
Christian Schidlowsky und das Maßbacher Team haben aus dem vielfach preisgekrönten Kinderkrimi "Rico, Oskar und die Tieferschatten" von Andreas Steinhöfel das Kinder-Sommertheater-Stück dieser Saison gemacht (für Kinder ab 6). Es liegt was in der Berliner Luft in Steinhöfels Krimi-Reihe: das Hinterhof-"Miljöh" Heinrich Zilles, zeitversetzt in die 1990er Jahre. Das macht – neben der Geschichte einer Freundschaft zweier grundverschiedener Jungs – den besonderen Reiz der (auch verfilmten) Rico-Romane aus. Die große Frage: Kann das "Miljöh" auch auf der Freilichtbühne lebendig werden?
Es kann. Aber auf ganz andere Art als im Buch. Die Grundsituation: In einem Kreuzberger Mietshaus wohnt der elfjährige Frederico "Rico" Doretti zusammen mit seiner einsamen, verwitweten Mutter. Ihre Suche nach einem neuen Partner erweist sich als gar nicht so einfach. Rico kennt also die grauen Gefühle, die einen manchmal überkommen. Die Umstände von Vaters Tod hütet er als großes Geheimnis.
Ein Detektiv-Traumpaar, vor dem Kästners Gustav mit der Hupe die Schieberkappe gezogen hätte
Der Junge, der eine Förderschule besucht, bezeichnet sich selbst als "tiefbegabt". Wenn es ihm zu hektisch wird, geraten in seinem Oberstübchen ein paar Sachen durcheinander, wie die Bingokugeln im Rentnerclub "Graue Hummeln". Sonst aber ist er ein kluges Köpfchen. Wenn man ihm Zeit lässt, kann er sich alles zusammenreimen.
Als er den etwas jüngeren und etwas klein geratenen Oskar kennenlernt, ist er angetan: Oskar scheint zwar ein furchtbarer Angsthase zu sein, aber dafür ist er "hochbegabt" - gute Voraussetzungen für ein Detektiv-Traumpaar, vor dem Erich Kästners Gustav mit der Hupe (aus "Emil und die Detektive") seine Schieberkappe gezogen hätte. In der Nachbarschaft wohnt eine Reihe seltsamer, vom Leben gezeichneter Gestalten. Eine von ihnen könnte der geheimnisvolle Kindesentführer sein, der ganz in der Nähe sein Unwesen treibt.

All das lässt sich auf einer Sommerbühne bestenfalls andeuten. Also nähern sich Schidlowsky und die Maßbacher der Geschichte anders: Benjamin Jorns (Rico), Susanne Pfeiffer (Mutter), Silvia Steger (Oskar), Jack Rehfuss und Jonas Stüdemann (Nachbarn) fantasieren und improvisieren um den Kern der Handlung herum. Das Mietshaus wurde von Bühnenbildner Robert Pflanz in die Breite gebaut, Christina Halbfas' Kostüme unterstreichen das Schräge der Figuren.
Die Fantasien beginnen mit einem dramatisch choreografierten Tanz, dessen Bedeutung sich erst am Ende erschließt. Aber das ungewöhnliche Stilmittel ist so etwas wie ein Warm Up für das Publikum. Auch das zweite Fantasiebild – drei "Bingokugeln" aus Ricos Kopf (dargestellt von Schauspielern mit Bingokugel-Mützen) – bringt die Verwirrung des kleinen Helden auf den Punkt.
Silvia Steger stellt den kleinen Oskar auf den Knien rutschend dar
Und so geht es in einem fort: Oskars kleine Größe wird durch seine auf Knien rutschende Darstellerin improvisiert (bitte Schmerzzulage für Silvia Steger!). Oder: Das Um-die-Wette-Starren von Oskar und Mutter. Die Nachbarn mit ihren Ticks. Mutters Tanz mit einem riesigen Therapie-Ball. Ricos erste Mädchenberührung ("Uuuh! Gar nicht so schlecht!"). Waghalsige Hinterhaus-Kletterpartien. Und noch einmal ein Gemeinschaftstanz zu einem italienischen Dahinschmelz-Schlager in Erinnerung an Ricos Vater.
Das alles sind Zutaten, die die Lust am Zugucken befördern, gerade für die Kinder, die die tieferen Schichten der Geschichte noch nicht so richtig ergründen können. Nach einer Stunde geht ein Spiel zu Ende, das Steinhöfels spannenden Kinderkrimi mit vielen eigenen Einfällen umgarnt, die das junge Publikum immer wieder zum Lachen bringen und mitfiebern lassen. So wird aus der Berliner Luft, die man im Buch schnuppert, ein Maßbacher "Miljöh", das die Kinder inspiriert, die Türen ihrer Fantasie weit zu öffnen.
Vorstellungen auf der Freilichtbühne bis 3. August. Karten und Infos über Tel. (09735) 235. www.theater-massbach.de