Der Bürgermeister von Wittelshofen muss sich in diesem Jahr weniger Sorgen um seine Kriminal-Statistik machen. Raufereien, Diebstähle oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz haben dem Oberhaupt der 1200-Seelen-Gemeinde immer mal wieder die Jahresbilanz überproportional verhagelt, wenn 40000 Rock-Fans zum Summer Breeze Open Air gekommen sind. "Er ist der einzige, der sich über die Vorfälle aufgeregt hat", scherzt Breeze-Begründer Achim Ostertag. 2019 ist das größte Metal-Festival Süddeutschlands erstaunlich ruhig - abseits der Bühnen freilich. Weil ein Umdenken stattfindet.
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Musikalisch nicht. Das "Breeze" war immer einen Tick härter als Wacken und ist es auch diesmal. Auch zu den besten Abendstunden sorgen im Feld der über 120 Bands Parkway Drive, In Flames, Meshuggah, Emperor, King Diamond oder Dimmu Borgir für ein Übergewicht der Metalcore-, Death-Metal-, Black-Metal- oder Extreme-Metal-Fraktion gegenüber melodiebewussteren Kapellen wie Hammerfall, Airbourne oder Avantasia. Und auf den kleineren Bühnen wechseln sich Skurrilitäten wie die tschechische Grindcore-Rabauken, deren Fans gerne Klobürsten schwingen, mit tiefschwarzer Kunst (Gaahls Wyrd) ab.
Alles beim alten also? Nicht ganz, Klimawandel und Terror hinterlassen ihre Spuren auch auf einem Heavy-Metal-Festival. Die Freitags-Demos, die intensiven Debatten über Umwelt-Themen, das gewachsene Sicherheitsbedürfnis nach Anschlägen - all das prägt die Gesellschaft, "und ist auch im Heavy Metal angekommen", sagt Alex Härtel, der Medienbeauftragte des Festivals. Die Zeltplätze würden sauberer gehalten und verlassen, Vieles landet auch im neuen Wertstoffhof, der eigens auf dem Flugplatz-Gelände nahe Dinkelsbühl gebaut worden ist.
Vermehrt reservierte Zeltplatz-Flächen seien zudem ein Kniff des Veranstalters, weil so Namen und Adressen bekannt seien. Neue, mit Unterdruck zu entleerende Toiletten sorgen für weniger Abwasser. An den Imbissbuden rund um die Bühnen gibt's kaum noch Plastik, dafür alternative Schälchen und Verpackungen. An den Eingängen wird strenger kontrolliert, dass kein Unfug aufs Gelände kommt. In Summe fühlen sich die Fans sicher, geborgen, umsorgt, frei von schlechtem Gewissen. Kurzum: wohl. Und sie danken es deutlich spürbar mit Rücksichtsnahme.
Und selbst beim Wetter ergeben sich Ostertag und Co nicht der Machtlosigkeit gegenüber höherer Gewalt. Mögliche Unwetter werden rechtzeitig lokalisiert und Warnungen an das Publikum weitergegeben. Pudelnass im Wolkenbruch wird auf den großen Festivals der Republik kaum noch gerockt. Erst Anfang August in Wacken gab's zwei Programm-Unterbrechungen wegen drohender Unwetter. Die Fans haben es mit Humor genommen, dass nicht mehr als ein normaler Sommerregen folgte. Beim Taubertal-Festival vor einer guten Woche war wegen eines Gewittersturms gar ein Abbruch nötig - das Gelände aber rechtzeitig geräumt.
Ostertag, der das Summer Breeze 1997 aus der Taufe gehoben hatte, geht beim Wetter auf Nummer sicher: "Wir engagieren jedes Mal einen Meteorologen, der in Karlsruhe sitzt und mit uns in ständigem Kontakt ist. Lokalisiert er ein sich auf Dinkelsbühl zu bewegendes Unwetter, steigt er ins Auto und fährt zu uns, damit er vor Ort noch genauer arbeiten kann." Vor zwei Jahren war's zuletzt der Fall. Der Wetterfrosch kam, konnte letztlich Entwarnung geben, weil sich die Gewitterfront geteilt hatte - und Ostertag kam mit seinem Team um eine Evakuierung des Geländes herum. "Natürlich haben wir bei diesem Aufwand Unkosten, die der Fan nicht sehen kann."
Eine Kostenstelle, an der Ostertag aber nicht sparen will. "Was wir allein an Versicherungsgebühren wegen der Unberechenbarkeit des Wetters in den letzten 15 Jahren gezahlt haben, würde für einen Jahres-Etat reichen." Und der sei inzwischen "auf Kante genäht", weswegen eine Ausweitung des Festivals auch gar nicht angestrebt werde. "Wir fühlen uns mit den 40000 sehr wohl." Ohne zusätzliche Infrastruktur seien zudem die im westeuropäischen Vergleich auf niedrigem Niveau liegenden Preise nicht haltbar.
Dass die Fans es selbstverständlich lieber von den vier Bühnen rumpeln hören als vom Himmel, kann auch Roman Hilser bestätigen, der für den Social-Media-Auftritt des Summer Breeze verantwortlich ist. "Ich habe im Vorfeld noch nie so viele Fragen zum Thema Wetter beantworten müssen", spielt Hilser auf den Klimawandel und das Risiko extremer Wetterlagen an. "Lieber die Flächen vor den Bühnen eine Stunde räumen, als ein Risiko einzugehen. Was auf dem Zeltplatz als stärkerer Wind wahrgenommen wird, kann auf größeren freien Flächen für die hohen Bühnenaufbauten gefährlich werden. Wenn wir räumen, dann ist das immer berechtigt."
Nun, 2019 muss nicht geräumt werden. Die "Sommerbrise" fällt flau aus, der Regen hält sich in Grenzen, der mittelfränkische Spätsommer hält sich mit zu großer Hitze zurück. Und auch der Wittelshofener Bürgermeister hat Grund zur Freude. Einige der durchs Sicherheitsnetz geschlüpften Straftäter greift die Polizei auf: Unter Beifall Umstehender können sich knapp 50 Geschädigte ihre in der Nacht auf Donnerstag gestohlenen Handys am Freitag auf der mobilen Dienststelle wieder abholen.