Liest ihn noch jemand? Oder ist er nicht doch längst unterwegs zu jenem tiefen Tal der vergessenen Dichter und Schriftsteller, aus dem nur selten einer zurückkommt? Seine Heimatstadt Würzburg ehrt Max Dauthendey pflichtschuldigst zu den üblichen Jubiläen – zum 150. Geburtstag an diesem Dienstag und wohl auch nächstes Jahr, 100 Jahre nach seinem einsamen Tod auf Java.
Aber sonst? Die Max-Dauthendey-Gesellschaft, die sein Andenken pflegen wollte, hat sich 2015 aufgelöst, im 81. Jahr ihres Bestehens. Kurz zuvor hatte Jan Hofer in der „Tagesschau“ den Frühling mit Dauthendeys Gedicht „Die Amseln haben Sonne getrunken“ begrüßt – immerhin. Einige wenige seiner Werke sind im Buchhandel verstreut erhältlich. Aber kann man ihn überhaupt noch lesen?
Die Frage ist natürlich nur subjektiv zu beantworten. Es kommt auf den Versuch an. Max Dauthendey war ja durchaus zu Lebzeiten ein bekannter Autor, seine Lyrik fand Beachtung, und die japanischen Erzählungen „Die acht Gesichter am Biwasee“ haben über die Jahre hinweg eine Gesamtauflage von einer halben Million verkaufter Bücher erreicht. Sie wurden 2004 sogar noch ins Japanische übersetzt.
Nachempfunden sind die acht Novellen alten Traditionen, wonach die acht schönsten Ansichten des größten Sees Japans von Dichtern und Malern gefeiert wurden. Am bekanntesten ist die Holzschnittserie von Utagawa Hiroshige, die der Weltreisende Dauthendey während seines Aufenthalts am Biwasee als Postkarten erworben haben dürfte.
Offensichtlich haben sie seine Fantasie mächtig angeregt und lange nachgewirkt, denn am See selbst ist er nur zwei Tage gewesen. Bei der kritischen Lektüre der „Acht Gesichter am Biwasee“ heute stößt man auf Stärken und Schwächen. Landschaften und Stimmungen impressionistisch schildern, das konnte er, aber letztlich bedient er dann doch nur die Japan-Klischees, die in Europa im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts üblich waren. Schon in der ersten Erzählung „Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen“ greift Dauthendey ungeniert auf Motive der Puccini-Oper „Madame Butterfly“ zurück, und aufschlussreich ist auch das, was er darüber an seinen Verleger schrieb: „Ich hoffe, sie gefällt Dir, wenn Du den Schluss liest. Sie verherrlicht für mich den japanischen Frauengehorsam.“ Ein Unterton, der den Macho ahnen lässt, der Max Dauthendey wohl gewesen ist.
Denn er war ja vieles: eine schillernde, zwiespältige Persönlichkeit. Sensibler Künstler und Lebemann, Geldverschwender und Schnorrer, arrogant und selbstherrlich, tiefsinnig, klug, charmant. Von Fernweh geplagt, wenn er in Würzburg war, heimwehkrank, wenn er um die Welt reiste.
Die Exotik Indiens, Chinas, Japans, der Südsee nahm er zwar mit allen Sinnen auf, aber im Grunde seines Wesens blieb er immer der distanzierte Europäer, der Tourist, der seine Eindrücke zwar farbig zu Papier bringen konnte, aber nicht wirklich tief schürfte. Das wird besonders deutlich in der Novellensammlung „Lingam“, Frucht seines Aufenthaltes in Indien, wo er zwar gekonnt alles hineinpackt, was man mit diesem Land gemeinhin verbindet – vor allem schwülstige Erotik –, aber bei Weitem nicht an das herankommt, was beispielsweise Hermann Hesse mit „Siddhartha“ später gelungen ist: die Essenz indischen Denkens in Literatur zu verwandeln.
