
Die erste Gedanke ist: Wie will sich eine filigrane Kunstform wie die Zeichnung hier behaupten? In diesem Raum voll Charakter und eigener Ausstrahlung. An diesen groben Mauern aus dunklem Buntsandstein, die ihrerseits fast so etwas wie ein Kunstwerk sind?

Aber die Ausstellung "Gedankenstrich" im Franck-Haus in Marktheidenfeld funktioniert. 100 Arbeiten waren für den Kunstpreis 2018 der Stadt in der geforderten Technik (Zeichnung) zum geforderten Thema (Gedankenstrich) eingereicht worden, 42 Arbeiten von 36 Künstlern haben die Jury und Kurator Achim Schollenberger als ausstellungswürdig eingestuft.
Es ist dabei eine in vielfacher Hinsicht spannende Mischung entstanden - von fast naiv anmutender Gegenständlichkeit bis zu maximaler Abstraktion. Das liegt zum einen daran, dass durchaus nicht nur (wenn auch mehrheitlich) Berufskünstler ausgestellt sind, sondern auch ambitionierte Laien. Es wäre ein hübsches Experiment, nur anhand der Arbeit selbst zu versuchen, den Status der Urheberin, des Urhebers zu bestimmen. Die Jury hat übrigens bei der Preisvergabe ausschließlich nach dem Werk als solchem ohne Kenntnis des Künstlers geurteilt.
Die Siegerarbeit steht längst fest, wird aber erst im Dezember bekanntgegeben
Die Siegerarbeit steht längst fest, sie sei in großer Einvernehmlichkeit bestimmt worden, sagt Inge Albert, Abteilungsleiterin für Stadtmarketing, Kultur und Tourismus. Der mit 2000 Euro dotierte Preis wird am 16. Dezember verliehen. Offen ist noch, wer den Publikumspreis gewinnt. Bis 9. Dezember können Ausstellungsbesucher ihr Votum in der gläsernen Urne hinterlassen.

Tatsächlich lebt die Ausstellung nicht so sehr von herausragenden Arbeiten, sondern von einer Vielfalt, die in gewisser Weise auch die Bandbreite der Technik widerspiegelt. Gleich im Eingangsbereich etwa Christiane Gaeberts großformatige Arbeit "Along the line Nadja Murad-Take the Line", ein One-Liner, also ein Bild, das in einem einzigen, ununterbrochenen Strich gezeichnet wird. Die vielen ineinandergeschichteten Gesichter sind ein selbstbewusster Einstieg, der interessanterweise filigraneren, zurückhaltenderen Arbeiten nicht die Schau stielt.
Etwa den beiden "Hohlköpfe" von Anita Tschirwitz, ebenfalls One-Liner, aber ganz anderer Art. Es sind sehr schlichte, aber zwingend gesetzte Formen, deren durchaus nicht hohlköpfige Ausstrahlung nicht so recht zum im Katalog mitgelieferten Statement passend will: "Vor den Gedanken (und deren Umsetzung), die in den Köpfen von Neonazis und Konsorten fröhliche Urständ feiern, muss die Demokratie auf der Hut sein."

Interessant auch die Spannung, die zwischen einer fast fotorealistischen Arbeit wie Sophie Brandes' "Nie vergessen" und Christiane Kaufmanns geometrischer Etüde "8/7/18 helldunkel" entsteht: Hier eine Kriegsszene mit Zerstörung von Flucht, dort neun Kreise, deren unterschiedliche Hell/Dunkel-Ausdeutung verblüffende optische Effekte zeitigt.
Kalligrafische Fertigkeiten offenbart Ulrike Gubiks "Setzen - 6!", ein virtuos hingeworfenes hochformatiges Tusche-Bildnis eines offensichtlich nicht amüsierten älteren Mannes. Schräg gegenüber die nur auf den ersten Blick naive Heiterkeit von Ingeborg Hergets "Aus dem Rahmen denken", eine kleine, zeichenhaft reduzierte Arbeit, die ihren Titel insofern einlöst, als eine der Figuren einfach aus dem Bild spaziert - ein kleiner, rotbeschuhter Fuß schiebt sich über das Schild mit dem Bildtitel. Im Katalog outet sich Herget, seit 40 Jahren Krankenschwester, wie folgt: "Malen, Zeichnen, Kreativsein im Kopf und vor allem geheim. Keinerlei Ausstellungen."

Gabi Weinkaufs "Fort-Laufend" könnte man von Weitem für eine Arbeit von herman de vries halten, bei näherem Hinsehen offenbart sie eine eher ungewöhnliche Technik: Die vielen parallelen Linien sind nicht gezeichnet, sondern genäht. Überhaupt: Da, wo der Arbeitsauftrag "Gedankenstrich" wörtlich genommen wird, entstehen mitunter besonders interessante Arbeiten. Sebastian Schneiders "entweder-oder" etwa, das einen Raketenstart ausschließlich mit waagrechten, unterschiedlich dick gestalteten Linien erzählt.
Das Bild ist erkennbar inspiriert von allerhand digitalen, also binären Bildprogrammen, die tatsächliche Technik - Tuschezeichnung auf Dönerserviette - bildet dazu einen reizvollen Kontrast. Oder Renate Hünigs "Im Feld der Gedanken", eine Stapelung von senkrechten (Gedanken-)Strichen, die unvermutet Räume öffnen und wieder schließen.

Gertrud Fialas zweiteilige Arbeit "In einem Himmelsgefährt auf und davon" wiederum begibt sich in den Grenzbereich zur Malerei. Zumindest nutzt sie die Möglichkeiten beider Techniken, indem sie auf eine nuancenreich verwaschene Grundierung ihr strichmännchenartiges, eigentümlich komisch anmutendes Himmelsgefährt setzt, das aussieht, als hätte man Paul Klee gebeten, eine Geschichte von Jules Verne zu illustrieren.
Der Kunstpreis der Stadt Marktheidenfeld wird seit 1998 alle zwei Jahre vergeben. Er ist mit 2000 Euro dotiert. Außerdem wird ein mit 500 Euro dotierter Publikumspreis vergeben. Ausgeschrieben werden im Wechsel die Techniken Malerei und Zeichnung. Die Stadt Marktheidenfeld kauft die Siegerarbeit an. Preisverleihung ist am Sonntag, 16. Dezember, 16 Uhr im Franck-Haus. Die Ausstellung ist bis 30. Dezember zu sehen. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 14 bis 18 Uhr, Sonntag und Feiertag 10 bis 18 Uhr. 24./25. Dezember geschlossen.