Sehr viel schönere Arbeitsplätze dürfte es nicht geben: Wer die Empore der Hofkirche der Würzburger Residenz betreten darf (was wegen der nach heutigen Sicherheitsstandards zu niedrigen Brüstung nur Auserwählten zuteil wird), der kann sich kaum satt sehen an dieser Fülle von Licht, Pracht und Form. Nach vorn fällt der Blick in dieses so unglaublich kunstvoll von Balthasar Neumann entworfene Kirchenschiff, nach hinten schweift er über den Residenzplatz Richtung Dom und Festung.
Die Empore ist der Arbeitsplatz von Reinhold Meurer, Organist der Hofkirche, Gründer und Leiter der Cappella Herbipolensis. Der kleine Chor hatte hier vor genau 50 Jahren seinen ersten Auftritt. Seither gestaltete er unzählige Gottesdienste und Konzerte – hier und in vielen anderen Kirchen. Hinzu kamen Rundfunk- und Plattenaufnahmen, Fernsehauftritte und gelegentliche Reisen. "Wir sind unglaublich dankbar für die 50 Jahre, die wir hier sein durften", sagt Meurer, "diese Kirche verdient es, belebt zu bleiben."
In der 1743 geweihten Hofkirche kennt der 72-Jährige jede Säule, jedes Engelchen, jedes Ornament. Und doch entdeckt er nach all den Jahrzehnten immer wieder neue Details. Ein Running Gag zwischen Chorleiter und Sängern sind zwei in den vergoldeten Stuck der Decke eingebettete lateinische Schriftzüge, die man – typischer Musikerhumor – durchaus als Anspielung auf das Proben- und Konzertgeschehen darunter verstehen kann. Über dem Dirigenten steht: "Justi autem ibunt in vitam aeternam" (die Gerechten werden in den Himmel gehen). Und über dem Chor: "Maledicti in ignem aeternum" (die Verdammten ins ewige Feuer).
Einziger optischer Störfaktor auf der Empore ist die neue Orgel von 2012
Einziger optischer Störfaktor auf der Empore ist die neue Orgel von 2012, ein hellgrauer Kubus ohne gestalterischen Bezug zu seinem Umfeld. Immerhin: Reinhold Meurer konnte verhindern, dass die Orgel direkt vors Fenster in die Achse des Lichteinfalls Richtung Altar gepflanzt wurde. Nun steht sie seitlich und wirkt dennoch deplatziert. "Ein Schnitt ins Auge", sagt der Organist. Die neue Orgel ergänzt die alte, Baujahr 1966, die zwar geschickt hinter einem Ziergitter in der Seitenwand verborgen wurde, aber eben deshalb nicht die nötige klangliche Wucht entfalten konnte.
Am kommenden Sonntag, 9. Februar, feiert die Cappella Herbipolensis um 12 Uhr ihr 50-jähriges Bestehen, indem sie das tut, was sie hunderte Male getan hat: Sie gestaltet einen Gottesdienst musikalisch, unter anderem mit den drei Bach-Chorälen, die sie damals im Februar 1970 gesungen hat. Außerdem hat Reinhold Meurer eine Jubiläumsschrift zusammengestellt, mit Konzertprogrammen, Fotos und Kritiken aus fünf Jahrzehnten.
Bis zum Krieg hatte es immer einen Hofkirchen-Chor gegeben, in Zeiten des Fürstbistums sogar eine professionelle Hofkapelle. Nach der Zerstörung und während des Wiederaufbaus herrschte erstmal "Flaute", wie Meurer sagt. Ab 1963 war die Hofkirche dann wieder für die Öffentlichkeit zugänglich, Organist war damals (und bis 1989) Hermann Förster.
"Förster fiel auf, dass die Kirche zu Hochzeiten immer wunderbar geschmückt war, aber dass zum Fest der Geburt Jesu hier nichts los war", erzählt Meurer, "also haben wir mehr oder weniger zufällig einen Chor gegründet." Der bekam – schließlich war Förster im Hauptberuf Lateinlehrer am Wirsberg-Gymnasium – denn auch einen lateinischen Namen.
