Alle Achtung!! War das ernsthaft Elton John dort droben auf der mordsmäßigen Bühne vor der Würzburger Residenz?? War das also wirklich der britische Balladen-Barde mit dem leichten Hang zur Exzentrik??
Optisch zumindest bestand daran kein Zweifel – der quirlige Kerl im schwarzen Glitzerfrack und dem blauen Hemd mit der wunderbar passenden blauen Brille am Yamaha-Flügel, das war er und kein anderer, klarer Fall. Musikalisch allerdings herrschte ein nicht geringes Erstaunen, weil dieser nun ja auch schon 65-jährige Tastenmann in spürbarer, in ersichtlicher Freude so ziemlich jedes Klischee vom Piano fegte, das die Pop hörenden Massen mit dem berühmt-berüchtigten Elton John verbinden.
Nein, da gab es nichts zum Schmusen, da fehlte es völlig an der blasiert-gepflegten Langeweile, die seinen ersten Auftritt an selber Stelle auf den Tag genau vor elf Jahren begleitet hatte: Diesmal war es nichts anderes als ein echtes Rockkonzert, ein zwischendurch fast bluesig instrumentalisiertes, kräftig antreibendes, leibhaftig packendes und durchgehend erstaunlich basslastiges Gastspiel von zwei Stunden und 20 Minuten Dauer, das die knapp 9000 Zuschauer nach der ersten Überraschung bald hin- und dann von ihren Sitzen riss und mehr begeisterte, als sie zu erwarten gewagt hatten.
Schon der Auftakt geriet anders als gedacht. Denn erst wenige Minuten vor dem offiziellen Konzertbeginn um halb acht entschied der Meister höchstpersönlich, die angekündigte Vorgruppe zu streichen. Der Anflug am Nachmittag via Privatjet aus Venedig nach Nürnberg und von dort per Hubschrauber weiter auf einen Würzburger Sportplatz war turbulent gewesen, so dass der Pilot für den Abflug direkt nach dem Auftritt gen Nizza zeitlich auf die Tube drückte – am heutigen Montag steht ein Konzert an der Costa Smeralda auf Sardinien an.
Deshalb strich Elton John kurzerhand die „2Cellos“ Stjepan Hauser und Luka Sulic. Das war verschmerzbar, zumal das kroatische Duo hernach des öfteren in den Gesamtklang eingebunden war und die süffig und lustvoll aufspielende Begleitband fein erweiterte – keineswegs süßlich streicherhaft, sondern rhythmisch akzentuiert.
Überhaupt war der gewisse Zeitdruck des Flugplans, und das ist auch für ältere, clevere, ausgebuffte Musiker eine Leistung, erst ganz am Schluss ansatzweise zu bemerken: Es fing gerade zu dunkeln an, als Elton John vor „Your Song“, der einzigen Zugabe, rasch noch elf, zwölf Autogramme am Bühnenrand hinkritzelte. Sein Publikum hätte in der beginnenden Nachtstimmung um zehn vor zehn gerne noch ein paar Klassikern mehr aus dem gewaltigen, immerhin 40-jährigen Repertoire gelauscht.
Doch zu weiterer Beschwerde gab es kaum Anlass. Vom allerersten bis zum letzten Moment wirkte Elton John frisch, flott, bestgelaunt, trieb er seine zwar albernen, bei ihm aber irgendwie dazugehörenden Faxen – und versäumte im Gegensatz zu schweigsameren Kollegen auch die mehrfach höfliche Nennung seiner „fantastic“ Gastgeberstadt nicht: „I wish you all the love, health and happiness (Ich wünsche Ihnen alle Liebe, Gesundheit und Freude)!“ Fünf, sechs neue, unbekanntere, teils wuchtig hämmernde Titel baute er ohne Qualitätsverlust in die versprochene Best-of-Abfolge ein. Die führte von den härteren Nummern „Saturday Night's Alright (For Fighting)“ und „Bennie & The Jets“ über „Philadelphia Freedom“ bereits um zwölf nach acht zu „Candle In The Wind“, heftig verfremdet und in der früheren Marilyn-Monroe-Version, nicht in der Lady-Di-Fassung von 1997 als meistverkaufter Single der Welt (mit 45 Millionen verkauften Tonträgern).
Es folgten „Goodbye Yellow Brick Road“, „Rocket Man“ oder „I Guess That's Why The Call It The Blues“, „Sacrifice“, die „Sad Songs“ sowie – besonders stark – „Sorry Seems To Be The Hardest Word“. Alle in eigener Weise, alle anders als bekannt, alle druckvoller als gewohnt, nicht alle gleich gelungen, aber meist spannend:
Niemand vermisste den originalen Sound, und am eigenwilligsten fiel der „Crocodile Rock“ aus, den sein Urheber nicht mehr zu mögen scheint – verständlich nach all der Zeit. Zu „Don't Let The Sun Go Down On Me“ um kurz vor halb zehn verabschiedete sich die Sonne tatsächlich, bei „I'm Still Standing“ standen die 9000 Menschen vereint auf dem Platz, angestachelt durch den Klasse-Bass von Bob Birch, der zum 56. Geburtstag sein privates „Happy Birthday“ bekam, oder die Riffs von Gitarrist Davey Johnstone. Der hat mit seinem Chef schon über 2000 Konzerte bestritten und trotzdem die Fähigkeit, als blondmähniger Hingucker neben dem Flügel so cool zu tun, als sei es das erste.
Dass dieses Würzburger Konzert nicht das schlechteste der über 2000 war, blieb freilich das Verdienst des Mannes in Blau selbst, der fast aufreizend ein überdimensionales „Z“ hinten am Frack und zwei kleinere auf den Ärmeln zeigte. „Z“ wie Zachary, der eineinhalbjährige, von einer Leihmutter geborene Sohn Elton Johns aus der Ehe mit Lebenspartner David Furnish, die Patentante heißt Lady Gaga. Wahrscheinlich ist Zachary nicht unschuldig an der neuen Vitalität seines Vaters: Wer schon immer mal erleben wollte, was mit 65 noch möglich ist, hatte dazu am Samstagabend beste Gelegenheit.