Seine Mutter sagte einmal über ihn: „Er war so ein braver Junge, und jetzt sagt er so böse Sachen“, und in einem seiner Bücher zitiert er seinen Vater so: „Wie kann ein Mensch, der so denkt wie du, vernünftige Zeitgenossen zum Lachen bringen?“ Vermutlich gerade, weil Dieter Hildebrandt genau so dachte und nicht anders: „Die da oben haben angefangen. Und sie hören nicht auf.“ Über Jahrzehnte hat sich Dieter Hildebrandt das Urteil erhaspelt, das scharfzüngigste Lästermaul der Republik zu sein. „Häuptling Scharfe Zunge“, wie er mal genannt wurde, ist in der Nacht zum Mittwoch verstummt. Deutschlands prominentester Kabarettist starb überraschend schnell im Alter von 86 Jahren an Prostatakrebs.
„Ich kämpfe bis zum Schluss.“ Mit diesem Satz hat die Münchner Tageszeitung „tz“ Hildebrandt noch in ihrer Mittwochsausgabe zitiert, als sie über seine Erkrankung berichtete. Als das Blatt morgens am Kiosk lag, war Hildebrandt im Kreise seiner Familie in einem Münchner Krankenhaus bereits gestorben. Im Sommer soll er die Diagnose bekommen haben. Nachdem sich sein Gesundheitszustand zwischenzeitlich gebessert hatte, durfte er nach Hause. Zuletzt habe es einen schweren Rückschlag gegeben, hieß es.
„Es hört sich etwas leichtfertig an, aber: Ich habe keine Angst vor dem Tod.“ Das sagte Dieter Hildebrandt vor elf Jahren, in einem engen Sessel an einem kleinen runden Tisch sitzend in der schmalen Lobby eines Hotels in Ludwigshafen, wo er kurz vor seinem 75. Geburtstag auf seine Karriere blickte und auf sein Leben auch. Hildebrandt wirkte ziemlich realistisch, relativ uneitel und versprühte auch einen schönen Schuss Sarkasmus: „Im Allgemeinen ertrage ich Lob, aber wenn Leute aufgrund eines aktuellen Datums gezwungen werden, Lob auszusprechen, ist das eigentlich gleichbedeutend mit einer Beerdigung.“
Wenn es stimmt, dass Dieter Hildebrandt wirklich keine Angst vor dem Tod hatte, dann lag das vielleicht auch daran, dass er ihm zu oft begegnet ist. Das erste Mal mit 16, als er in den Krieg geschickt wurde. „Das Erste, was ich machen musste, war, einen Gefallenen aus der Hauptkampflinie zu tragen. Als wir ihn niedergelegt hatten, blieben die Hände oben stehen, er hat gerochen, und es war heiß“, hat er mal erzählt. Seitdem hat er „alles, was Krieg sein könnte, bekämpft. Im Ingrimm. Ganz humorlos“.
Gespräche als Zeitreise durch die Republik
Humorig waren Gespräche mit Dieter Hildebrandt nur phasenweise, manchmal war es ein wenig wie eine Geschichtsstunde, und es hatte stets viel von einer Zeitreise durch die Republik. Wenn er ins Erzählen kam, dann brach sich, wie auf der Bühne, die beiläufig verplauderte Assoziation Bahn, bei der nie wirklich deutlich wurde, was improvisiert und was ausformuliert sein könnte. Dieter Hildebrandt war eine Instanz in Sachen Satire, die Symbolfigur des klassischen Politkabaretts. „Beim politischen Kabarett hat man es meistens mit Triebtätern zu tun“, sagte er damals in Ludwigshafen. „Mit Menschen, die politisch verletzlich sind und die sich entschlossen haben, eine Lippe zu riskieren.“
Hildebrandt kam aus dem schlesischen Bunzlau, wo er am 23. Mai 1927 als Sohn eines Oberlandwirtschaftsrats geboren wurde, er besuchte die Zahnschen Erziehungsanstalten. Wie fast jeder damals war er in der Hitlerjugend, „ich bin aufgewachsen mit der Pflicht zum Gehorsam, mit der Pflicht zum Dienen, dem Staat zu dienen, ohne zu fragen“. Dass er im April 1944, als 16-jähriger Luftwaffenhelfer, der NSDAP beigetreten sein soll, wie über 60 Jahre später publiziert wurde, konnte sich Hildebrandt nur über ein Sammelverfahren erklären; seine Unterschrift zu einem Parteibeitritt habe er nie gegeben, betonte er, auch in einem Interview mit dieser Zeitung.
Was Prominente Dieter Hildebrandt nachrufen:
- Mathias Repiscus, Chef der Würzburger Kabarettbühne Bockshorn
- Michl Müller, Kabarettist aus Bad Kissingen
- Josef Hader, Kabarettist aus Wien
- Frank-Markus Barwasser (Erwin Pelzig), Kabarettist aus Würzburg
- Urban Priol, Kabarettist aus Aschaffenburg
Das Kriegsende erlebte er in britischer Gefangenschaft. Im Grunde, sagte er in Ludwigshafen, war sein Wirken „ein Reflex, der zum großen Teil aus Zorn“ bestand. Ein Zorn, der sich hauptsächlich daraus speiste, dass das Nazi-Regime weggelogen worden sei. „Wir hatten so lange das Gefühl, hier wird Geschichtsklitterung vor unseren Augen betrieben.“ Das erzeugte Widerstand und Wut. Später nannte er sich mal „Daniel Bühnentrieb“.
