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WÜRZBURG
Im Krieg wurde Java für Max Dauthendey zur Falle
Max Dauthendey am 6. März 1918 auf Java. Auf die Rückseite des Fotos, das eine Frau Wullschläger machte, schrieb er: „Der ärmste Kuli hier ist freier als wir armen Kriegsgefangenen Deutschen.”
Foto: Sammlung Willi Dürrnagel | Max Dauthendey am 6. März 1918 auf Java. Auf die Rückseite des Fotos, das eine Frau Wullschläger machte, schrieb er: „Der ärmste Kuli hier ist freier als wir armen Kriegsgefangenen Deutschen.”
Von Lothar Reichel
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:54 Uhr

Zufall oder Schicksal? Im Fotoatelier seines Vaters in der Würzburger Kaiserstraße hatte der junge Max Dauthendey geboren von einer Angestellten zum ersten Mal etwas über die Insel Java gehört – damals mit der Hauptstadt Batavia Zentrum des Kolonialreiches Niederländisch-Indien. Zu Weihnachten wünschte er sich nur ein Buch über „das wunderbare Tropenland“. Er bekam es und erging sich daraufhin noch ein ganzes Jahr lang in pubertären Träumereien: Weg vom engen Würzburg wollte er, weg von der verhassten Schule, weg vom äußerst komplizierten Verhältnis zum verwitweten Vater. Aus der Flucht nach Java ist damals nichts geworden, dennoch musste Max Dauthendey viel später seine letzten vier Lebensjahre unfreiwillig auf der tropischen Insel verbringen und ist dort am 29. August 1918 gestorben.

Dass es so gekommen ist, erklärt sich aus der lebenslangen Unrast seiner schillernden Persönlichkeit. Er wollte nichts anderes als Künstler sein, Dichter, und er brauchte dazu die Inspiration der Ferne. Obwohl er in seinem Leben so gut wie nie über finanzielle Mittel verfügte, war er dauernd unterwegs. Er reiste nach Schweden und heiratete schließlich die junge Schwedin Annie Johanson. Eine merkwürdige, undurchsichtige Ehe, die von ständigen Abwesenheiten Dauthendeys geprägt war.

Die erste Weltreise brachte erste literarische Früchte

Mit Annie verbrachte er Hungerzeiten in Paris und fuhr mit ihr durch Italien. Der Versuch, mit dem Erbteil seines Vaters in Mexiko eine Künstlerkolonie zu gründen, scheiterte grandios. Ebenso die Idee, sich in Griechenland in bukolischer Landschaft einer Art poetischen Hirtendaseins hinzugeben. Stattdessen eine Odyssee zwischen Berlin, München, Paris und Würzburg, wo Dauthendey immer wieder auf dem Gutshof „Neue Welt“ auf dem Nikolausberg bei der Familie der Malerin Gertraud Rostosky Unterschlupf fand.

Es hatte lange gedauert, bis Dauthendey, geboren am 25. Juli 1867, mit seinen kompromisslosen dichterischen Ambitionen halbwegs Beachtung fand. Und es dauerte noch länger, bis er damit ab und zu auch Geld verdiente. Eine erste Weltreise 1906 erbrachte literarisch einige Früchte wie das große lyrische Werk „Die geflügelte Erde“, das Dauthendey, ganz bei sich, so begann: „Ich tat den Weg um die Erde wagen, ging Tagen entgegen, die mich weit von der Geliebten getragen, wanderte einsam in der Sehnsucht Gehegen, auf Wegen, die über Meere kamen. Sieben Meere nahmen mich mit.“

Das Drama „Die Spielereien einer Kaiserin“ spülte erstmals ein wenig Geld in die Kasse

Ein Erfolg wurde auch der Novellenband „Die acht Gesichter am Biwasee“, inspiriert von den berühmten Holzschnitten des japanischen Künstlers Utagawa Hiroshige. Und das Drama „Die Spielereien einer Kaiserin“ spülte erstmals halbwegs Geld in die notorisch leere Kasse. Max Dauthendey aber blieb sich treu. Von einer Honorarzahlung seines Verlags kaufte er kurzentschlossen ein Grundstück im Würzburger Guggelesgraben und ließ sich 1913 ein Haus bauen, das er nicht bezahlen konnte. Gewohnt hat er dort nicht lange, bald zog es ihn wieder hinaus in die weite Welt.

