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Würzburg
Ferdinand von Schirach in Würzburg: Ein "Regen"-Tanz von Thema zu Thema
Der Schriftsteller bietet beim MainLit Literaturfestival im Würzburger Congress Centrum eine eindrucksvolle Vorstellung mit seinem umstrittenen neuen Werk. Wie die Lesung war?
Ferdinand von Schirach präsentierte eindrucksvoll sein neues Werk 'Regen' in Würzburg. Das Bild ist bei einem früheren Auftritt entstanden, der Autor erlaubte keine Bilder oder Fragen aus dem Publikum
Foto: Rolf Vennenbernd, dpa | Ferdinand von Schirach präsentierte eindrucksvoll sein neues Werk "Regen" in Würzburg. Das Bild ist bei einem früheren Auftritt entstanden, der Autor erlaubte keine Bilder oder Fragen aus dem Publikum
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 05.11.2023 02:37 Uhr

Eine große Bühne, am Rand ein Caféhaus-Tisch mit Aschenbecher und Espressotasse. Da könnte sich ein weniger selbstbewusster Autor schon verlieren, vor Hunderten erwartungsvoll starrenden Zuschauern im Würzburger Congress Centrum.

Ein literarischer Tanz auf der Bühne

Nicht Ferdinand von Schirach. Er war Strafverteidiger, ist gefeierter Autor – aber nun, bei der Präsentation seines umstrittenen Werkes "Regen", auch Darsteller. Der Mann im eleganten Abendanzug füllt die fiktive Rolle auf der Bühne mit der selbstsicheren Eleganz eines Tänzers: Er eilt mit nachdenklicher Miene nach rechts, schreitet gewichtig zurück, verharrt, sinkt am Ende eines bedrückenden Gedankens auf den Stuhl. Er nimmt einen Schluck, springt lächelnd wieder auf, eilt mit einer provokanten Frage zum Bühnenrand – und feuert die Pointe hinterher.

Befreites Lachen im gebannt lauschenden Publikum, Beifall brandet auf. Doch schnell wird es wieder ruhig, um die nächsten Schritte des atemlosen Gedanken-Tanzes nicht zu verpassen. So hetzt er Respekt heischende 90 Minuten von Punkt zu Punkt.

Nurejew der Gedankentänze

Der 59-Jährige präsentiert seine Themenketten (scheinbar frei assoziierend) wie ein Ballett, beruft sich auf Zeugen mit prominenten Namen, von Goethe bis Truman Capote, von Churchill über Aphrodite zu Proust und Hemingway. Deshalb ist der Vergleich erlaubt: Wie ein Rudolf Nurejew der Gedankentänze springt er von Figur zu Figur, vom Pantheon zum Berliner Flughafen, vom Vergleich von Penisgrößen zum Ekel vor Urlaub am Strand.

"Wie können die Leute etwa auf die Idee kommen, im Urlaub ans Meer zu fahren?" fragt er mit angeekeltem Unterton. "Diese Fische tun alles im Meer. Und dann schwimmen die Leute darin und haben das auf der Haut und in den Haaren und im Mund und finden es auch noch amüsant." Und die Zuhörer, denen da der Spiegel vorgehalten wird? Sind nicht empört, sondern amüsiert, weil das so treffend auf den Punkt gebracht ist. 

So geht es vom Banalen zu drängenden Menschheitsfragen und wieder zurück – nicht ohne Selbstironie: "Bücher sind oft klüger als ihre Erzeuger, das ist beruhigend" verrät von Schirach zur Freude des Publikums.

Schirachs neues Buch im Test vor Publikum

Ob das für sein neues Werk "Regen. Eine Liebeserklärung" auch gilt, testet er gerade auf seiner Tournee durch Deutschland – trotz teils ungewohnt harscher Kritik. Schirach hat die vertrauten Pfade früherer Erzählungen verlassen. Er belebt die Figur eines gescheiterten Autors, der gefangen ist in Trauer, Reue und Selbstzweifeln.

Der Ruf des Autors hat "Regen" sofort an die Spitze der Bestsellerliste gehievt. Manche Kritiker sprechen aber nun von fehlendem Tiefgang und einem verlegerischen Trick: Der Theatermonolog habe nur deshalb für ein Buch gereicht, weil der Verlag ein langes Interview mit dem Autor angefügt hat. Trotzig liest er entgegen der Ankündigung nicht auch Passagen aus dem Vorgängerband "Nachmittage", sondern lässt "Regen" allein für sich sprechen.

Vom banalen zum Existenziellen und zurück

Die Situation, die er beschreibt: Ein Mann kommt vom Regen durchnässt in eine Bar und versucht, sich zu erklären, in einem Monolog über Schuld und Vergebung. Auf dieser Bühne fügt er gedanklich tänzelnd Figur an Figur – mit manchmal allzu lässig hingetupfter Kritik über die Niveaulosigkeit unserer Zeit, oft nur als Gedankensplitter angerissen, ehe er schnell, schnell zum nächsten Thema hetzt.

Es geht um Rucksack tragende Sportler am Ku’damm,  Selbstbedienungsrestaurants und "dass Sie sich den Botticelli nur noch auf dem Laptop ansehen". Manchmal wünschte man sich da ein bisschen mehr Tiefe als Tempo, mit dem er Themen streift.

Bilanz eines gescheiterten Schriftstellers

Der Monolog beginnt damit, dass der Mann auf der Bühne Schöffe, also unterstützender Laienrichter, in einem Mordprozess ist. Doch rasch geht es um Selbstbetrachtung: "Seit 17 Jahren bin ich ein durch und durch lächerlicher Schriftsteller, der nicht mehr schreibt. Als das bei Hemingway so war, ging er nicht mehr in eine Bar. Er schoss sich den Kopf weg. Das kann ich verstehen, weil der Kopf ja sowieso schon weg ist."

Es geht um ein gescheitertes Erstlingswerk, und um die Frau, die er liebt. Die fällt plötzlich tot um: Der Autor quält sich mit der Frage, ob er schuld ist an ihrem Tod. Kein Gericht wird ihn verurteilen. Er selbst aber kann sich nicht freisprechen – ganz der alte Schirach.

Die Bühnenfigur wurde gerade zum Schöffen in einem Mordprozess berufen – und droht den zum Platzen zu bringen, mit der falschen Frage an den Angeklagten: Kann der sich selbst den Mord an seiner Frau vergeben? "Niemand kann sich selbst seine Schuld erlassen. Damit müssen Sie leben. Oder eben auch nicht."

Der gute Rat der Richterin

Die Verteidigerin hat den fiktiven Schöffen als befangen abgelehnt. Der Prozess droht zu scheitern. Was zu der Frage führt, ob man überhaupt etwas unbefangen entscheiden kann. Die Richterin fordert eine kurze Erklärung der Unbefangenheit - verbunden mit dem Rat: Er solle sich dabei nicht zu sehr im Wege stehen.

Damit bringt der Erzähler in Schirachs Buch alles auf den Punkt – das gilt auch für den Autor und seinen Auftritt mit "Regen" in Würzburg.

 
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