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Schweinfurt
Neue Wahrheiten: Das Museum Georg Schäfer zeigt die Frühzeit der Fotografie
"Neue Wahrheit? Kleine Wunder": Im Schweinfurter Museum Georg Schäfer wird erlebbar, wie die Menschen des 19. Jahrhunderts auf die neue Kunst der Abbildung reagierten.
Um 1853 entstand diese  Daguerreotypie der Niagara-Fälle.
Foto: Private Sammlung © Collection H. G. | Um 1853 entstand diese  Daguerreotypie der Niagara-Fälle.
Susanne Wiedemann
 |  aktualisiert: 07.10.2021 02:33 Uhr
  • Was ist das für eine Ausstellung? Das Museum Georg Schäfer zeigt frühen Jahre der Fotografie.  Titel: "Neue Wahrheit? Kleine Wunder". Sie ist bis 9. Januar zu sehen.
  • Was ist zu sehen? Frühe Fotografien, sogenannte Daguerreotypien – ernste, witzige, anrührende; Karikaturen, die sich über den neuen Trend lustig machen; Faltbilder, Dioramen und Stereofotografien, also echte 3-D-Bilder.
  • Für wen die Ausstellung interessant? Für alle, die gerne den Blick auf vergangene Zeiten richten  – nicht nur Fotografen und Technikfreaks. Alle, die mehr darüber zu erfahren wollen, was vor uns war - technisch, künstlerisch, sozial.

"Spektakulär", nennt Wolf Eiermann, Leiter des Museums Georg Schäfer in Schweinfurt, die neue Ausstellung, die sich mit der Frühgeschichte der Fotografie beschäftigt. Titel: "Neue Wahrheit? Kleine  Wunder". Zu sehen ist, wie sich das Leben der Menschen, die Kunst, die ganze Welt veränderte, nachdem 1839 Louis Daguerre seine bahnbrechende Erfindung, die Daguerreotypie, entwickelte. Mit Hilfe von polierten Metallplatten und viel Chemie wie Quecksilber entstanden Bilder: nicht farbig, seitenverkehrt, alles Einzelstücke.  

Der Kurator und Leihgeber Hans Gummersbach, der als 19-Jähriger der Sammelleidenschaft verfiel. Rechts eine Karikatur, die sich über die Apparaturen lustig macht, mit denen die Fotografen Kundinnen und Kunden zum Stillhalten brachten.    
Foto: Anand Anders | Der Kurator und Leihgeber Hans Gummersbach, der als 19-Jähriger der Sammelleidenschaft verfiel. Rechts eine Karikatur, die sich über die Apparaturen lustig macht, mit denen die Fotografen Kundinnen und Kunden zum ...

Die Ausstellung schafft eine Querverbindung zu den Gemälden und Zeichnungen im Museum. Eine Herzensangelegenheit von Wolf Eiermann, der im Laufe der kommenden Jahre die Themen  Fotografie und Film ins Museum bringen will. "Beide haben die Geschichte der Kunst mitbestimmt."

Ein Bild als authentische Spur eines Lebens aus dem 19. Jahrhundert

Der Rundgang ist wie ein Eintauchen in eine neue Welt. Technisch wie gestalterisch. Faltperspektiven, eine Art dreidimensionales Bilderbuch. Dioramen, also Rundbilder, die reale Orte nachahmen. Ohne Lichtquelle im Hintergrund sieht man Schloss Versailles. Kommt Licht dazu, heute mit einem Fußschalter, zündet ein Feuerwerk. "Das  fasziniert noch heute", sagt Hans Gummersbach, Leihgeber und Kurator der Ausstellung.

Mit 19 kaufte Gummersbach auf einem Flohmarkt in England für drei Pfund eine Daguerreotypie aus dem 19. Jahrhundert. "Eine  authentische Spur eines Lebens aus dem 19. Jahrhundert", erzählt er. Eine einzigartige Spur, denn von dieser Art Foto gab es immer nur ein Exemplar. Die  Vervielfältigung wurde später erfunden. Dieser Flohmarktfund habe sein Herz berührt und die Sammelleidenschaft geweckt.

1851 machte Hermann Carl Eduard Biewend diese später kolorierte Daguerreotypie. Die Aufnahme mit dem Titel 'Ich und mein Luischen' ist auch Titel des Ausstellungskataloges. 
Foto: Private Sammlung © Collection H. G. | 1851 machte Hermann Carl Eduard Biewend diese später kolorierte Daguerreotypie. Die Aufnahme mit dem Titel "Ich und mein Luischen" ist auch Titel des Ausstellungskataloges. 

"Meine Werke und ich fühlen uns hier sehr wohl", sagt der Sammler. Die Frage, wie er diese umfassende Sammlung zusammengetragen habe, ist schnell beantwortet: "50 Jahre suchen, suchen, suchen."

Technik- und Fotofreaks werden diese Ausstellung lieben. Aber auch alle, die sich gerne eine Bild von der Welt machen. Manche Exponate sind zutiefst anrührend. Die Daguerreotypie eines sehr jung gestorbenen Kindes aus dem Jahr 1850 zum Beispiel. Vor allem in Amerika war es beliebt, so an Verstorbene zu erinnern. Es gibt aber auch witzige Sachen. In einer Gruppe junger Männer, die 1845 posierte, streckt einer dem Fotografen die Zunge raus. Keine spontane Aktion: Die Belichtungszeiten waren lang, da brauchte man Geduld, Sitzfleisch und, in diesem Fall, eine kräftige Zunge.

Karikaturisten machten sich über all die Stillhalte-Apparaturen lustig

In den Studios gab es Kopfstützen, damit die Leute schön stillhielten. Wie bei allen Neuheiten war es auch bei der Fotografie: Es gab viel Spott. Karikaturen machten sich über all die Stillhalte-Hilfen lustig. Oder über die Massenhysterie, die der neue Trend auslöste. Fotografie war aber auch ein Mittel, um Sozialkritik anzubringen. In zwölf Szenen hat etwa John Thomson 1877/78 das Elend der Armen in den Straßen Londons festgehalten. 

Alben voller Sehnsuchtsorte stillten das Fernweh

Früh haben sich Kunst und Fotografie getroffen. Bevor im 20. Jahrhundert das Farbfoto aufkam, wurden die Bilder per Hand koloriert. Bald kamen geschäftstüchtige Leute auf die Idee, Daguerreotypien von beliebten touristischen Zielen oder Sehnsuchtsorten wie Rom, Ägypten oder der Alahambra als Vorlage für Lithographien oder sogenannte Aquatinta-Drucke zu nehmen und zu vermarkten.

Ein Raum ist der Stereofotografie gewidmet: Kameras mit zwei Objektiven ließen 3-D-Bilder entstehen – damals wie heute eine Attraktion. Genauso wie die Anfänge der Aktfotografie. Spätestens hier versteht man das Zitat des Malers David Hockney im Katalog: "In Wahrheit ist die Fotografie das Kind der Malerei."

"Neue Wahrheit? Kleine Wunder! Die frühen Jahre der Fotografie", bis 9. Januar 2022, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt. Öffnungszeiten: Di. 10-20 Uhr, Mi.-So. 10  bis 17 Uhr. An jedem ersten Dienstag freier Eintritt.

 
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