Ohne seine Frau Annie machte er sich im April 1914 auf die Reise nach Neuguinea und Java. Noch recht unbekümmert schrieb er vor der Abfahrt: „Wenn es mir aber ganz besonders gut unter den Kokosnüssen in Neu-Guinea gefällt, bleibe ich dann als ,verschollen? auf der schönsten Insel sitzen. Und Ihr müßt meine Totenfeier mit Lampions und Randersackerer recht gemütlich begehen.“ Schon auf der langen Schiffspassage nach Osten stiegen erste Ahnungen auf: „Es kann doch Krieg werden.“

Der Ausbruch des Krieges vereitelte die Heimreise

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August überraschte Max Dauthendey an Bord des deutschen Reichspostdampfers „Manila“ auf den Molukken. Eigentlich stand die Heimreise an, doch daraus wurde nichts mehr. Es gab kaum noch Schiffsverbindungen, und kein Kapitän nahm deutsche Staatsbürger mit, weil das englische Militär gedroht hatte, jeden Deutschen zu internieren oder als Spion hinzurichten. Eine vierjährige „Gefangenschaft“ im Tropenparadies Indonesien begann und wurde allmählich zur Hölle. Es war keine Gefangenschaft im eigentlichen Sinne, weil Dauthendey sich im holländischen Kolonialreich ungehindert bewegen konnte.

Wie fast immer in seinem Leben musste er sich durchschnorren, lebte bei deutschen Kautschukpflanzern auf der Insel Sumatra und schließlich auf Java, der Insel seiner Jugendträume. Einerseits entwickelte er einen sensiblen Sinn für die Schönheiten der alten javanischen Kultur mit ihren Tänzen, dem Schattenpuppentheater und den mystischen Klängen der Gamelanorchester. Andererseits war er bald von Heimweh und Sehnsucht nach seiner Frau zerfressen. Die tropische Hitze wurde zur Dauerbelastung, erste Krankheiten wie eine Cholerainfektion stellten sich ein.

1930 holt seine Witwe Annie die sterblichen Überreste heim nach Würzburg

Jeder Versuch, doch noch eine Reisemöglichkeit zu finden, scheiterte. Die Lage wurde immer hoffnungsloser. „Nur ja nicht sterben in den Tropen“, schreibt er 1915. Schließlich wirft ihn ein erster Malariaanfall nieder. Immer wieder trotzt er der Krankheit. Er schreibt Gedichte und Briefe an seine Frau Annie. In den Vulkanbergen im Osten Javas sucht er in klimatisch erträglicheren Höhen Ruhe und Linderung. Die Jahre ohne Jahreszeiten vergehen wie Blei. Seinen 50. Geburtstag verbringt er malariakrank in einem Sanatorium in Tosari. Drei Monate vor seinem Tod schreibt er im Tagebuch von „der stillen, unheimlichen Kraft, die auf dem Javaboden den Europäer verfolgt.“ Seine Kräfte schwinden zusehends, die Leber beginnt zu versagen. „Heim, heim zu Annie, endlich zu Annie!“, schreit er förmlich in einem Brief.

Man bringt Max Dauthendey schließlich nach Malang, wo der mit ihm befreundete deutsche Arzt Dr. Georg Leber ein Krankenhaus leitet. Eine Operation bringt keinen Erfolg mehr. Der deutsche Konsul Georg Rademacher ist am Abend des 29. August 1918 an seiner Seite, als Max Dauthendey auf der Insel Java stirbt. Der Nachwelt hat er in einem Bericht überliefert: „Ohne letzten Kampf ging Dauthendey aus dem Leben.“ Max Dauthendey wird in Malang bestattet. 1930 holt seine Witwe Annie die sterblichen Überreste ihres Ehemanns heim nach Würzburg.

Illustration zu einem Gedenkartikel über Max Dauthendey in der Zeitschrift „Jugend”, Nr. 5, 1919.
Foto: Sammlung Willi Dürrnagel | Illustration zu einem Gedenkartikel über Max Dauthendey in der Zeitschrift „Jugend”, Nr. 5, 1919.
Max Dauthendey auf einem Künstlerfest in Berlin 1914.
Foto: Sammlung Willi Dürrnagel | Max Dauthendey auf einem Künstlerfest in Berlin 1914.
 
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