Heinz Rudolf Kunze ("Dein ist mein ganzes Herz") hat wie kaum ein anderer Künstler den deutschen Rock geprägt. Zum 40. Bühnenjubiläum hat der Musiker, Autor, Songschreiber und Musical-Texter, der demnächst 66 wird, seine Autobiografie und eine neue Live-Doppel-CD rausgebracht. Er wird am 3. Dezember daraus in Würzburg lesen und spielen, der Stadt, in der einst seine Karriere begann. Ein Vorab-Gespräch mit klaren Positionen.
Heinz Rudolf Kunze: Das stimmt. Das war ein 9. November. Später hat man das den Tag der Deutschen genannt. Ich weiß jetzt nicht, ob meinetwegen...
Kunze: Moment, jetzt muss ich erstmal beantworten, was damals los war. Die deutsche Phonoakademie, die früher den Deutschen Schallplattenpreis vergab, veranstaltete jahrelang ein Pop-Nachwuchsfestival. 1980 habe ich teilgenommen und in der Abteilung Folklied/Song gewonnen. Das war im Stadttheater Würzburg, im Anschluss bekam ich meinen ersten Plattenvertrag.
Kunze: Für mich war es der direkte Start aus dem – mehr oder weniger – Nichts. In anderen Worten: ein absolutes Märchen. Ich hatte vorher keine Amateurkarriere, kein jahrelanges Live-Tingeln durch Studentenkneipen hinter mir. Das hatte ich mich gar nicht getraut. Ich hatte viele Songs geschrieben, auf Tonband aufgenommen und Freunden vorgespielt. Der Auftritt in Würzburg war die erste und einzige Chance, die ich meiner Musik gab, kurz vor Ende meines Studiums.
Kunze: Die deutsche Musik und die deutsche Philosophie sind ja auch ziemlich das größte, was die letzten paar hundert Jahre auf der Welt gesehen haben. Die größten, wichtigsten und auch verhängnisvollsten Gedanken der Welt sind deutschen Ursprungs.
Kunze: Ich weiß es nicht. Ich mache mir meine Gedanken und merke immer wieder in meinem langen Leben, dass meine Gedanken nicht unter irgendein Spruchband passen. Ich bin in jungen Jahren aus der SPD ausgetreten, wegen der Rechtschreibreform. Daran merkt man schon eine gewisse Form von Eigensinn. Ich muss mir meine Wahrheiten immer punktuell suchen. Ich finde keine Geborgenheit in der Nestwärme irgendeiner Partei. Wenn es also widersprüchlich ist, dass ich nicht kongruent mit irgendeinem Stallgeruch bin, dann bin ich halt widersprüchlich.
Kunze: Es gehört zum Leben einfach dazu, dass man auch bereit ist, Positionen zu revidieren. Dass man sagt: Ich habe das früher falsch gesehen. Ich habe mich geirrt. Heute weiß ich mehr. Das halte ich dann nicht für widersprüchlich, sondern für einen Erkenntnisgewinn, den ich bei Politikern oft vermisse.
Kunze: Die Wirklichkeit zwingt gerade die Grünen zum Umdenken. Bei der Atomenergie, zum Beispiel. Ich bin sehr gespannt, wie das weitergeht. Ob sie wirklich über diesen Schatten springen können, oder ob ihre eigenen Fundamentalisten sie dafür zerfleischen. Aber der Habeck und die Baerbock müssen schon schmerzlich erfahren, wie unangenehm die Wirklichkeit sein kann. Wenn man im Kopf ein theoretisches Bullerbü hat, es aber nicht umsetzen kann.
Kunze: Absolut. Von Pazifismus habe ich noch nie etwas gehalten.
Kunze: Dieses Getue mit links und rechts und oben und unten – ich glaube, das hat sich völlig überlebt. Was ist eine Sahra Wagenknecht? Von ihren eigenen Leuten wird sie als rechts diffamiert. Ich persönlich würde sie als linksorthodox bezeichnen. Ich glaube, wir kommen mit diesen geografischen Zuordnungen nicht mehr weiter. Natürlich war ich in den 80ern auch auf der Riesenveranstaltung gegen SS20 und Pershing. Aber es ging ja auch darum, dass auf beiden Seiten des Vorhangs die Gefahr eines führbaren Atomkriegs drohte. Das würde ich nicht unter Pazifismus fassen, sondern unter Realismus.
Kunze: Ich musste mich dazu gefühlt viele Millionen Male äußern. Mich stört am Gendern zunächst ein sinnlicher Ekel. Meine ästhetischen Empfindungen werden dadurch verletzt. Außerdem lasse ich mir einfach nicht vorschreiben, wie ich zu sprechen habe. Das ist, wie mir ins Trinkwasser pissen. Mir schreibt auch keiner vor, wie ich Respekt zu äußern habe. Wenn ich sage "die Bürger", dann meine ich damit im generischen Maskulinum alle Menschen, die es gibt. Und ich respektiere alle Menschen.
Kunze: Es geht um Gesinnungskontrolle.
Kunze: Nein, das täuscht nicht. Das ist ein logischer Folgeschaden der neuen Medien. Deshalb ist meine Einstellung zu allem Social-Media-Kram auch eine sehr skeptische. Ich halte mich da weitgehend raus. Das betreiben meine Manager für mich. Ich bin auch nicht im Internet.
Kunze: Ich spreche lieber über die Höhepunkte. Einer ist mein neues Live-Album "Auf frischer Tat ertappt", eine Doppel-CD. Ja, es gibt immer noch Leute, die Doppel-CDs machen. Sie ist das Abbild unserer Frühjahrstour, die schönste Tour, die ich in meinem Leben spielen durfte, mit der besten Band, die ich je hatte. Das war ein reines Vergnügen.
Der Abend: Musikalische Lesung mit Heinz Rudolf Kunze. Sa., 3. Dezember, 20 Uhr, St. Johanniskirche Würzburg. Karten unter www.kulturereignisse.com/shop
Das Buch: "Werdegang - die Autobiografie", Reclam, 288 Seiten, 28 Euro
Das Album: "Auf frischer Tat ertappt", Live-Doppel-CD, 21 Hits aus 40 Bühnenjahren