Einen Moment bitte, halten Sie inne. Überlegen Sie einfach mal kurz, was bleibt aus diesem ungraden Jahr. Was fällt Ihnen ein? Was ist vorgefallen, passiert, geschehen in der Welt, das unbedingt noch einmal erzählt und erklärt werden muss? Und über welchen Politiker, welchen Promi der Kategorien A, B, C sollte man unbedingt noch einmal ein wenig Spott niedergehen lassen? Wer darf im Rückblick nicht fehlen?
Tja. So geht's den Kabarettisten, die dem Jahr satirisch Tschüssikowski sagen, auch. Die Welt ist verflixt schnelllebig geworden, und wer mag sich schon noch erinnert an das, was vor sechs, sieben, elf Monaten war . . . Wenn dann noch echte Helden, Stars und Schurken fehlen, nicht mal Fußball-WM war und alle nur noch übers Klima sprechen . . .
Urban Priol, dem Aschaffenburger mit klugem Kopf und flinker Zunge, fällt natürlich schon was ein zu diesem Jahr 2019 – und was zu sagen hat er auch. Nur, Jahresrückblickskabarettisten stehen ja vor der größeren Herausforderung, so eine Jahresbilanz von Ende November bis Ende Januar auf die Bühne zu bringen. Und wer weiß schon, ob beispielsweise am 22. Januar, wenn Priol ins Theater der Stadt in Schweinfurt kommt, die SPD gerade zwei, einen oder vielleicht mal wieder keinen Vorsitzenden hat?
Ins Würzburger Bockshorn war der 58-jährige süffisante Satiriker mit ganz, ganz frischem Programm gekommen, in der Textkladde dampften quasi noch druckfrisch die Seiten. "Und schon wieder kann ich's umschreiben." Wer hätte auch geahnt, dass nicht "die rote Null, die an der schwarzen Null festhält" neuer SPD-Vorsitzender wird. Sondern, dass keine zwei Stunden vor Priols Rückblicksvorpremiere in Berlin verkündet wird, dass die Sozialdemokraten meinen, "wir bauchen auch einen mit Doppelnamen".
Wenn dann bei der nächsten Wahl Nowabo gegen AKK antritt? "Wir werden weniger Meldungen in den Nachrichten unterbringen, weil die Namen so viel Raum einnehmen", prophezeit Priol. Und man muss jetzt erst mal abwarten, was am Freitag der Parteitag macht. Über das Zirkuskunststück, das die SPD heuer vollführte, kann selbst der hartgesottene Politikanalytiker nur staunen: "Im Sarg zu liegen, den Deckel selbst zuzuziehen und dann auch noch von außen die Nägel einzuschlagen."
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Die Nummer des Jahres freilich lieferte für Priol der "Master auf Maut-Desaster", Andreas Scheuer, "der alte Mautist". Übrigens, erinnert sich noch jemand an das Feinstaub-Papier, das hundert Pneumologen, "also Reifenkundler", vorlegten? Blöd nur, dass heute keine autofreien Sonntage wie in den 70ern möglich sind, sagt der frisurlich wie immer verwirrte, ansonsten höchst entwirrende Scharfdenker: "Weil die Stellflächen fehlen."
Wer hat es noch in Priols Tschüssikowski geschafft? Der "pomadisierte Alpenmessias" und "Schwiegermutterpopulist" Kurz, "der seinen Alltagsrassismus eloquent in Zuckerwatte kleidet" zum Beispiel. Dann der "Lord of the Lies" Boris Johnson. Julia Klöckner, unsere Landwirtschaftsministerin, "Fachbegriff Miss Ernte". Und Zweitpapst Benedikt, der meint, die 68er hätten Schuld am Missbrauchsskandal, und "die Hippies haben die Sakristeien benutzt und daraus Swingerclubs gemacht".
Dann liefert Priol – leider hier nicht nacherzählbar – die plausibelste Erklärung, wie und warum die deutsche Nicht-Kandidatin Uschi von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin wurde. Erwähnt die Frau, die er so viele Jahre so herrlich parodierte, eigentlich nur am Rande und auch nur wegen des Zitterns. "Vielleicht hat sie sich ihre Regierungserklärungen der letzten 14 Jahre mal durchgelesen."
Was bleibt vom Jahr? Demos überall. "Es nutzt nichts mehr, alles nur in einem Blog zu schreiben, man muss um den Block gehen." Und ins Kabarett, zu Priol. Weil man dann wieder mal begreift, wie bescheuert alles zusammenhängt.
Termintipps: Urban Priols "Tilt! Tschüssikowski 2019" läuft auch im Fernstehen – am 30. Dezember um 20.15 Uhr auf 3sat. Am 6. Januar ist Priol mit dem Rückblick um 20 Uhr im Stadttheater Aschaffenburg zu sehen, am 22. Januar um 19.30 Uhr in Schweinfurt im Theater der Stadt.