
Als vor ein paar Wochen Wladimir Putin wiedergewählt wurde, ergriff eine eigentümliche Starre die Regierenden westlicher Demokratien, Donald Trump vielleicht ausgenommen. Bloß nicht voreilig gratulieren, lautete die Devise. Der Nachrichtensender Bayern5 meldete denn auch in einer kleinen Anwandlung seltener und feiner Ironie, „Alleinherrscher weltweit“ hätten den russischen Präsidenten zu seinem Wahlergebnis beglückwünscht.
Eine Episode wie diese würde gut in die Ausstellung „Power to the People“ passen, die bis 27. Mai in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu sehen ist. Untertitel: „Politische Kunst jetzt“. Kuratorin Martina Weinhart ist ein Kunstgriff gelungen. Indem sie explizit politische Arbeiten zeigt (es sind 43), räumt sie ein beliebtes Ausschlusskriterium einfach ab. Denn politisch motivierter Kunst hängt der Ruch an, meist anstrengend und künstlerisch eben nicht besonders interessant zu sein.
Ein Hauch feiner Ironie durchzieht die Räume
Und genau das ist hier nicht der Fall. Tatsächlich durchzieht ein Hauch feiner Ironie die Räume, auch wenn die Themen oft alles andere als lustig sind. Da viele Arbeiten die Mächtigen (oder die Machthaber) nicht allzu ernst nehmen, die Menschen aber sehr wohl, entsteht so etwas wie eine Komplizenschaft zwischen Künstler und Betrachter.
Das geht im ersten Raum los. Hier hat der 1946 in Antwerpen geborene Guillaume Bijl ein „Wahlkabinenmuseum“ eingerichtet, mit – exakt nachgebildeten – Gestellen, Verschlägen, Boxen etwa aus Finnland, Aserbaidschan, Österreich, Japan, Marokko oder China.
Allein die Idee: Gehört die Demokratie denn schon ins Museum? Und: Lassen sich aus der Beschaffenheit der Kabine Rückschlüsse über die Beschaffenheit der jeweiligen Demokratie ziehen? Es gibt keine eindeutige Antwort: Die Box aus China ist aus Pappe, die aus Japan aus Metall, die aus Aserbaidschan schmückt ein prachtvoller roter Vorhang . . .
Bunte Demo-Fahnen ohne Botschaft
Phyllida Barlow, geboren 1944 in Newcastle, bereitet das Thema in der Rotunde draußen vor dem Eingang vor. Lidschäftig zusammengezimmert, ohne Slogans oder Parolen hängen bunte Fahnen dicht gedrängt, leblos und sinnentleert vor sich hin. Ein Anliegen ohne Inhalt, wenn man so will.
Unterhaltsamer sind die seriellen Arbeiten, etwa „A Circle Full of Ecstasy“ des Berliners Edgar Leciejewski, Jahrgang 1977. Leciejewski hat 77 Farbfotografien zu blaustichigen Bildkacheln arrangiert, auf jeder grüßt eine wichtige Person in irgendeine Art Menge – Politikerinnen, Politiker, Offiziere, Potentaten, Royals. Sie alle tun es mit der rechten Hand. Ein interessanter, ein wenig paradoxer Effekt tritt ein: Einerseits werden die Grüßenden dabei selbst zur nahezu gesichtslosen Menge, andererseits fühlt sich der Betrachter herausgefordert, Individuen herauszupicken und näher zu betrachten. Und entdeckt dabei, dass Grüßen eben nicht gleich Grüßen ist.
Massenhaft Langspielplatten mit politischem Inhalt
Der Israeli Dani Gal, Jahrgang 1975, hat die Cover von Langspielplatten mit politischem Inhalt zusammengestellt. Friedlich hängen da Redner wie Willy Brandt, Harry Truman, Leonid Breschnew, Mosche Dajan oder Franz Josef Strauss, die Astronauten von Apollo 11, Jackie Kennedy oder Papst Johannes-Paul nebeneinander. Die Konservierung in Vinyl betont dabei nur die Flüchtigkeit mancher einst vermutlich mit viel Emphase vorgetragenen Botschaft.
