zurück
MASSBACH
Kafkas Alptraum
„Die Verwandlung“: Seltsamen, unverständlichen Vorgängen ausgeliefert – Franz Kafkas literarischer Alptraum ist womöglich einer, den jeder hat. Sind wir nicht alle ein wenig Samsa?
Schriftsteller Franz Kafka       -  Franz Kafkas Blick auf die Welt ist eigenwillig, verstörend und faszinierend.
Foto: dpa; THINKSTOCK; Ralph Heringlehner | Franz Kafkas Blick auf die Welt ist eigenwillig, verstörend und faszinierend.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 27.04.2023 05:34 Uhr

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Einfach so. Als könne derartiges dem Menschen über Nacht passieren wie ein Schnupfen. Aber so ist sie, die Welt von Franz Kafka. Unbegreifbar. Die Geschehnisse folgen keiner nachvollziehbaren, kerzengeraden Logik. Ein undurchschaubares labyrinthisches Prinzip scheint hinter allem zu stecken. Und weil er das, was ihm widerfährt, nicht begreifen kann, ist der Mensch hilflos. Wie ein Käfer, der, auf dem Rücken liegend, mit den Beinen zappelt. Wer hat sich nicht schon einmal so gefühlt? Ausgeliefert und machtlos? Grotesken Strukturen unterworfen? Kafkas Alptraum ist ein kollektiver Alptraum. „Die Verwandlung“, bekannteste Erzählung des Prager Literaten, gießt die Lebensängste moderner Menschen in eine literarische Form.

Am Freitag bringt das Theater Schloss Maßbach„Die Verwandlung“ auf die Bühne. Ingo Pfeiffer hat die 1912 entstandene Erzählung für die Bühne umgearbeitet. „Der Zuschauer soll erleben, was der Leser erlebt“, sagt Pfeiffer – im Idealfall sogar noch mehr: Weil Theater ein physisches Element hinzufügen kann.

Der Schauspieler und Regisseur kommt bei seiner Bühnenbearbeitung ohne einen Erzähler aus. „Alles, was passiert, wird szenisch dargestellt“, sagt er. Die Texte von Kafkas Erzähler, der leidenschaftslos über die Vorgänge informiert, hat Pfeiffer in Monologe von Gregor oder Dialoge mit den anderen Personen umgearbeitet: „Gregor spricht seine Gedanken aus“, sagt Pfeiffer. Manches an Kafkas Prosa musste er in Dialoge umformen. Was bei Kafka an wörtlicher Rede der Nebenfiguren vorkommt, werde genutzt.

All das ist im Interesse einer möglichst schlüssigen – und spannenden! – Dramaturgie. Und: Pfeiffer musste kürzen. Die Lesedauer betrage drei Studen, schätzt er. Ungekürzt würde darauf auf der Bühne ein viel zu langes Stück, das durch die Länge womöglich an Wirkung verlöre.

Wirkung auf den Zuschauer ist für Theatermann Pfeiffer natürlich wichtig: „Ich möchte die surreale Atmosphäre der Vorlage rüberbringen“, sagt er. Das Publikum soll die Verwandlung vor sich sehen. Ein Vorteil: Pfeiffer ist auch Regisseur. Der Bearbeiter Pfeiffer hat also auch immer die Möglichkeiten der Bühne und des Bühnenbildes vor Augen. Er kennt das Theater. Er weiß, was in dem Raum geht und was nicht.

Kafka lässt seinen zum Käfer mutierten Gregor auch an Wänden und Decke umherklettern. Wie sieht das dann auf der Bühne aus? Da werde auch geklettert, versichert Pfeiffer, „das Bühnenbild ist fest gebaut.“ Und Hauptdarsteller Benjamin Jorns ist offensichtlich auch sportlich genug . . .

„Wirklichkeiten“ ist das Schwerpunktthema dieser Spielzeit im Theater Schloss Maßbach. Auch ein Grund, „Die Verwandlung“ auf den Spielplan zu nehmen. Die Wirklichkeit: Jeder nimmt sie als feststehend hin. Jeder glaubt, sie sei genauso, wie er sie begreift und alle anderen sähen sie auch so. Eine Illusion.

Kafka steigert diese Tatsache ins Groteske. Für seinen Antihelden Gregor Samsa hat sich die Wirklichkeit – und die Sicht auf sie – radikal verändert. Verständigung mit der menschlich gebliebenen Familie ist nicht mehr möglich. Auch, weil die Familie nicht bereit ist, auf Gregor und seine Wirklichkeit einzugehen. Gregor verendet und wird von der Bedienerin entsorgt. Aus ihrer Sicht hat sie Ungeziefer beseitigt. Nur der Leser weiß, dass Gregor bis zuletzt wie ein Mensch gedacht und gefühlt hat.

Die unterschiedlichen Wirklichkeiten sollen schon im Maßbacher Bühnenbild aufeinanderprallen. „Die Bühne ist zweigeteilt“, erklärt Ingo Pfeiffer. Der vordere Teil zeige naturalistisch ein bürgerliches Wohnzimmer. Gregors Zimmer – Gregors Wirklichkeit – im Hintergrund sei schräg und skurril, erklärt der Regisseur. „Wie ein expressionistisches Kunstwerk.“

Bearbeiter und Regisseur Ingo Pfeiffer will auch noch einen anderen Aspekt der Geschichte zeigen: „Gregor ist wie ein Nutztier, das ausgesondert wird.“ Jahrelang hat er die Familie ernährt, war der Einzige, der Geld nach Hause brachte. In seiner Käfer-Existenz kann er das nicht mehr. Er ist über Nacht unbrauchbar geworden für die bürgerliche Gesellschaft.

„Die Verwandlung“ wird vom 3. November bis 10. Dezember gespielt. Karten: Tel. (0 97 35) 235 www.theater-massbach.de

Ingo Pfeiffer hat die Erzählung „Die Verwandlung“ fürs Theater Schloss Maßbach eingerichtet.
Foto: ralph heringlehner | Ingo Pfeiffer hat die Erzählung „Die Verwandlung“ fürs Theater Schloss Maßbach eingerichtet.
Dead cockroach       -  _
Foto: Dimijana (iStockphoto)
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Maßbach
Ralph Heringlehner
Franz Kafka
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen