Der Rücken von Beckmanns Uniformjacke glitzert im Scheinwerferlicht. Beckmann: Das ist der arme Hund aus „Draußen vor der Tür“. Einer, der schwer traumatisiert aus dem Krieg heimkehrt und nicht mehr ins normale Leben finden kann. Und irgendwie hat die glitzernde PVC-Folie auf dem Jacken-Rücken damit zu tun. Denn sie ist mehr als nur ein optischer Gag auf der Bühne des Würzburger Mainfranken Theaters.
„Es geht um Seelenzustände“, sagt Wiebke Horn. Sie hat die Kostüme für das Wolfgang-Borchert-Stück entworfen. Und quasi die innere Befindlichkeit von Heimkehrer Beckmann auf dessen Jacke genäht, einen Maßanzug für seine Seele schneidern lassen. „Das Glitzern wirkt nass und kalt“, sagt sie. Das Kostüm-Detail weist darauf hin, dass Beckmanns erste Aktion in der Heimat ist, sich in die Elbe zu stürzen. Mit seiner Jacke trägt er – symbolisch – Suizidversuch und Lebensüberdruss mit sich herum. Die Folie spiegelt wider, was der Krieg mit der Psyche des jungen Mannes angestellt hat.
Seit dieser Spielzeit ist Wiebke Horn Leiterin der Kostümabteilung am Mainfranken Theater. Die Abteilung kümmert sich „in ganz liebevoller Einzelarbeit“ darum, die künstlerischen Vorstellungen diverser Regieteams in die Praxis umzusetzen. Dank ihrer Arbeit steckt der Barbier von Sevilla im passend auffälligen violetten Anzug und der Brandner Kaspar kann in die Folklore-Lederhose steigen. Der Aufwand ist bisweilen enorm. Für den Chor in Verdis „Die sizilianische Vesper“ wurde eigens ein Stoff mit floralem Muster bedruckt: „Diese Stoffe gibt es nur in Würzburg zu sehen“, sagt Horn. Auch Beckmanns Glitzerrücken wurde eigens von einer Spezialfirma in Berlin beschafft.
Horn, 1969 bei Bremen geboren, kennt die handwerkliche und die künstlerische Seite ihres Fachs. Nach einer Schneiderlehre studierte sie Theaterwissenschaften, Germanistik, Kunstgeschichte, Bühnen- und Kostümbild. Sie arbeitete unter anderem in Berlin und Chicago und designt Kostüme für Showprogramme auf Kreuzfahrtschiffen. In Würzburg setzt sie – mit 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – zum einen die Ideen anderer um. Sie entwirft aber auch selbst – wie eben bei „Draußen vor der Tür“.
Die Arbeit daran sei unter ihren bisher 84 Produktionen etwas Besonderes gewesen, denn: Das endgültige Aussehen der Kostüme wurde erst nach und nach, während der Proben, entwickelt. Die mehrfach ausgezeichnete Kostümbildnerin hatte so die Möglichkeit, auch auf Nuancen in der Charakterzeichnung der Figuren zu reagieren, die sich erst im Lauf der Arbeit des Regisseurs mit den Schauspielern ergaben. „Es war das erste Mal, dass ich so arbeiten konnte und es war sehr spannend.“
„Manches ist auch einfach passiert“, erzählt sie fröhlich. So ist die Dame, die in der Kabarettszene in einer stilisierten Glühbirne schaukelt, oben ein Hase und unten eine Meerjungfrau. Ein wirkungsvolles Bild („Und das finden Sie nicht im Text!“). Den dazu nötigen Flossenschwanz trieb Wiebke Horn in Amerika auf.
„Derartiges Arbeiten ist nicht möglich, wenn Sie nur als Gast an einem Theater sind und mehrere Produktionen gleichzeitig realisieren müssen“, weiß Horn. Sie aber war vor Ort, konnte die Proben verfolgen, Ideen entwickeln und diese immer wieder in die Werkstätten tragen – für die ein derartiger Ablauf eine Herausforderung an die Flexibilität ist.
Kostüme entstehen immer in Zusammenarbeit mit dem Regisseur. Wiebke Horn mag die Diskussionen, die sich daraus ergeben. Wenn die Vorstellungen auseinanderliegen – was durchaus vorkommt – „muss man eben gut argumentieren“, sagt sie. Dauerhaft zerstritten habe sie sich jedenfalls noch mit keinem Regisseur.
Kostüme zu entwerfen sei wie das Malen eines Bildes – ein Malen mit verschiedenen Strukturen, Materialien, Farben. Wiebke Horn malt in Gedanken die große Chorszene einer Oper: „Da kann es sein, dass einer einen gelben Kragen trägt und ein paar Meter weiter hat einer einen gelben Ärmel . . . “ Wie bei einem Gemälde fügten sich derartige Details zu einem großen Ganzen. „Und das Beste: Es ist ein Bild, das sich bewegt!“
Beckmanns glitzernder PVC-Rücken hat übrigens auch den Effekt, dass man den lebensmüden Krieger leichter über den Teppichboden der Bühne schleifen kann, wie von der Regie vorgesehen. Kostüme zu entwerfen ist zwar ein „künstlerischer Prozess“ (Horn). Aber die Kunst muss halt auch ganz profan in der Praxis funktionieren. Drum kam auch der historische Taucherhelm für die Figur der Elbe nicht zum Einsatz. Das Ding war einfach zu schwer . . .
„Draußen vor der Tür“ wird letztmals am 16. Mai gespielt. Karten: Tel. (09 31) 39 08-124