Omer Fasts, 1972 in Jerusalem geboren, hat in seiner Videoarbeit „CNN concatenated“ Fernsehschnipsel mit Worten oder floskelhaften Satzfetzen von CNN-Kommentatoren so zusammengeschnitten, dass sie einen Redefluss ergeben. Allerdings einen ohne sinnvollen Inhalt.
Interessanterweise spielen die mehr oder weniger neuen Medien keine allzu große Rolle, obwohl Phänomene wie Shit Storm oder massenhaft verbreiteten Fake News mittlerweile durchaus als machtrelevant gelten könnten. Mark Flood, 1957 in Houston/Texas geboren, bringt das mit einer witzigen Installation auf den Punkt: „5000 Likes“ ist wörtlich zu nehmen, Flood hat in eine Ecke einen Haufen Tafeln mit der Aufschrift „Like“ gekippt.
Mit Zitronen gegen Tränengas
Der Titel der Ausstellung ist einem Song von John Lennon entlehnt. Aber das Volk als Machthaber findet noch nicht oder nicht mehr statt. Das ist entlarvend, schließlich befassen sich die wenigsten Arbeiten mit Schurkenstaaten oder Krisengebieten, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Die Videoarbeit „This Lemon Tastes of Apple“ von Hiwa K bildet da die Ausnahme. Der 1985 geborene Kurde, der auf der letzten documenta bewohnbare Betonröhren aufgestellt hatte, zeigt, wie eine friedliche Demonstration in Sulaimaniyya im Irakischen Frühling gewaltsam mit Tränengas niedergeschlagen wird. Er und ein Freund liefern dazu die Musik, indem sich auf Mundharmonika und Gitarre inmitten der Protestierenden das Titelmotiv von „Spiel mir das Lied vom Tod“ spielen. Daneben sieht man Demonstranten, die einander Zitronen reichen, die sie sich zum Schutz vor dem Gas vors Gesicht halten. Der im Titel genannte Apfel ist außerdem eine Anspielung aus Saddam Husseins Giftgaseinsatz 1988 gegen die kurdische Bevölkerung: Das Gas roch perfiderweise nach Äpfeln...
Mit dem Piratenschiff auf feministischer Kaperfahrt
Ansonsten geht es um Defizite in Ländern, die (noch) als Rechtsstaaten zu gelten haben. Denn auch dort ist das private Individuum meist machtlos. Nur in der Masse kann es zumindest Forderungen formulieren. Etwa in den Fototafeln der Irin Katie Holten mit Bildern der Demonstrationen gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit der US-Regierung. Oder im „Radical Feminist Pirate Ship“ der Amerikanerin Andrea Bowers, Jahrgang 1965. Sie hat eine ehemalige Plattform der Baumbesetzer gegen die Massenrodungen in Nordkalifornien zu einem Piratenschiff umgebaut. Die Aussage: In einer phallokratischen Gesellschaft kommen Frauen nur zu ihren Rechten, wenn sie plündernd durchs Land ziehen.
Die eindrucksvollste, komplexeste und eigentümlichste Arbeit steuert der 1971 geborene Türke Halil Altindere bei. Sein Video „Ballerinas and Police“ zeigt, wie eine Sondereinsatztruppe der Polizei ausrückt, um ein Ballettstudio zu stürmen. Das Kuriose: Die schwerbewaffneten, vermummten Gestalten sind selbst Ballerinas. Die Auseinandersetzung findet nach den Regeln des klassischen Balletts statt, ist darob aber nicht minder beklemmend.
„Power to The People. Politische Kunst jetzt“: Kunsthalle Schirn, Frankfurt, bis 27. Mai. Öffnungszeiten: Dienstag, Freitag–Sonntag 10–19 Uhr, Mittwoch und Donnerstag 10–22 Uhr