Wer sich die Freude am Märchen als Teil seiner Kindheit bewahrt habe, dem werde der Abend sicher Vergnügen bereiten. Diese Prämisse von Paul Maar traf offensichtlich für die weit über 300 Zuhörer zu, die an der Lesestunde des bekannten und geschätzten Autors im Großen Haus des Mainfranken Theaters ihre helle Freude hatten.
Der vielseitige Schriftsteller hat sein 2016 veröffentlichtes Buch „Schiefe Märchen und Schräge Geschichten“ zu dieser „Musikalischen Lesung für Erwachsene“ mitgebracht und erfüllt mit seiner Auswahl die Erwartungen des dem Jugendalter längst entwachsenen Publikums. Die heitere Atmosphäre, die die fantasievollen Geschichten auszeichnet, breitet sich rasch aus. Witzige Pointen ernten zunehmend befreites Lachen. Die Vorfreude auf den oft überraschenden Fortgang der Handlung ist deutlich spürbar.
Das Unglaubliche wird dank Paul Maars bildhafter Sprache real
Märchenonkel Paul führt seine Zuhörer mit seinen geistreich komponierten Texten am Gängelband des kindlichen Frohsinns: Das Unglaubliche wird dank seiner bildhaften Sprache real. Wie der zum Telefon mutierte Goldföhn, der ins Kino wackelnde Kohleherd oder der umtriebige Gartenzwerg.
Maar siedelt seine Geschichten gern in hoheitlichen Häusern an, um auf findige Weise zu zeigen, dass auch dort recht normale Menschen mit mancherlei Tücken zu kämpfen haben.
In „Prinz Otto“ begegnet man königlichen Drillingen, der Einfachheit halber alle Otto getauft, bei ihrem ulkigen Werben um die Nachbars-Königstochter Marie Elisabeth Friederike. Da zeigt Maar die hohe Kunst des königlichen Vorlesers. Er huscht von Otto zu Otto, bringt einen spanischen Austauschprinzen ins Spiel und ist in diesem selbst kreierten Kuddelmuddel ganz in seinem Element.
Paul Maar, dessen „hartes D“ ihn als Franken verrät, lebt sich in seine Erzählungen hinein und gewinnt im Laufe seiner Vorträge zunehmend an Lockerheit. Er lässt seine Hände mitreden und landet mit „Der Zwerg Friedrich“ in einer bezaubernd frechen Heinzelmann-Geschichte. Der kleine Racker, Krominobuttelscherian mit Nachnamen, bringt mit seiner drohenden Machtübernahme Wohnung und Gemütslage des überaus höflichen Herrn Mockinpott stark ins Schwanken. Der faule Frechdachs, der siebte der bekannten Zwergengruppe, gewinnt mit seiner coolen, flinkzüngigen Art schnell die Sympathien des Publikums.
Die Musiker Wolfgang Stute und Konrad Haas beweisen vielfältig ihre instrumentale Klasse
Zurück zur Aristokratie! Die „Geschichte einer Kleinanzeige“ entpuppt sich als köstlicher Spaß über den Versuch eines angejahrten ledigen Prinzen, eine Anbetungswürdige zu finden – spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Letztlich scheitert intimere Kontaktnahme aber am chaotischen Inhalt einer Handtasche...
Der in Bamberg lebende Schriftsteller steht kurz vor seinem 82. Geburtstag. Er gefällt mit ruhiger Gelassenheit ebenso wie mit flott vorgetragenen Gedichten. In „Pech gehabt“ schlendern Hänsel und Gretel total entspannt durch den Wald und wollen per Handy die Hexe flottmachen. Wird nix! Kein Netz! Wenn er Grimms Märchen durcheinanderwirbelt, wenn Schneewittchen Rumpelstilzchen zitiert und Dornröschen über Frau Holle stolpert, geht’s im Zuschauerraum hoch her.
Die Musiker Wolfgang Stute und Konrad Haas lassen zum Auftakt mit Gitarre und Querflöte „Specht und Libelle“ aufflattern und ganz zart den Kuckuck rufen. Danach beweisen sie vielfältig ihre instrumentale Klasse. Haas zeigt, wozu eine Blockflöte fähig ist und markiert mit Saxofon und Keyboard auffallende, ins Sprachgeschehen passende Akzente. Stute, der seine Virtuosität an vier unterschiedlich gestimmten Gitarren beweist, setzt mit seiner Handpan, einem blechernen Perkussionsinstrument, einen abschließenden Höhepunkt dieses glänzend konzipierten Abends. Lang anhaltender Applaus.