Natürlich kommt man nicht umhin, ständig an das zu denken, was gerade in London passiert – oder eben nicht. Nicht erst ganz zum Schluss, wenn sich alle goldgewandet in den Armen liegen und „Ein Hoch auf die Ehre Alt-Englands!“ singen. Man muss auch an das aktuelle Desaster denken, wenn Luftgeist Philidel in Nebelschwaden nach einer verlorenen Schlacht über das Leichenfeld flirrt und irrt und entsetzt ein schauriges „Erbarmen! Erbarmen!“ jammert und klagend die blauen Fahnen mit dem roten Kreuz von den schiefen Masten herabreißt. Oder wenn die Zauberer gefragt sind: „Es muss doch Mittel geben, diesen Bann zu brechen.“
Das Libretto von John Dryden gespickt mit Nationalismen, Premiere just am 30. März: Natürlich ist „King Arthur“ am Würzburger Mainfranken Theater auch eine Produktion zum „Brexit“. Wenngleich mit mehr Ironie als bei Spielplan-Entstehung vielleicht mal gedacht. Und auch wenn es in der Semi-opera von Henry Purcell, uraufgeführt anno 1691 in London, natürlich vor allem um stolze Könige, schöne Frauen, Zauberei und die Macht der Liebe geht. Man wünschte sich nur, anderthalb Jahrtausende nach der Artus-Sage, in diesen Tagen auch so einen Merlin, der klug und geschickt die Geschehnisse lenkt und seinen Zauberstab an eine fähige Frau weiterreicht.
Wie eben am Mainfranken Theater. Wo – kaum ist donnernd das Schwert vom Himmel gefallen, das Artus zum rechtmäßigen König von England macht – Merlin, dem Georg Zeies souveräne Lässigkeit verpasst, aus einem Kleiderhaufen kriecht und unter den Herumstehenden die Rollen verteilt. Und eben den Taktstock an Marie Jacquot, die musikalische Leiterin, übergibt, die dann mit ihrem kleinen Orchester in den gar nicht tiefen Graben steigt, um gute zwei Stunden zauberhafte Musik zu bieten zum anstehenden Spektakel auf der Bühne.
Ja, Henry Purcells „King Arthur“ ist schönstes Barockspektakel: mit Gesang natürlich, aber auch mit wilden Kämpfen, anmutig-verhuschten Tänzen, reichlich Slapstick und manchmal gar etwas Akrobatik. Vom Begriff "Semi-Oper" sollte man sich nicht irritieren lassen. Den Briten war Ende des 17. Jahrhunderts eine reine Oper zu wenig, sie wollten alles: Gesang, Tanz und Schauspiel. Und so bekommt man jetzt am Mainfranken Theater nichts Halbes, sondern dreifache Bühnenkunst geboten. Erstmals seit langem wieder sind alle drei Sparten an einer gemeinsamen Großproduktion beteiligt. Ein Kraftakt, der unter der Regie von Dominik von Gunten und Choreograf Kevin O’Day zusammen mit der (leider scheidenden) Ersten Kapellmeisterin ganz außerordentlich vergnüglich und atmosphärisch gelingt.
Die Handlung des Barock-Musicals, bei dem die Musik wie im Melodram den Text illustriert? Schnell erzählt: Briten-König Artus und Oswald, König von Kent und Anführer der Sachsen, ringen um die Macht auf der Insel und die Liebe der blinden Emmeline, unterstützt von ihren Zauberern und Helfergeistern – hier Merlin und Philidel, da Osmond und Grimbald. Bis die Könige, in Würzburg gespielt von Cedric von Borries und Alexander Darkow, mit nacktem Oberleib im finalen Zweikampf dramatisch über die Bretter balgen, gibt es reichlich Ent- und Verführungen, Zaubereien und manchen Bann im verzauberten Wald.
Schauspiel, Musik und Tanz werden hier derart eins, dass Haupt- zu Neben- und Neben- zu Hauptrollen werden, dass man angesichts der eindrucksvollen Ensemble-Gesamtleistung kaum jemanden hervorheben mag. Gewitzt sichtbar gemacht ist das Triumvirat der Sparten in der Figur des kecken Luftgeists, den Schauspielerin Julia Baukus, Tänzerin Katherina Nakui und die agile Sopranistin Akiho Tsujii (die auch noch göttlich Cupido und Venus singt) stets drei-drei-dreifach verkörpern. Überhaupt lebt diese Inszenierung in schönster Barockmanier vor allem vom Witz und vielen netten Regie-Ideen in den Kulissen von Philipp Nicolai und Kostümen von Sabine Böing –blöckende Lämmchen, Wolkenschiebereien und trippelnde Bäume inklusive.
Der Chor: kraftvoll, stark ob bei Trinklied, Jubel oder Geisterszenen. Das kleine Orchester, bei dem vor allem Theorbe und Cello, Piccolo und Oboe gefallen, spielt zwar auf modernen Instrumenten, immer aber wunderbar warm und tänzerisch, dabei präzise und klar. Wuchtig-schmetternd wird’s nur, wenn es der König mal ausdrücklich verlangt. Überhaupt, Purcells Musik: sehr rhythmisch, sehr vital, fast schon mit Ohrwurmqualität!
Dann sind da, um doch drei Extra-Erwähnungen zu machen, noch Bariton Daniel Fiolka, der mit viel Schauspielgabe als grimmiger hintertriebener Grimbald am Ende den Geschehnissen zerknirscht sein entblößtes Hinterteil zeigt. Oder Bass Igor Tsarkov, der als Genius der Kälte alles andere als kühl und frostig die populärste Arie der ganzen Oper singt. Oder der schlichtweg tolle Tenor Mathew Habib, von dem man sich am liebsten die ganze Sagengeschichte erzählen lassen würde.
Den leuchtenden Zaubertrank, der der blinden Königsverlobten schließlich die Sehkraft verleiht, wünschte man sich auch aktuell den Briten. Und Merlin, der aus der Zukunft kommt, gönnt sich beim Happy End eine kleine prophetische Mahnung an die Nachgeborenen – für ein Britannien frei von bösen Geistern. Vom bestens unterhaltenen, erheiterten Premierenpublikum langer Applaus!
Nächste Vorstellungenam 7., 17., 26. und 30. April und 3. Mai jeweils um 19.30 Uhr, am 5. Mai um 15 Uhr. Karten: Tel. (0931) 39 08-124, Mail: karten@mainfrankentheater.de