
Papierspitzchen ragen in den farbenprächtigen Raum. Tausendemale schnitt ein scharfes Messer in die Buchseiten einer illustrierten „Alice im Wunderland“. Die zerschnitzten Papierblätter hängen – gefalzt und in sich selbst verschlungen – von der Decke und erzählen von dem Berliner Mädchen Christiane. Die heutige KünstlerinChristiane Gaebert mit Atelier in Rimpar wurde als Kind von Lewis Carrolls surrealistischer Jugendliteratur arg verstört.
Seit ein paar Jahren zeigt Gaebert ihre Rauminstallation mit Alices verwandelten Resten auf internationalen Kunstausstellungen. Dazu wuchs eine Serie mit großformatigen Radierungen um ein nacktes junges Mädchen. Das passt zu Alice, deren Autor ja heimlich Kinderakte fotografierte.
Gipfeltreffen auf fränkischem Boden
Gaebert wünschte sich schon lange, die beiden langsam gewachsenen Werkgruppen einmal gemeinsam auszustellen. Die Würzburger Galerie Professorium gab ihr nun Gelegenheit dazu. Und sie bot den Rahmen zu einer wirklich weitgespannten, überregional relevanten Doppelschau. Denn Gaebert lud als zweiten Künstler den Wahl-Hafenlohrer Hagga Bühler zum Mitausstellen ein. Der arbeitete mehrere Jahrzehnte in Frankfurt, so wie Christiane Gaebert in Berlin. Auf fränkischem Boden kam es nun zu einem Gipfeltreffen.

Bildhauer Bühler steuert gut 20 weibliche Fabelwesen bei. Das sind „Königinnen der Scheinzeit“, wie ein früherer Ausstellungstitel Böhlers lautete. Der Name der Würzburger Schau, „Alice in der Scheinzeit“, ist also weniger rätselhaft oder gar metaphysisch gemeint, als es zunächst scheint.
Hagga Bühler schnitzte seine Reihe weltgeschichtlich-allegorischer Nixen in dem gehörigen Zeitraum von fünf Jahren, was zum Work In Progress der Gaebertschen Arbeiten passt. Aber auch dann, wenn man diese Produktionshintergründe nicht kennt, fügen sich die beiden Ausstellungshälften zu einem Ganzen. Denn das kunstvoll zerschnittene Kinderbuch leuchtet gleich auf den ersten Augenschein als biografisches Werk ein, die 14 bemalten Holzstatuen an Hagga Bühlers Wand als Menschheitsgeschichte.
Christiane Gaebert hatte sich an der Seite ihrer eher introvertierten Kunst ausdrücklich „etwas Provokantes“ gewünscht. Das kann Bühler liefern. Seine Symbolfiguren sind alle weiblich, meist weitgehend entblößt und grotesk sexy proportioniert. Allerdings reizen sie nicht allzusehr auf. Sie strahlen eher soziale beziehungsweise unsoziale Prinzipien aus – Macht, Geld, Naturvergessenheit. Manche von ihnen stehen für die Opfer dieser – traditionell eher männlichen – Politik.
Die Verbindungen liegen in den Details
Je mehr man sich ins Detail vertieft, desto mehr Korrespondenzen zeigen sich zwischen den beiden Ausstellungsteilen. Der Präzision von Millimeterbruchteilen, mit der Gaebert ihr Papiermesser führte, entspricht der Feinschliff ausgewählter Partien von Bühlers Holzskulpturen. Da tritt das – vorzugsweise einheimische – Material in Kontrast zum Grobbehauenen der heftig bemalten Frauenfiguren.
Die übrigens nicht nur von den Galeriebesuchern betrachtet werden. Von einer Handvoll friesartiger Gaebert-Zeichnungen blicken Gesichter wie virtuelle Passanten auf die Szenen. Die echten Besucher werden so um virtuelle Kumpane ergänzt.
„Alice in der Scheinzeit“ im Professorium, Galerie für zeitgenössische Kunst, Würzburg, Innere Aumühlstraße 15-17. Bis 14. Dezember - geöffnet Do., Fr. 18-21 Uhr, So. 14-18 Uhr.