Auf seltsame Weise ist das ferne Asien dennoch zu Max Dauthendeys Schicksal geworden. In seinen Lebenserinnerungen schildert er, wie er sich als Junge zu Weihnachten ein Buch über Java, „das wunderbare Tropenland“, gewünscht hatte. Der Wunsch wurde erfüllt, aber er konnte nicht ahnen, dass er dereinst dort, auf Java, einsam sterben würde.
Denn auf seiner zweiten Weltreise wurde er in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien, vom Beginn des Ersten Weltkriegs überrascht. Eine Heimreise war nicht mehr möglich. Dauthendey quälte sich vier Jahre lang unter der Tropensonne, voller Sehnsucht nach seiner Frau Annie, die er zu Hause zurückgelassen hatte. Die einstige Wunderinsel Java wurde zur Hölle.
Dauthendey haderte mit seinem Schicksal und zeigte, wer er ist. „Ein deutscher Dichter gehört in deutsches Land, unter deutsche Bäume und deutsche Wolken und nicht unter Palmen und ewiges Blau, nicht unter braune Javanen, sondern unter klare deutsche Menschen“, schrieb er in einem Brief.
„Jämmerlich, weichlich, weibisch“
Aufschlussreich, was andere Deutsche über ihn dachten. Der Kaufmann Emil Helfferich, der lange auf Sumatra und Java lebte, beschrieb Max Dauthendey in seinen Lebenserinnerungen: „Es tut mir leid, daß ich in den Hymnus auf den großen Dichter Dauthendey nicht einstimmen kann. Er hat draußen einige ganz gute Gedichte geschrieben, aber das meiste war jämmerlich, weichlich, weibisch und auch in der Form horrible. Es war denn auch verständlich, daß einmal ein Leser der ,Deutschen Wacht‘ schrieb: ,Muß denn zu der Not der Zeit noch die Nötigung treten, Dauthendey?sche Gedichte zu lesen?‘ Dabei war Dauthendey unglaublich eingebildet. Äußerlich ein kleiner schmuddeliger Mann. Ich habe Dauthendey nichts Böses getan, im Gegenteil, er schuldet mir noch 5000 Gulden, die er mit in die Ewigkeit genommen hat. Dort werden wir uns wiedersehen . . . “
Unter Palmen und dem ewigen Blau Javas gelang dem deutschen Dichter Dauthendey dann aber trotz allem ein letztes Meisterwerk. Für die kleine Lore aus Altona schrieb „Dichteronkel Max“ das „Märchenbriefbuch der heiligen Nächte im Javanerlande“. Zwölf Märchen sollten es werden, nur drei hat er vollendet. Und hier glückte es ihm nun tatsächlich, zur geheimnisvollen Mystik der alten javanischen Kultur vorzudringen. Wer Java mit seinen eigentümlichen Traditionen ein wenig kennt, wird feststellen, dass er in diesen Kunstmärchen zum Dichter im eigentlichen Sinn wurde.
Indien und Japan dienten ihm als Kulisse europäischer Vorstellungen von Exotik, hier nun verdichtete er das, was er auf Java sah und erlebte, auf märchenhafte Weise zu etwas ganz Eigenem. Poetisch und schön.
Doch die Frage bleibt: Liest das noch jemand?
Literatur-Tipp
Der Würzburger Antiquar und Verleger Daniel Osthoff hat den Briefwechsel zwischen dem jungen Ernst Rowohlt und Max Dauthendey herausgebracht, Titel: „Ernst Rowohlt – Max Dauthendey, die sich brauchten, verehrten und beleidigten". Osthoff hat Rowohlts Briefe an Dauthendey ergänzt mit dessen Entwürfen von Briefen an den Verleger. Zu lesen ist, wie Rowohlt einen Autor an sich binden will, der auf frappierende Weise überzeugt ist von seinem eigenen Schaffen.
Für Rowohlt, schreibt der Verlag in seiner Chronik des Jahres 1911, war Dauthendey eine der „tragenden Säulen“. Der Briefwechsel samt zahlreichen Fußnoten ist für 24 Euro im Buchhandel zu erwerben. wolf