Besuch beim Richard-Wagner-Verband Würzburg im provisorischen Büro mitten in der Stadt in der Münzstraße. Thomas Kestler und Luitgard Jany sind seit 2017 erster Vorsitzender und zweite Vorsitzende – seit dem Tod der Gründerin, Mäzenin und Unternehmerin Margot Müller. Der 1982 gegründete Verband ist einer von 132 weltweit und war mit über 3000 Mitgliedern lange Zeit der größte. Diese Boomphase ist vorbei, aber mit 1200 Mitgliedern ist Würzburg – nach London – immer noch die Nummer zwei weltweit.
"Kann man Sie eine Wagnerianerin nennen?" Luitgard Jany überlegt. "Wenn der Begriff nicht mit einer Vorverurteilung verbunden ist, könnte ich damit leben." Sie selbst würde sich nicht so bezeichnen. Thomas Kestler pflichtet bei: "Das ist bei vielen ein Schimpfwort. Ich bin einfach ein Freund der Kunst Richard Wagners."
Vermittler einer Kunst, die das Leben unendlich bereichern kann
Natürlich sind auch Jany und Kestler schon Wagner-Jüngern begegnet, die nach einer vermeintlich missratenen Inszenierung "Buh" oder Schlimmeres schrien. Sie selbst verstehen sich aber nicht als Gralshüter, sondern als Vermittler und Förderer einer Kunst, die sie selbst so sehr bereichert, dass sie sie auch anderen Menschen zugänglich machen wollen.
Etwa im neuen Veranstaltungssaal. Margot Müller hatte ihr Vermögen der von ihr gegründeten "Herbert Hillmann und Margot Müller Stiftung" vermacht, darunter die beiden Gebäude beidseits der Münzstraße, einst Sitz ihres Autohauses und weiterhin Sitz des Wagner-Verbands. Hier entstehen bis Anfang kommenden Jahres für 1,5 Millionen Euro Appartements, neue Büroräume und eben der Saal mit 99 Plätzen, in dem Einführungen, Konzerte, Liederabende, Vorträge und Diskussionen stattfinden sollen. "Damit sind wir dann unabhängig und müssen keine Säle mehr anmieten", sagt Kestler.
Wer Wagner liebt, lebt immer auch mit Vorurteilen. Mit dem Image der Verstaubtheit etwa. Die Instrumentalisierung von Wagners Musik in der NS-Zeit kann zwar dem 1883 gestorbenen Meister nicht persönlich angelastet werden, aber es bleibt der Vorwurf des Antisemitismus. Letzteren leugnet niemand, Thomas Kestler plädiert dafür, Person und Werk zu trennen. "Antisemitismus gibt es seit 2000 Jahren, in der katholischen Kirche, bei Luther. Bei Wagner wird er meines Erachtens überbewertet."
Ein wichtiger Zugang zu Wagners Werk sind nicht zuletzt die Texte
Was also bedeutet das Werk Wagners seinen Fans? Da sei etwa das alles überragende Motiv der Liebe. "Nach Abneigung und Unverständnis als junge Frau habe ich mich förmlich hineingestürzt, als ich den Zugang gefunden hatte", erzählt Luitgard Jany, Psychologin im Ruhestand. Wagners Ideen seien ungeheuer modern, etwa sein Appell zur Versöhnung von Mensch und Natur. "Mir gefällt, wie stark seine Frauengestalten sind. Und mir gefällt, welch unglaublich treffende Aussagen er über unsere Seelenlandschaften macht."
Es gibt viele Zugänge. Für Thomas Kestler sind die Texte einer der wichtigsten. "Die Beurteilung Wagners ist oft zu einseitig auf die Musik ausgerichtet." So fasziniert Kestler, im normalen Leben Steuerberater, wie oft er bei Wagner Menschen begegnet, die er aus dem Alltag kennt: "Diesen machtgeilen Typen, den kenne ich doch."
Im vereinseigenen Bus "Loge" werden nach Opernbesuchen die Eindrücke diskutiert
Moderne Inszenierungen seien übrigens selten Stein des Anstoßes im Verband. Im vereinseigenen Bus "Loge", benannt nach einem der Götter aus dem "Ring", werde nach Opernbesuchen zwar diskutiert, aber Traditionalisten, die die wortwörtliche Umsetzung von Regieanweisungen wie "Lichtung vor Gralsburg" einfordern, gebe es eher nicht.
Jany und Kestler jedenfalls sind für alle Ansätze offen. Es gehe nicht um "modern" oder "traditionell", sondern um die Intention Wagners. Hinzugedichtetes oder Hineinkonstruiertes lehnt Luitgard Jany dann ab, wenn es mit dem Geist des Werkes nichts zu tun hat. Auch darüber kann man freilich diskutieren, nicht immer sind Jany und Kestler sich einig, beiden fallen aber reihenweise Inszenierungen ein, die Wagners Ideen auf höchst unterschiedliche Weise schlüssig umgesetzt haben.
"Es gibt nicht die eine, zementierte, richtige Meinung zu Wagner", sagt Thomas Kestler. "Und außerdem hat er selbst gefordert: Kinder, schafft Neues!"