Eva Liebermann arbeitet in einem Callcenter, das Menschen bei Computer-Problemen weiterhilft. In der Nachtschicht hat sie Marc Siegel in der Leitung, der auf seinem PC keine Bilddateien mehr öffnen kann. Er steht unter Zeitdruck, weil er die Bilder für eine kleine Werbeagentur grafisch überarbeiten und weiterleiten muss. Ruhig und professionell gibt Eva Hilfestellung und geht mit dem Anrufer verschiedene Fehler-Möglichkeiten durch.
Das ist der Ausgangspunkt für das Konversationsstück "Der Anruf" von Stephan Eckel, das jetzt im Theater Sommerhaus in Winterhausen in der Inszenierung von Hannes Hirth Premiere hatte. Der Regisseur hat die flotten Dialoge auf nur eine reale Bühnenfigur reduziert und lässt die drei anderen Rollen durch Stimmen aus dem Off interpretieren. Eine besondere Herausforderung für Julia-Stephanie Schmitt, die als Eva die auf maximal vier Quadratmeter komprimierte Bühnenfläche bravourös allein bespielt – im Gespräch mit Partnern, von denen sie selbst (und auch die Zuschauer) lediglich einen akustischen Eindruck bekommen.
Schnell kippt das nüchtern-sachliche Beratungsgespräch in einen Telefonflirt
Ist Marc Siegel also wirklich der 28-jährige Single und EDV-technisch überforderte Praktikant in einer Werbeklitsche, als der er sich ausgibt? Am Telefon hört er sich etwas tollpatschig aber sehr charmant an, eloquent und witzig. So kippt das nüchtern-sachliche Beratungsgespräch schnell in einen Telefonflirt, auch wenn Eva dem Anrufer immer wieder zu verstehen gibt, dass sie nicht bei einer Dating-Hotline arbeitet. Doch die Anmach-Spirale dreht sich immer schneller und als sie von Marc mit ihren eigenen Urlaubs-Fotos konfrontiert wird, ist ihre Toleranzgrenze überschritten. Sie schmeißt ihn aus der Leitung.
Doch bereits der nächste Anrufer ist erneut Marc - mit neuer Telefonnummer hat er die elektronischen Hürden überwunden. Er gibt sich jetzt als väterlicher Freund aus, dem viel an Eva und ihrer beruflichen Zukunft liegt, und der "einfach nur reden will". Dabei ist er virtuell längst in ihre Privatsphäre eingedrungen, manipuliert mit seinem PC ihren Arbeitsplatz und offenbart enormes Wissen über ihr Privatleben, das er sich widerrechtlich angeeignet hat.
Plötzlich kommt Evas verschwundener Freund ins Spiel
Verbirgt sich hinter Marc womöglich ein Mitbewohner auf dem Flur namens Frank Siebert, der sie schon auf ihrer Geburtstagsfeier übel angebaggert hatte? Laut und vehement weist Eva diese Anmache zurück, nur um damit die nächste Spiralumdrehung auszulösen.
Ein bisschen scheint durchaus Alfred Hitchcocks "Bei Anruf Mord" Pate gestanden zu haben, denn auch die Spur mit Frank läuft ins Leere. Stattdessen dreht Autor Stephan Eckel weiter an der Psycho-Schraube. Erneut wechselt der unbekannte Anrufer Tonfall und Identität und offenbart von Eva verdrängte Details aus dem Leben mit ihrem Freund David, der seit einigen Wochen verschwunden ist. Ist er tot, wie der Anrufer behauptet? Oder ist er, wie so oft vorher, einfach abgetaucht? Wie verlief Evas letzter Abend mit David?
Was ist die Wahrheit? Und was ist die Wahrheit dahinter? Wie es sich für Psychothriller-Kammerspiele gehört, gibt es die überraschende Lösung erst ganz am Ende. Ein packender und sehenswerter 80-Minuten-Thriller, dem Julia-Stephanie Schmitt die Krone aufsetzt.
Weitere Vorstellungen: 12., 13., 18. bis 20. und 25. bis 27. November. Karten-Tel. (09333) 9049867. www.theater-sommerhaus.de