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Würzburg
Fachsimpeln über Wagners Werk: "Diesen machtgeilen Typen, den kenne ich doch"
Am Sonntag beginnen nach einem Jahr Zwangspause die Bayreuther Festspiele – Hochfest für alle Wagnerianer. Was sind eigentlich Wagnerianer? Und wie ticken sie? Ein Ortstermin.
Baustellenbesuch mit dem Meister: die Vorsitzenden Thomas Kestler und Luitgard Jany mit Ottmar Hörls Wagner-Plastik im künftigen Veranstaltungsaal des Würzburger Richard-Wagner-Verbands in der Würzburger Münzstraße.
Foto: Christoph Weiss | Baustellenbesuch mit dem Meister: die Vorsitzenden Thomas Kestler und Luitgard Jany mit Ottmar Hörls Wagner-Plastik im künftigen Veranstaltungsaal des Würzburger Richard-Wagner-Verbands in der Würzburger Münzstraße.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:29 Uhr

Besuch beim Richard-Wagner-Verband Würzburg im provisorischen Büro mitten in der Stadt in der Münzstraße. Thomas Kestler und Luitgard Jany sind seit 2017 erster Vorsitzender und zweite Vorsitzende – seit dem Tod der Gründerin, Mäzenin und Unternehmerin Margot Müller. Der 1982 gegründete Verband ist einer von 132 weltweit und war mit über 3000 Mitgliedern lange Zeit der größte. Diese Boomphase ist vorbei, aber mit 1200 Mitgliedern ist Würzburg – nach London – immer noch die Nummer zwei weltweit. 

"Kann man Sie eine Wagnerianerin nennen?"  Luitgard Jany überlegt. "Wenn der Begriff nicht mit einer Vorverurteilung verbunden ist, könnte ich damit leben." Sie selbst würde sich nicht so bezeichnen. Thomas Kestler pflichtet bei: "Das ist bei vielen ein Schimpfwort. Ich bin einfach ein Freund der Kunst Richard Wagners."

Vermittler einer Kunst, die das Leben unendlich bereichern kann

Natürlich sind auch Jany und Kestler schon Wagner-Jüngern begegnet, die nach einer vermeintlich missratenen Inszenierung "Buh" oder Schlimmeres schrien. Sie selbst verstehen sich aber nicht als Gralshüter, sondern als Vermittler und Förderer einer Kunst, die sie selbst so sehr bereichert, dass sie sie auch anderen Menschen zugänglich machen wollen. 

Etwa im neuen Veranstaltungssaal. Margot Müller hatte ihr Vermögen der von ihr gegründeten "Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung" vermacht, darunter die beiden Gebäude beidseits der Münzstraße, einst Sitz ihres Autohauses und weiterhin Sitz des Wagner-Verbands. Hier entstehen bis Anfang kommenden Jahres für 1,5 Millionen Euro Appartements, neue Büroräume und eben der Saal mit 99 Plätzen, in dem Einführungen, Konzerte, Liederabende, Vorträge und Diskussionen stattfinden sollen. "Damit sind wir dann unabhängig und müssen keine Säle mehr anmieten", sagt Kestler. 

Richard Wagners 'Götterdämmerung' in der Spielzeit 2018/19 am Mainfranken Theater. Der Richard-Wagner-Verband und die Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung förderten die Inszenierung mit 180 000 Euro.
Foto: THOMAS OBERMEIER | Richard Wagners "Götterdämmerung" in der Spielzeit 2018/19 am Mainfranken Theater. Der Richard-Wagner-Verband und die Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung förderten die Inszenierung mit 180 000 Euro.

Wer Wagner liebt, lebt immer auch mit Vorurteilen. Mit dem Image der Verstaubtheit etwa. Die Instrumentalisierung von Wagners Musik in der NS-Zeit kann zwar dem 1883 gestorbenen Meister nicht persönlich angelastet werden, aber es bleibt der Vorwurf des Antisemitismus. Letzteren leugnet niemand, Thomas Kestler plädiert dafür, Person und Werk zu trennen. "Antisemitismus gibt es seit 2000 Jahren, in der katholischen Kirche, bei Luther. Bei Wagner wird er meines Erachtens überbewertet."

