Am Samstag, 6. November, um 19 Uhr eröffnet im Spitäle an der Alten Mainbrücke eine Werkschau mit Tonspur, die zeigt: Lilo Emmerling ist zwar die große Dame der Konstruktiven Kunst in Mainfranken. Trotzdem erschöpft sich ihr Werk keineswegs in reiner Rationalität. Freilich, wenn man sich zwischen den leeren Engelskleidern und leblosen Heiligengewändern bewegt, die im Spitäle aufgestellt werden, dann wird man gerade wegen derer kräftigen Farbigkeit eine spirituelle Aussage der Künstlerin ahnen.
Fassen wir’s so zusammen: Die Welt war einmal von Göttinnen und Göttern bevölkert oder wenigstens beherrscht. Oder wenigstens glaubten die Menschen, dass dem so sei. Das ist jetzt a) nicht mehr so und b) nicht unbedingt eine Wendung zum Guten. Die Welt braucht Gottheiten, die besser sind als die materialistischen Götzen der Gegenwart; denn die polarisieren Menschen und zerstören die Natur.
Eben solche guten höheren Wesen bittet die Künstlerin Lilo Emmerling in dieser ihrer großen Werkparade, zur Erde herabzusteigen. Die verlassenen Hüllen ihrer bunten Skulpturen zeigen dies stumm und beredt zugleich. Und: Die Ausstellung zeigt dies mit Witz und Mehrdeutigkeit, also keineswegs priesterinnenhaft weihevoll. Mit der Werkgruppe korrespondieren nämlich zwei neue, silberne Plastiken, die eine heitere Formensprache der Neuen Sachlichkeit sprechen.
Materialien aus dem Atelier
Emmerling hat sie im ersten Lockdown konstruiert aus Materialien, die sie zufällig im Atelier fand und deshalb nicht draußen in der verseuchten Welt beschaffen musste. Die hochformatige der beiden Skulpturen könnte eine sperrhölzerne Sendeantenne darstellen, die den menschlichen Hilferuf hinauf in den Himmel schickt. Und die gedrungenere Figur? Vielleicht ein Satellit, der das Treiben der Menschlein auf der Erdoberfläche lückenlos überwacht. Und der auch den Funkspruch an die Götter abfängt.
So können Lilo Emmerlings Kunstwerke Geschichten erzählen. Drei Wochen vor der Ausstellungseröffnung, beim Atelierbesuch auf der Keesburg, ist allenfalls noch unklar, wie die übermannshohe silberne Stele heil in die Altstadt transportiert werden kann. Und wie es gelingt, die Ausstellungsbesucher tiefer in die Fragen der Götterlosigkeit hineinzuführen. Denn dazu ist technisch bereits alles vorbereitet.
Epos und Musik
Lilo Emmerling dichtete ein kleines Epos mit den Grundzügen ihrer Mythologie. Der Schauspieler Rainer Appel sprach den Text mit detailfreudiger Betonung, Burkard Schmidl komponierte eine Musik zwischen den Polen Sandalenfilm-Drohkulisse und Klanggarten-Melodienfreude. Unschlüssig ist sich die Künstlerin nun, wann und wie oft diese sieben Minuten in der Ausstellung abgespielt werden sollen. Sie will die Aufsicht schließlich nicht überbelasten.
Wie ernst ihr diese Privatreligion ist? "Wir bräuchten wohl eine Art übergeordnete Rettung. Die Welt selbst schafft es aus eigenen Kräften nicht", sagt die Künstlerin, die sich selbst von "archaischen Stätten" in Ägypten, Südamerika und anderswo angezogen fühlt. Vor deren Monumentalität wird es ihr "richtig unheimlich: Wie soll das von Menschenhand gebaut worden sein…?"