Eigentlich kein gutes Zeichen, wie aktuell dieses Stück heute ist. Andererseits: Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Recht und Gerechtigkeit, zwischen öffentlicher Ordnung und persönlicher Freiheit wird wohl immer ein Menschheitsproblem bleiben, und in einer Zeit, in der sich 40 Prozent der Deutschen eine Diktatur vorstellen können (Studie der Universität Leipzig), stellt sich die Frage nach der Legitimität von Macht dringlicher denn je.
Insofern wirkt Heinrich von Kleists letztes Drama "Prinz Friedrich von Homburg", das am Samstag in der Regie von Intendant Markus Trabusch am Würzburger Mainfranken Theater Premiere feierte, erschreckend hellsichtig. Es geht nur vordergründig um die Frage, ob es rechtens sein kann, dass ein Offizier für eine Eigenmächtigkeit zu Tode verurteilt wird, obwohl diese sich im Nachhinein als militärisch richtig erwiesen hatte.
Wo beginnt und wo endet unsere Handlungsfreiheit?
Es geht um Grundsätzlicheres. Kleist stellt in dem 1810 vollendeten Stück nichts weniger als die Frage nach Beschaffenheit und Stabilität jeglichen sozialen Netzes. Wo beginnt und wo endet unsere Handlungsfreiheit? Wer hat das Recht, welche Regeln zu definieren? Wie benennen wir die Schnittmenge all der individuellen Motivationen, Begehrlichkeiten, Sehnsüchte? Gibt es eine solche Schnittmenge überhaupt?
Zeit der Handlung: Dreißigjähriger Krieg. Prinz Friedrich von Homburg ist einer der Generäle in der Armee Friedrich Wilhelms, Kurfürst von Brandenburg, genannt der Große Kurfürst. In der Schlacht von Fehrbellin gegen die Schweden hat Homburg den Befehl, mit seiner Einheit zuzuwarten, greift aber dennoch ein und erringt so den Sieg. Das Kriegsrecht kennt keinen Spielraum: Der Prinz muss zum Tode verurteilt werden.
Natürlich könnte der Kurfürst den im Heer beliebten Heißsporn mit einem Federstrich begnadigen und damit Mildepunkte sammeln. Doch er steckt in einem ähnlichen Dilemma wie Kreon in "Antigone" oder Wotan in "Walküre": Lässt er den Regelverstoß durchgehen, untergräbt er die eigene Autorität. Schlimmer noch: Beugt er mit einer Begnadigung das Gesetz, entzieht er seiner Stellung Legitimität und Grundlage. Immerhin: Wir haben es hier mit einem Fürsten zu tun, der sich Gesetzen verpflichtet fühlt – eine Einstellung, die nicht erst im 21. Jahrhundert sehr aus der Mode geraten wird.
Ein Wiedergänger zwischen den Bewusstseinsebenen
Bei Kleist kommt eine weitere, ziemlich moderne Komponente hinzu: Der Prinz war in der Lagebesprechung vor der Schlacht nicht aufnahmefähig, denn in der Nacht zuvor, als er schlafwandelte, hatten sich der Kurfürst und seine Offiziere ein Verwirrspiel mit ihm geleistet, dessen Folgen er nicht recht abschütteln kann. Für Homburg verschwimmen seither Traum und Wirklichkeit, was ihn, umgeben von Realisten, Pragmatikern und Opportunisten, zu einer Art Wiedergänger zwischen den Bewusstseinsebenen macht.
Die Bühne von Isabelle Kittnar ist ein in Rottöne getauchtes Landschaftsdiorama, inspiriert von den Bildern des irischen (Kriegs-)Fotografen Richard Mosse. Das Licht von Mariella von Vequel-Westernach macht darin die seelischen Topografien der Figuren sichtbar. Es sind dies rasant sich wandelnde Zustände, in Gang gesetzt von immer neuen Wendungen der Diskussionen, vor allem aber von der zunehmenden Schwierigkeit, eine gemeinsame Realitätsebene zu definieren.
In dieser suggestiven Umgebung, akustisch möbliert von Adrian Siebers Pink-Floyd-Adaption, zeichnet Regisseur Markus Trabusch überraschend vielschichtige Individuen. Menschen, die von Anfang an mehr sind als ihre gesellschaftliche Rolle und dramaturgische Funktion. Dieser "Prinz von Homburg" hat nichts von einem Lehrstück, sondern entwickelt sich mit sozusagen aufklärerischen Mitteln zu einer Art luzidem Traumgespinst, in dem die Wahrheit irgendwo tiefer liegt als auf der Ebene der Argumente.
Eine Gesellschaft, die zeigt, dass es möglich ist, gemeinsame Lösungen zu finden
Martin Liema ist als Prinz die beherrschende Figur des Abends, obwohl (oder weil) Thomas Klenk als Kurfürst und Johanna Meinhard als Natalie die Funktion mächtiger Widerlager seines Charismas übernehmen. Liema durchläuft alle Stadien vom gedankenlosen Draufgängertum des ewig Privilegierten über blanke Todesangst und schließlich (dann doch) heroische Fügung in sein vermeintliches Schicksal. Johanna Meinhard wächst aus der Rolle der verhuschten höheren Tochter in die der durchaus nicht uneigennützigen (Helden-)Macherin hinein.
Thomas Klenk spielt einen gar nicht mal unsympathischen Despoten, einen leicht resignierten Leitwolf wider Willen, der sich die Loyalität seiner Mannen letztlich dadurch bewahrt, dass er den Mut hat, auch mal Ratlosigkeit zu zeigen. Bettina Hauenschild als nur scheinbar zerbrechliche Kurfürstin, Stefan Lorch als sachlich-kühler Feldmarschall, Matthias Fuchs als alterslistiger Kottwitz, Cedric von Borries als nicht ganz so linientreuer Hohenzollern, Alexander Darkow als nicht ganz so tumber Golz und Anton Koelbl als nicht ganz so gebrechlicher Graf Truchß bilden den Rest einer Gesellschaft, die zuletzt doch noch zeigt, dass es möglich ist, gemeinsame Lösungen auch für knifflige Probleme zu finden. Insofern wäre es doch eher ein gutes Zeichen, wenn dieses Stück heute aktuell wäre.
Weitere Vorstellungen: 23. Februar, 1., 10., 14., 20., 24. März. Auf dem Spielplan bis 12. Juni. Karten Tel. (0931) 3908 124, www.mainfrankentheater.de