Ein wichtiger Zugang zu Wagners Werk sind nicht zuletzt die Texte

Was also bedeutet das Werk Wagners seinen Fans? Da sei etwa das alles überragende Motiv der Liebe. "Nach Abneigung und Unverständnis als junge Frau habe ich mich förmlich hineingestürzt, als ich den Zugang gefunden hatte", erzählt Luitgard Jany, Psychologin im Ruhestand. Wagners Ideen seien ungeheuer modern, etwa sein Appell zur Versöhnung von Mensch und Natur. "Mir gefällt, wie stark seine Frauengestalten sind. Und mir gefällt, welch unglaublich treffende Aussagen er über unsere Seelenlandschaften macht."

Das Festspielhaus in Bayreuth. Nach einem Jahr Zwangspause beginnen hier am Sonntag wieder die Richard-Wagner-Festspiele.
Foto: Nicolas Armer, dpa | Das Festspielhaus in Bayreuth. Nach einem Jahr Zwangspause beginnen hier am Sonntag wieder die Richard-Wagner-Festspiele.

Es gibt viele Zugänge. Für Thomas Kestler sind die Texte einer der wichtigsten. "Die Beurteilung Wagners ist oft zu einseitig auf die Musik ausgerichtet." So fasziniert Kestler, im normalen Leben Steuerberater, wie oft er bei Wagner Menschen begegnet, die er aus dem Alltag kennt: "Diesen machtgeilen Typen, den kenne ich doch."

Im vereinseigenen Bus "Loge" werden nach Opernbesuchen die Eindrücke diskutiert

Moderne Inszenierungen seien übrigens selten Stein des Anstoßes im Verband. Im vereinseigenen Bus "Loge", benannt nach einem der Götter aus dem "Ring", werde nach Opernbesuchen zwar diskutiert, aber Traditionalisten, die die wortwörtliche Umsetzung von Regieanweisungen wie "Lichtung vor Gralsburg" einfordern, gebe es eher nicht.

Jany und Kestler jedenfalls sind für alle Ansätze offen. Es gehe nicht um "modern" oder "traditionell", sondern um die Intention Wagners. Hinzugedichtetes oder Hineinkonstruiertes lehnt Luitgard Jany dann ab, wenn es mit dem Geist des Werkes nichts zu tun hat. Auch darüber kann man freilich diskutieren, nicht immer sind Jany und Kestler sich einig, beiden fallen aber reihenweise Inszenierungen ein, die Wagners Ideen auf höchst unterschiedliche Weise schlüssig umgesetzt haben.

"Es gibt nicht die eine, zementierte, richtige Meinung zu Wagner", sagt Thomas Kestler. "Und außerdem hat er selbst gefordert: Kinder, schafft Neues!"

Der Verband und die Festspiele

Der Richard-Wagner-Verband Würzburg veranstaltet Konzerte, Liederabende, Vorträge, Gespräche, Opernfahrten und er hilft Mitgliedern beim Kartenkauf etwa für die Bayreuther Festspiele. Über den Dachverband vergibt er Stipendien an junge Künstlerinnen und Künstler. Und er bezuschusst Inszenierungen, so förderten er und die "Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung" die "Götterdämmerung" am Mainfranken Theater mit 180 000 Euro.
Die Richard-Wagner-Festspiele Bayreuth 2021 beginnen traditionell am 25. Juli, diesmal mit Dmitri Tcherniakovs Neuinszenierung von "Der Fliegende Holländer". Erstmals dirigiert mit Oksana Lyniv ein Frau auf dem Grünen Hügel. Auf dem Spielplan bis 25. August stehen außerdem "Die Meistersinger von Nürnberg", "Tannhäuser", "Die Walküre", "Parsifal" (konzertant) und zwei Konzerte unter der Leitung von Andris Nelsons.
Wegen der Corona-Pandemie dürfen im Festspielhaus nur 911 von 1937 Plätzen besetzt werden. Gespielt wird aber mit vollem Orchester. Der Chor wird aus dem Chorsaal übertragen. Für Besucherinnen und Besucher ist vor jedem Vorstellungsbesuch eine Registrierung erforderlich, die auf der Homepage erklärt ist: www.bayreuther-festspiele.de
Eintrittskarten werden ausschließlich über den Online-Sofortkauf auf der Homepage der Festspiele angeboten. Für alle Werke stehen noch Karten zur Verfügung (Stand: 23. Juli).
Quelle: Richard-Wagner-Verband Würzburg, Bayreuther Festspiele
 
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