
Seit November ist für Hannes Wittmer alles anders. Der Würzburger Songwriter mit Hammelburger Wurzeln tritt nicht mehr unter seinem langjährigen Pseudonym Spaceman Spiff auf, sondern unter seinem bürgerlichen Namen. Vor allem aber hat sich Wittmer für ein komplett neues Geschäftsmodell entschieden: Er verlangt keinen Eintritt mehr für seine Konzerte, sondern überlässt es jedem Besucher zu entscheiden, was er an der Kasse bezahlen möchte. Ähnlich läuft es mit seinem neuen Album „Das große Spektakel".
Das Album gibt es nicht mehr bei Amazon oder im Stream bei Spotify, sondern nur als kostenlosen Download auf Wittmers Homepage. Dort gibt es einen Unterstützer-Button, der zu Kontodaten und Paypal-Account führt. Auf diesem Weg können ihm die Fans einen Betrag ihrer Wahl überweisen – Pay-What-You-Want-Basis, nennt sich das.
Nicht Protest gegen die Musikindustrie, sondern gegen den Turbokapitalismus
„Natürlich war ich mir am Anfang nicht sicher, ob das so funktioniert, oder ob ich mir vielleicht einen Nebenjob suchen muss“, erzählt Hannes Wittmer. „Die Idee war aber auch nicht, ein alternatives Geschäftsmodell auszuprobieren, es war vielmehr eine politische Entscheidung. Ich bin einfach der Überzeugung, dass wir mit unserer Art zu wirtschaften und Dinge auszutauschen, mittelfristig total gegen die Wand fahren werden.“
Seine Entscheidung will Wittmer nicht als Protest gegen die Musikindustrie verstanden wissen. Eher als Kritik am Turbokapitalismus, als sein ganz persönliches Gegenmodell als Künstler. Seine Musik will er nicht mehr wie ein Produkt behandeln. „Wenn ich den klassischen Weg gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich mehr verdienen können“, so seine Zwischenbilanz nach neun Monaten. „Ich muss bisher auf nichts verzichten oder meine Rücklagen anknabbern. Es funktioniert also relativ solide. Das Entscheidende für mich ist aber, dass ich mit Leuten ins Gespräch komme und erfahre, wie sie reagieren."
Vor und nach den Konzerten nimmt er sich Zeit, um sein Konzept zu erklären
Das sei ihm viel wichtiger, als sein Kontostand, sagt er, er habe sich ja kein finanzielles Ziel gesetzt. Die Bewertungsgrundlage für sein Experiment ist vielmehr, ob er die Menschen zum Nachdenken anregen kann. Deshalb nimmt er sich vor oder nach den Konzerten Zeit, um über sein Konzept zu reden, Fragen zu beantworten oder mit Besuchern zu diskutieren.
Parallel schreibt er auf seiner Homepage über seine Erfahrungen und Gedanken zum Thema Geldverdienen und Kapitalismus. Wie viel Geld die Menschen bei seinen Konzerten geben, ist völlig unterschiedlich, sagt Hannes Wittmer. Sein Vorschlag online: "1-2 Scheine deiner Wahl". Viele geben 5 Euro, einige 30 oder sogar 50 Euro. Das variiere oft auch von Stadt zu Stadt.
Zum besseren Verständnis hat Wittmer einen Aushang vorbereitet, auf dem die Unkosten für ein Konzert aufgelistet sind. Und die Information, dass eine durchschnittliche Spende von 15 Euro ausreicht, um nachhaltig arbeiten zu können. "Damit können die Besucher besser einschätzen, was ein angemessener Preis ist", sagt er. Der Musiker hatte damit gerechnet, dass er bei der Tour zum aktuellen Album werde draufzahlen müssen, weil er einen größeren logistischen Aufwand hatte. Das war aber nicht der Fall.
Der Bezug zwischen ihm und seinem Publikum ist viel persönlicher geworden, sagt Wittmer. „Dadurch, dass es meine Musik nirgendwo im Handel oder auf irgendwelchen Plattformen gibt, sind die Leute dazu gezwungen, auf meiner Homepage vorbeizuschauen. Sie lesen, worum es mir geht, was ich genau mache und was meine Sorgen, Ängste oder Hoffnungen sind.“ Er schickt bei jedem Download eine Datei mit, in der er sich vorstellt, sich bedankt und erklärt. "Vielleicht sind es jetzt weniger Leute, die sich meine Musik holen, aber sie lassen sich intensiver darauf ein. Viele schicken mir persönliche Botschaften.“ Einer zum Beispiel, der gerade nicht so viel Geld zur Verfügung hatte, hat Wittmer ein Gitarrenpedal geschickt, was der tatsächlich gut gebrauchen konnte.
Die klassischen Musikmagazine verloren das Interesse, stattdessen kam das Feuilleton
Interessant fand Hannes Wittmer auch das Feedback der Presse. Die klassischen Musikmagazine, die sonst seine Platten rezensiert hatten, zeigten diesmal kaum Interesse. Dagegen meldeten sich viele Feuilleton-Redaktionen etablierter Medien wie Süddeutsche Zeitung, Bayern 2, Frankfurter Allgemeine, Deutschlandfunk oder Stern. Auf Promotion für „Das große Spektakel“ hat Wittmer fast komplett verzichtet. Er hat weder Rezensionsexemplare verschickt, noch Anzeigen geschaltet.

Vorerst will der Musiker erstmal so weitermachen. "Es macht unheimlich viel Spaß, so zu arbeiten.“ Außerdem hat er angefangen, "Guerilla-Konzerte" zu spielen: Ohne langen Vorlauf oder Ankündigung spielt er in autonomen Kulturzentren, in Ateliers oder einfach auf der Wiese vor der Uni. Also genau an den Orten, an denen er in den letzten Jahren nicht mehr gespielt hatte, weil seine Konzerte zu groß geworden waren.
Problematisch sind oft die festgefahrenen Strukturen im Live-Business, erzählt Wittmer. Die meisten Veranstalter seien auf feste Einnahmen angewiesen und müssten Angestellte bezahlen oder Familien ernähren. Die könnten nicht alle damit leben, dass ein bisschen weniger Geld in der Kasse lande. Daran will Hannes Wittmer noch arbeiten, etwa im Ampere in München, im Übel & Gefährlich in Hamburg oder im Lido in Berlin. „Mein Konzept ist ein längerer Prozess und kein einjähriges Experiment, für das ich dann einen Abschlussbericht schreibe. Ich lerne täglich dazu.“