Es gibt eine Geschichte, die Dan Brown gerne erzählt. Also oft. Wer schon viele Interviews mit dem amerikanischen Bestsellerautor gelesen hat, kennt sie. Aber weil sie so schön ist und noch dazu von Weihnachten handelt, soll sie hier noch einmal erzählt werden.
Weihnachten in der Familie Brown, das verlief nämlich früher so: Da kam der kleine Dan hinunter, rannte zum Weihnachtsbaum, suchte nach Geschenken und fand nur einen Zettel: Auf dem stand ein Rätsel, ein Code. Erst wenn er den geknackt hatte, wusste er, wo er weitersuchen musste. Zum Beispiel im Kühlschrank. Da lag dann wieder ein Zettel, wieder mit einem Code. So ging es durchs ganze Haus und das letzte Rätsel führte wieder zurück zum Baum: Da lagen dann die Geschenke. Er liebt dieses Spiel mit den Codes noch immer, nun aber spielt er es mit der ganzen Welt.
„Origin“ heißt der fünfte Roman um den Harvard-Professor Robert Langdon, der vor einer Woche erschienen ist. Das Übliche, könnte man sagen: Es geht um Gott und die Menschheit, das ganz große Ding also. Irgendwo gibt es eine versteckte Botschaft, irgendwas muss entschlüsselt werden, keiner kann das so gut wie Langdon.
Das Übliche ist aber vor allem dies: Keine Woche auf dem Markt, schon steht Browns Roman auf Platz eins der Bestseller-Listen. Und wenn es daher einen Schriftsteller gibt, der auf die Buchmesse in Frankfurt verzichten könnte, dann Brown. Er ist dennoch da.
Und mit ihm all diese anderen Büchermenschen, Verleger, Autoren, Buchhändler, die wie Pilger jeden Morgen zum Messeturm ziehen, um die großen Rätsel der Branche zu lösen: Wird das Lesen überleben? Was passiert mit dem Buchmarkt? Gibt es so etwas wie eine Bestseller-Garantie? Und wie kann man die Menschen noch zu den Büchern bringen, wenn alle immerzu aufs Smartphone starren und abends ihre Serien bei Netflix glotzen.
Die großen Fragen eben. Immer noch unbeantwortet, insofern ist die Messe also genau der richtige Ort für einen wie Dan Brown beziehungsweise Robert Langdon. Erst einmal sind aber andere wichtige Dinge zu klären. Wie es zum Beispiel mit Gott weitergeht. Es mag auf dieser Messe sehr viele sehr kluge Menschen geben, aber die XXL-Fragen sind nur etwas für Dan Brown.
Der lächelt fein, streicht sich durchs gefönte Haar, muss aber doch einmal etwas klarstellen: Er weiß das gar nicht! Er sei weder so klug wie sein Held, noch so mutig, und mit seinen Romanen wolle er die Menschheit auch nicht belehren, sondern nur gut unterhalten.
Aber zurück zum lieben Gott. Nein, natürlich nicht Dan Brown, der ist Agnostiker und sieht die Sache so: Organisierte Religion werden wohl nicht überleben, ein äußerlicher Gott verschwinden, nicht aber die Spiritualität, die sich mit einer künstlichen Intelligenz kurzschließen werde... Zu kompliziert? Etwas ausführlicher, auf 670 Seiten, steht das so ähnlich im neuen Roman. Daraus wird Dan Brown auf dieser Messe auch lesen. Wie es ja alle tun und dann darüber reden, die wenigsten aber vor 1800 Zuhörern.
Daniel Kehlmann hat während dieser Messe dort gelesen, wo nur die Großen lesen. Im Schauspielhaus. Vor ihm war Michel Houellebecq an der Reihe, schmal und strubbelig, und die Frankfurter Allgemeine hat ihn danach mit einem „wurmstichigen Waran“ verglichen. Dann kam Kehlmann, gut gekämmt, las aus seinem Roman und so großartig klang das Ganze, dass jedem Waran die Spucke weggeblieben wäre... Aber Houellebecq war da natürlich schon wieder lange fort.
Kehlmanns Roman handelt vom Dreißigjährigen Krieg, beim Schreiben hat er etwas Merkwürdiges erlebt: „Die Gegenwart, in der ich lebe, und die Zeit, über die ich schreibe, sind einander immer näher gekommen.“ Ken Follett, dessen neuer Roman „Das Fundament der Ewigkeit“ nur ein paar Jahrzehnte früher spielt, hat hingegen das Gefühl, dass die damaligen Bewohner von Kingsbridge vielleicht vernünftiger gewesen sind als manche heutigen, hätten so einen Quatsch wie den Brexit nämlich nie mitgemacht: „Alles remainer.“
Follett ist im übrigen Atheist, geht aber sehr gerne noch in die Kirche, auch wegen der Musik – „wenn sie gut ist“. Und damit wäre man, verrückte Sache, auch schon wieder bei Dan Brown, dessen Mutter nämlich Kirchenmusikerin war, sein Vater Mathematiker. „Symbols and codes“, was sollte der Mann anderes werden?