ein bislang unbekanntes Werk von Tilman Riemenschneider zu entdecken. Die Holzplastik „Grablegung“, die dem berühmten Bildschnitzer und seiner Werkstatt zugeordnet wird, taucht bislang nicht im Werkverzeichnis auf. Sie stammt aus Privatbesitz und ist eine Leihhabe für fünf Jahre.

Die Brisanz von Werken früherer Stilepochen wird heute oft verkannt

„Jede Zeit hat ihre Bilder“, sagt Lenssen. Bei Werken aus vergangenen Stilepochen werde deren Intention heute oft nicht mehr verstanden. „Wir sehen nicht die Brisanz, die in den Bildern steckt.“ Anders sei das bei Werken der Gegenwart. „Dort erkennen wir, was die Menschen heute umtreibt, ihre Vorstellung von der Welt.“ Diese Zeitbedingtheit gelte auch für religiöse Bilder.

Ein anschauliches Beispiel für dieses Einlassen auf den Menschen zeigt die Gegenüberstellung zweier Werke aus dem frühen 17. Jahrhundert, einem vermutlich in Italien entstandenen Ölbild und einem Sandsteinrelief aus Franken, mit dem Bild „Die an der Kreuzung Beteiligten“ von Johannes Grützke aus dem Jahr 2015. In allen drei Kunstwerken ist Jesus dargestellt. Grützke rückt jedoch, wie der Titel schon sagt, die Menschen in den Fokus, die ihn kreuzigten. Er zeigt ihre verzerrte Mimik, die Verachtung, die Grausamkeit.

Auch im Ölbild daneben, der „Gefangennahme Jesu,“ wird dieser Ausnahmezustand der Menschen deutlich, ihr „Blutrausch“, so Lenssen. Im ovalen Sandsteinbild „Annagelung Jesu ans Kreuz“ ist ebenfalls die Erregtheit der Männer spürbar, ihre Unerbittlichkeit gegenüber dem wehrlos auf dem Kreuzbalken liegenden Jesus – und die stumme Verzweiflung der Frauen im Hintergrund.

In „Stigmata“ von Sebastian Hertrich aus dem Jahr 2012 geht es um Selbstverletzung, um Grenzerfahrung, um die eigene Endlichkeit. Der dargestellte Mann hat sich die Wunden selbst zugefügt.
Foto: Kerstin Schmeiser-Weiss, Pressedienst des Ordinariats | In „Stigmata“ von Sebastian Hertrich aus dem Jahr 2012 geht es um Selbstverletzung, um Grenzerfahrung, um die eigene Endlichkeit. Der dargestellte Mann hat sich die Wunden selbst zugefügt.

Um den eigenen Schmerz, das eigene Leid geht es im Gegenstück-Paar aus der Holzfigur „Schmerzensmann“ (Franken um 1480) und dem Bild „Stigmata“ von Sebastian Hertrich aus dem Jahr 2012. „Der Schmerzensmann ist die Identifikation für Menschen in ihrem Leid; man sieht sich in ihm selbst. Er, gezeichnet von Wunden, ist das Spiegelbild der eigenen Lebenssituation“, erläutert Jürgen Lenssen.

Bei Hertrich dagegen geht es um Selbstverletzung, um Grenzerfahrung, um die eigene Endlichkeit. Der dargestellte Mann hat sich die Wunden selbst zugefügt. Dazu hat der Künstler, der in Erlangen lebt, ins auffällige Rahmenwerk aus Plexiglas unten einen Totenkopf geschnitzt. Oben ist ein Spiegel eingefügt. Darin sieht man sich selbst – in seinem Selbstleid.

Viele Fragen, aber keine schnellen Antworten

„Gegenstück“ ist keine Ausstellung für den schnellen beiläufigen Blick. Wer sich Zeit nimmt, entdeckt weit mehr als nur unterschiedliche Kunstauffassungen unterschiedlicher Zeiten. Kunst ist nicht die Dekoration eines Ortes, sagt Lenssen. Der Kunstreferent will Fragen wecken, auch unbequeme, aber er will keine schnellen Antworten liefern. „Das hat die Kirche oft genug getan.“

Warum hängt das nebeneinander? Was ist entscheidend? Was löst es in mir aus? Was hat das mit mir zu tun? „Die Kunstwerke hier wecken Assoziationen“, sagt Kurator Michael Koller. Keiner solle Scheu haben, in mehr als nur eine Richtung zu denken. Zudem würden die Bilder und Skulpturen so, wie sie einander zugeordnet sind, neugierig machen, ist sich Lenssen sicher.

Dazu gehört zweifelsohne die Assemblage „Mein Jesus“ von Robert Höfling, ein, so Koller, für Lenssen besonderes Werk – und ein drastisches dazu. Die Jesusbüste wirkt wie aus einem Devotionalienkitschladen und erinnert an eine Modepuppe. Sie ist ganz in Schwarz gehalten, nur die Dornenkrone, umkränzt von rosafarbenen Plastikrosen, glänzt golden. Um die Schultern ist ein schwarzes Spitzentuch drapiert. „Es ist Kunst, an der man sich reiben kann.“

Museum am Dom, Würzburg: „Gegenstück. Spannungsbogen Kunst“, bis 7. Mai. Di.-So. 10-17 Uhr

 
 
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