Reinhold Meurer, ehemaliger Schüler Försters, war damals 22, angehender Hauptschullehrer und Tenor im Domchor, wo er so stand, dass er Domorganist Paul Damjakob über die Schulter schauen konnte. Außerdem hatte er als Externer bei Bertold Hummel Tonsatz und Kontrapunkt gelernt und neben dem Lehramtsstudium Musikwissenschaft studiert. Als Instrumentalist war er mit Cello und Klavier vertraut, bei Damjakob, für den er dann auch registrierte, schaute er sich Entscheidendes für die eigene Organisten-Laufbahn ab, die 1969 in St. Andreas in der Sanderau begann – ein 1968 geweihter Neubau, den die Gemeinde liebevoll "Betonius und Zementine" nannte.
Der Chor pflegt ein Repertoire von der Gregorianik bis zur Gegenwart
"Ich wollte nie ein Tasten-Virtuose sein", sagt Meurer, "sondern vor allem die Vielfalt musikalischer Tätigkeiten genießen." Auch der Cappella geht es weniger um schiere Perfektion, sondern eher um Spaß an der Sache und die Pflege von Abwechslung und Vielfalt, etwa in der Würdigung fränkischer Komponisten wie Valentin Rathgeber (1682-1750). Ansonsten: Repertoire von der Gregorianik bis zur Gegenwart, nicht selten in Sätzen oder Kompositionen Reinhold Meurers. Einige Jahre trat die Cappella im "Beiprogramm" des Mozartfests auf, dann gerne mit Frühwerken Mozarts, etwa seiner ersten kirchenmusikalischen Komposition überhaupt, der Motette "God is our Refuge" KV 20, die der neunjährige Wolfgang Amadé in London komponiert hatte.
In Zeiten, als in der Bach-Pflege noch der romantisch üppige Klang eines Karl Richter mit riesig besetzten Chören und Orchestern als Maß aller Dinge galt, war die Besetzung der Cappella Herbipolensis nahezu visionär: drei Soprane, zwei Alt, ein Tenor und zwei Bässe – das entsprach der Besetzung des Hofkirchenchors aus dem 18. Jahrhundert und ist bis heute so geblieben. Für Passionen oder Messen holte man sich bald Streicher und/oder Bläser dazu, die Stimmen aber blieben immer solistisch besetzt, in den Chor- wie in den Solopassagen. Das erforderte gut ausgebildete Sängerinnen und Sänger, die vom Blatt singen konnten und keine Angst vor exponierten Auftritten hatten.
Den Vergleich mit Harnoncourt, als Tadel gedacht, nahmen sie als Lob
Reinhold Meurer erzählt: "Jemand hat einmal kommentiert: ,Da hört man ja jede einzelne Stimme'. Und das war genau, was wir wollten." Entsprechend hat er sich auch gefreut, als ein Hörer – Karl-Richter-Fan – einmal einen erbosten Brief an den Bayerischen Rundfunk schrieb, in dem er die kleine Besetzung der Würzburger monierte und deren Klang mit den Einspielungen des Originalklang-Pioniers Nikolaus Harnoncourt verglich. Aus Sicht des Absenders ein Tadel, für den Adressaten größtmögliches Lob.
Drei der sieben Gründungsmitglieder sind heute noch aktiv: Reinhold Meurer, sein Bruder Anton und Ursula Rosenbaum. Über die Jahrzehnte kamen und gingen die Mitglieder, die meisten übten bürgerliche Berufe aus, einige aber wählten den Weg in den Musikerberuf, wurden Kantoren oder Mitglieder in Opernchören. Oder Opernstars. Wie Waltraud Meier, die von 1972 bis 1975 Mitglied der Cappella Herbipolensis war.