Hildebrandt sympathisierte immer mehr mit den Roten als mit den Schwarzen, Parteimitglied aber war er nie: „Wenn ich eingetreten wäre, wäre ich ganz sicher wieder rausgeschmissen worden.“ Und wenn er zu erklären versuchte, weshalb „ein demokratisches System wie unseres es sich unbedingt erlauben können muss, sich eine so auch genannte kommunistische Partei zu leisten“, und wenn er sich aufregte über die Sprache der Politik und die Schamlosigkeit, mit der die Politiker „das Volk betrügen“, dann konnte man schnell ein Gefühl für die Leidenschaft bekommen, mit der sich Hildebrandt an der Politik und ihren Gestaltern wundscheuerte.
In der Oberpfalz, in Windischeschenbach, fand Dieter Hildebrandt nach dem Krieg seine Eltern wieder, und als das Gymnasium in Weiden wieder eröffnet wurde, schwindelte er sich in eine höhere Klasse, um schneller das Abitur machen zu können. In München begann er Kunstgeschichte, Literatur- und Theaterwissenschaften zu studieren, seinen Lebensunterhalt verdiente er sich mit Kistenschleppen in einem amerikanischen Warenlager, mit Zigaretten handelte er schwarz, er fuhr reparierte Regenschirme aus, und in Trude Kolmans Kabarett „Die Kleine Freiheit“, der legendären Bühne in Schwabing, wies er Plätze zu.
„Die Kleine Freiheit“ wurde für Dieter Hildebrandt zum großem Sprungbrett. Zufall. Eines Tages fiel ein Programm aus, weil einer aus dem Ensemble krank wurde. Hildebrandt sprang ein. „Die Chefin hatte mal einen Auftritt von unserem Studenten-Ensemble gesehen, und von dem Tag an hat sie behauptet, sie hätte mich entdeckt.“
Der Rest von Hildebrandts Werdegang ist Legende. Er lernte den Sportreporter Sammy Drechsel kennen und schätzen, mit ihm und mit den Schauspielern Ursula Herking, Klaus Havenstein und Hans-Jürgen Diedrich gründet er die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“. Im Dezember 1956 war Premiere, Titel: „Denn sie müssen nicht, was sie tun.“ Mit seinen Lach- und Schießgesellen hat Hildebrandt die Politik aber nicht wirklich in Wallung versetzt, erst seine Fernsehsendungen sorgten für bisweilen hysterische Reaktionen.
Seine im Zweiten gezeigten „Notizen aus der Provinz“, die erste regelmäßige Satiresendung im deutschen Fernsehen, wurden regelmäßig von Protesten der sogenannten christlichen Parteien begleitet. 1980, es war das Jahr, in dem Strauß gegen Kanzler Schmidt antrat, verordnete der ZDF-Programmdirektor Dieter Stolte eine Sendepause. Die Denkpause nutzte Hildebrandt: Er ging zum Sender Freies Berlin (SFB), wo der „Scheibenwischer“ geboren wurde, für den Dieter Hildebrandt bis 2003 Stimme und Gesicht war.
Auch wenn er immer wusste, dass „man als Kabarettist ja nicht in der Lage ist, wirklich etwas zu verändern“ – natürlich hätte Dieter Hildebrandt nicht gemacht, was er gemacht hat, wenn er nicht zumindest die Illusion gehabt hätte, bei irgendwem irgendetwas zu bewegen: „Ich meine, dass ich eine kleine Gruppe von Menschen davon überzeugt habe, dass man ein Problem von mehreren Seiten aus betrachten kann. Das ist doch schon sehr viel wert.“ Wie wahr.
Dieter Hildebrandt -Stationen im Leben des Kabarettisten:
- 1927: Am 23. Mai geboren in Bunzlau
- 1950: Studium der Theaterwissenschaften und Literatur in München (bis 1955)
- 1955: Gründung des Studentenkabaretts „Die Namenlosen“ in München
- 1956: Mitbegründer der „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“
- 1956: Heirat mit Irene Mendler (gestorben 1985 an Krebs), zwei Töchter
- 1972: ZDF-Satirereihe „Notizen aus der Provinz“ (bis 1979)
- 1974 „Autorenkabarett“ mit Werner Schneyder (bis 1982)
- 1980: ARD-Reihe „Scheibenwischer“ (mit Hildebrandt bis 2003)
- 1983: „Kehraus“ (Kinofilm)
- 1985: Gefeiertes Gastspiel mit Werner Schneyder in der DDR auf Einladung der „Leipziger Pfeffermühle“
- 1986: Autobiografie „Was bleibt mir übrig – Anmerkungen zu (meinen) 30 Jahren Kabarett“
- 1986: Fotograf „Herbie Fried“ neben Klatschreporter „Baby Schimmerlos“ (Franz Xaver Kroetz) in der TV-Serie „Kir Royal“
- 1988: „Man spricht deutsh“ (Kinofilm)
- 1992: Heirat mit der Kabarettistin Renate Küster
- 2000: Theaterstück „Sonnyboys“ mit Werner Schneyder
- 2010: Erstes Solo-Bühnenprogramm „Ich kann doch auch nichts dafür“, mit dem er bis Sommer 2013 auf Tour war
- 2012: Internet-TV-Magazin „stoersender.tv“, mit Kollegen wie Frank-Markus Barwasser, Urban Priol, Georg Schramm und vielen mehr Hildebrandt wurde mit so ziemlich jedem Kabarettpreis ausgezeichnet, der im deutschsprachigen Raum verliehen wird, außerdem erhielt er mehrfach den Adolf-Grimme-Preis, die wichtigste Fernsehauszeichnung. Text: dpa/tbr