Dass György Ligetis (1923-2006) kurzes Orchesterwerk "Lontano" tatsächlich vor dem Hintergrund eines lange zurückliegenden Albtraums aus der Kindheit entstanden sein soll, mag interessant sein. Notwendig ist der Hinweis für den Hörer nicht, denn die Düsternis, das Bedrohliche, das Grauen, die sich innerhalb von zehn Minuten ausbreiten, sind so unmittelbar spürbar, dass auch große Filmregisseure wie Stanley Kubrick oder Martin Scorsese auf die Komposition zurückgriffen, um Spannung und ein Gefühl der Unheimlichkeit aufzubauen.
Das Publikum im Würzburger Dom war jedenfalls mucksmäuschenstill, als die Bamberger Symphoniker unter der Leitung ihres ehemaligen Chefdirigenten Jonathan Nott aus der kleinen Keimzelle eines einzigen, sehr leisen Tons heraus allmählich das Kirchenschiff fluteten. Nicht nur der Tonraum erweitert sich, auch Dynamik und Intensität, Farben und Klänge spielen in einer Fläche, die eigentlich vom Stillstand geprägt ist. Dennoch passiert ungeheuer viel, in jeder Sekunde verändert sich das Erleben, breitet sich mal schwärzeste Tiefe aus oder flirrende Höhe.
Jonathan Nott schlägt zwar den Takt, dennoch scheint es kein Metrum zu geben, so bruchlos ist das Wabern und Oszillieren, so unendlich kriecht der Klang, dringt vor, zieht sich zurück, schwebt schließlich wie ein Nebelhauch davon. Vorsichtig, fast irritiert der Applaus, dann der Übergang zu Anton Bruckners Sinfonie Nr. 2 c-Moll. Und plötzlich wirkt Ligetis "Lontano" wie ein Vorspiel, ein "nullter" Satz zu diesem ausladend dimensionierten Werk.
Die Bamberger spielen rund, geschlossen und elegant
Auch Bruckners Musik erfüllt den Raum, doch zunächst auf eine fast heitere, verspielte Art. Nott webt kleine Melodiefäden zu feinen Musikschleiern, verdichtet das Geschehen immer wieder zu dynamisch brausender Wucht. Seine Interpretation ist fern von Erdenschwere, weich und elegant – keine Spur von schroffen Brüchen. Leicht verschwommen, gerade noch markant die Konturen des in dieser Fassung an zweiter Stelle stehenden Scherzos, unermesslich immer wieder die Steigerungen, die in krachende Explosionen münden.
Die Bamberger spielen rund, geschlossen und elegant, ein paar Unschärfen im Horn nimmt man kaum wahr. Die groß angelegte Architektur der Sinfonie hat ihre Längen: Immer wieder dreht das Werk Schleifen, tastet sich zurück, setzt neu an, scheint nach etwas zu suchen. Und dann – Nott nimmt sich zur Vorbereitung viel Zeit – ein überwältigender Schluss, wie eine Erlösung, getragen von dezentem Optimismus. Starker Beifall für "Bruckner im Dom".