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Bad Kissingen
Kissinger Sommer: Was passiert, wenn echte Ungarn die Ungarischen Tänze des Hanseaten Brahms spielen
Kulturelle Aneignung oder nicht? Das Liszt Kammerorchester und das Sárközy Trio zeigten, warum echte musikalische Inspiration sich nicht um Ländergrenzen schert.
Das Sárközy Trio mit Prímás Lajos Sárközy und das Franz Liszt Kammerorchester beim Kissinger Sommer
Foto: Mathias Wiedemann | Das Sárközy Trio mit Prímás Lajos Sárközy und das Franz Liszt Kammerorchester beim Kissinger Sommer
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 16.07.2022 02:43 Uhr

Ein geschäftiger Abend für István Várdai, Cellist und Leiter des Franz Liszt Kammerorchesters aus Budapest, das am Samstag mit einem durch und durch ungarischen Programm beim Kissinger Sommer gastierte. Várdai spielte an der Seite des Geigers Kristóf Baráti nicht nur den Solopart im Doppelkonzert von Johannes Brahms – ein Stück, das als Pensum für einen Abend völlig ausreichen würde. Sondern auch das erste Cello in der Streichorchester-Bearbeitung von Brahms' B-Dur-Streichsextett und vor allem den Solopart in David Poppers Ungarischer Rhapsodie.

Brahms hörte genau zu, wenn er mit Musik der Sinti und Roma in Berührung kam

Popper (1843-1913), der Säulenheilige aller virtuosen Cellisten, hat das Werk mit allen erdenklichen Schwierigkeiten vollgepackt – Doppelgriffkaskaden und rasante Läufe wechseln jäh mit zutiefst ausdrucksvollen Passagen. Wie das in der ungarischen Musik eben so ist.

Nun könnte man argumentieren, dass weder der Hanseat Brahms noch der in Prag geborene Popper Ungarn sind, und möglicherweise gibt es Menschen, die das in Zeiten, in denen "kulturelle Aneignung" als unredlich gilt, auch kritisieren. Sie könnten falscher nicht liegen.

Das Sárközy Trio mit Prímás Lajos Sárközy, Gyula Csik am Cimbalom und Sándor Csik am Bass
Foto:  Lajos Sárközy jr. | Das Sárközy Trio mit Prímás Lajos Sárközy, Gyula Csik am Cimbalom und Sándor Csik am Bass

Brahms und Popper hörten genau zu, wenn sie mit traditioneller osteuropäischer Musik in Berührung kamen, vor allem der der Sinti und Roma, und so stehen an diesem Abend ihre Werke gleichwertig neben denen der "echten" Ungarn Béla Bartók, Zoltán Kodály und Leó Weiner. Unterstrichen wird das durch einen entscheidenden Kunstgriff: Neben und mit dem vorzüglichen Franz Liszt Kammerorchester spielt das Sárközy Trio mit Violine, Cimbalom (eine Art Hackbrett) und Kontrabass, ein Roma-Ensemble um den fabelhaften Prímás Lajos Sárközy.

So ersetzt das Trio das Orchester in der Popper-Rhapsodie – mit einem ebenso verblüffenden wie beglückenden Effekt: Aus einem Virtuosen-Kunststück von eher begrenzter Tiefe wird ein musikantischer Höhenflug voll Licht, Leichtigkeit und Leidenschaft. István Várdai spielt den Solopart mit einer so unprätentiösen, fast bescheidenen Souveränität, dass ihm die Herzen des Saals in Mengen zufliegen.

Aus einem Virtuosen-Kunststück von eher begrenzter Tiefe wird ein musikantischer Höhenflug

Dennoch: Das eigentliche Ereignis sind die Ungarischen Tänze Nr. 1, 5 und 6 von Brahms, gespielt von Trio und Orchester gemeinsam. Wie im barocken Concerto Grosso wechseln Tutti- und Concertino-, also Trio-Passagen einander ab, überschneiden und überlagern sich. Lajos Sárközy führt auf seiner Geige an, kommentiert, unterstreicht, schmückt aus. Es ist ein Fest höchster instrumentaler und musikalischer Kunst.

Der Einfall, dem Konzert eine musikalische Lesung folgen zu lassen, hatte vorab durchaus verlockend geklungen, und für sich genommen war der Auftritt der Schauspieler Michael Rotschopf und Max Urlacher und des Pianisten Xiaolu Zang mit dem Briefwechsel zwischen Richard Wagner und Franz Liszt absolut unterhaltsam und aufschlussreich (zumal Wagner in seinen Briefen offenbar nur jammerte und bettelte). Im Rückblick wäre es aber schöner gewesen, hätte man die beseelten Klänge des Konzerts noch etwas länger auf sich wirken lassen können.

 
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