Judith Schneiderman, Jahrgang 1928, überlebte das KZ Auschwitz, weil die SS-Offiziere ihren Gesang so schätzten. Vor allem aber, weil sie im Gesang selbst die Kraft zum Überleben fand. Nach dem Krieg wanderte sie in die USA aus und schrieb ein Buch: "Ich sang um mein Leben".
Helene Schneiderman, ihre Tochter, 1954 in den Staaten geboren, machte den Gesang auf andere Art zu ihrem Leben: Sie studierte Musik und ging als Opernsängerin nach Deutschland. 1984 wurde die Mezzosopranistin Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart, der sie ihre ganze Karriere lang treublieb. Gastengagements führten sie an die New Yorker Met, die Bayerische Staatsoper, die Deutsche Oper Berlin, die Oper Paris oder die Mailänder Scala.
Im Rahmen der Internationalen Tage jüdischer Musik, die heuer wieder im Würzburger Zentrum Shalom Europa gastieren, wird sie am Donnerstag, 24. November, auch Lieder vortragen, die ihre Mutter einst sang. Jiddische Lieder, aber auch welche mit deutschen Texten. "Früher war es nicht leicht für mich, deutsche Lieder zu singen, weil meine beiden Eltern Holocaust-Überlebende waren", sagt Helene Schneiderman. "Aber nach 38 Jahren in Stuttgart habe ich gelernt, diese Lieder zu lieben und nichts gegen die Sprache zu haben."
Regisseur Barrie Kosky eröffnete ihr die Welt der jiddischen Operette
Das Programm des Abends reicht vom traditionellen jiddischen "Yome yome, shpil mir a lidele" bis zu Mendelssohns "Gruß" zu einem Text von Heinrich Heine. Von Mahler bis Korngold, von Gershwin bis Bernstein, von Weill bis Hollaender. "Bevor ich nach Deutschland kam, verstand ich unter jüdischen Liedern nur die Ghetto-Lieder, die ich zuhause von meiner Mutter gelernt habe."
Mit der Musik der Weimarer Republik und vor allem jüdischer Komponisten habe sie sich relativ spät beschäftigt. "Als Studentin wusste ich sehr wenig darüber. Viele Menschen wissen bis heute nicht, dass Heine Jude war. Oder Mahler. Oder Mendelssohn." Der Regisseur Barrie Kosky habe ihr außerdem die Welt der jiddischen Operette eröffnet, also die Werke von Paul Abraham, Alexander Olschanetsky oder Abe Ellerstein.
In Würzburg werde sie höchstens zwei oder drei der Ghetto-Lieder singen, sagt sie: "Es soll ja nicht nur ein trauriger Abend werden. Man wird weinen, man wird aber auch schmunzeln. Ich will vor allem zeigen, was für tolle Musik von jüdischen Komponisten es gibt."
Helene Schneiderman hatte als Kind und Jugendliche nie eine Gesangskarriere angestrebt. "Ich sang gerne, und ich stellte fest, dass es die Menschen berührte und sie mich dafür mochten. Deshalb sang ich weiter." Ins Land der ehemaligen Täter, aber eben auch das Land mit den meisten Opernhäusern, kam sie schließlich, weil ihre damalige Gesangslehrerin es so verfügte: "Du gehst nach Deutschland!"
Mit dem Aussterben der Zeugengeneration wachsen Unwissen und Voreingenommenheit
Ihre Eltern lernten, den Schritt zu akzeptieren. "Sie sagten, wir lieben unsere Tochter mehr, als wir jemand hassen können", erzählt sich Sängerin. "Sie haben mich sogar dort besucht. Es waren moderne Leute, die einfach nicht hassen wollten - ich hatte ganz tolle Eltern."
Den immer offener auftretenden Antisemitismus nicht nur in Deutschland betrachtet sie mit Schmerz und einer gewissen Resignation: "Ich glaube nicht, dass die Menschen sich ändern werden. Es gab Zeiten, da wurde weniger über das Thema gesprochen, aber es war immer da." Mit dem Aussterben der Zeugengeneration wüchsen Unwissen und Voreingenommenheit, so Helene Schneiderman: "Ich glaube, es fängt wieder von vorne an."
"Jüdische Juwelen aus jiddischer Musik": Helene Schneiderman (Sopran) und Götz Payer (Klavier). Donnerstag, 24. November, 19.30 Uhr, Kulturzentrum Shalom Europa, Valentin-Becker-Straße 11, 97072 Würzburg. Karten unter www.internationale-tage-juedischer-musik.de