Er könnte einem schon leid tun, wäre er nicht so eine trübe Tasse, dieser Minimaus, äh, Menopaus, äh, Nikolaus. Also dieser Menelaus, dessen Namen sich richtig zu merken niemand die Mühe macht. Menelaus ist immerhin König von Sparta, das aber auch nur dank geschickter Heirat. Mit Helena, Tochter von Leda (Sie wissen schon) und schönste Frau der Welt. Ganz so geschickt ist diese Heirat dann aber auch wieder nicht, wie sich am Sonntag bei der Premiere von Jacques Offenbachs Operette "Die schöne Helena" schnell herausstellt. Denn die Titelheldin wird vom "Verhängnis" verfolgt, wie sie ein ums andere Mal beklagt. Wobei mit "Verhängnis" schlicht und einfach ihre Unfähigkeit gemeint ist, erotischen Versuchungen zu widerstehen.
Pascale-Sabine Chevroton (Regie und Choreografie) und Alexandra Burgstaller (Bühne und Kostüme), die in der Spielzeit 2016/17 bereits "Jesus Christ Superstar"verantwortet hatten, verlegen das Geschehen in ihrer Inszenierung für das Mainfranken Theater aus dem mythologischen Griechenland in eine Art Wellness-Resort - irgendwo zwischen dem TV-Bühnenbild von "Erkennen Sie die Melodie" (mit dem schwarzglänzenden Boden und den obligatorischen Säulen) und Cesar's Palace in Las Vegas.
Kalchas, Großaugur des Jupiter, ist folgerichtig ein bestechlicher Concierge im Zweireiher (mit schwerblütiger Schlitzäugigkeit: Igor Tsarkov ). Das Tempelpersonal bewahrt die Togen in stinknormalen Spinden auf und ist ansonsten mit Mopp zugange und für den nie endenden Nachschub an Handtüchern für die Gäste zuständig.
Einmal mehr tragen Chor und Extrachor (perfekt einstudiert von Anton Tremmel) nicht nur sängerisch ganz erheblich zum Vergnügen bei, sondern auch in den parodistischen Choreografien (einen Cancan gibt's nur in kärglich männlicher Version, in Badelatschen und -mantel) und in den Massenszenen, mal als Jubelgriechen, mal als genusssüchtige Meute.
Das grundsätzlich Angenehme: Pascale-Sabine Chevroton verzichtet auf eine Transponierung der satirischen Elemente in die Gegenwart. Wo Offenbach 1865 die bourgeoise Schickeria des zweiten französischen Kaiserreichs auf die Schippe nimmt, geht es hier schlicht um Komik und genüssliche Albernheiten. Sofern man die Entlarvung von Eitelkeit, Unfähigkeit und Gier nicht per se schon als satirisch sehen möchte.
Stattdessen: Jede Menge Spaß. Etwa der Wettbewerb der Dichter und Denker, indem sich der als Schäfer getarnte Paris (Roberto Ortiz als tollpatschiger James-Bond-Verschnitt mit Jonglier- und Jodelqualitäten) gegen allerhand goldbetresste Dumpfbacken durchsetzt, deren Darsteller allesamt mit sichtlichem Vergnügen an Slapstick und Wortwitz agieren: Yong Bae Shin, der als Achill immer irgendwas an der Ferse (mit F!) hat. Die beiden verblüffend ähnlichen Ajaxe (Tobias Germeshausen, Paul Henrik Schulte) und ein Daniel Fiolka, der mit seinem berückenden Talent für Timing und nassforsche Torheit als Idealbesetzung des Agamemnon gelten kann. Außerdem: Mathew Habib als verschlagen-doofer Menelaus und Barbara Schöller als feierwütiger Orest, von Beruf Sohn (des Agamemnon).
So viele berühmte Namen, so viele Assoziationen... Was war da noch mit Orest? Warum noch könnte Agamemnon seine Frau Klytämnestra loshaben wollen? Der mythologiefeste Zuschauer weiß, wie im echten altgriechischen Leben da draußen so mancher Lebenslauf enden wird. Für alle anderen ertönt bei jeder Anspielung in diese Richtung ein Glockenspielsignal, wie einst im Schulfernsehen, wenn im Sprachkurs die Spielszene angehalten wurde, um eine neue Vokabel einzuführen.
Aus einem sängerisch durchweg begeisternden (und dezent verstärkten) Ensemble ragt Marzia Marzo in der Titelrolle mit ihrem warmen Mezzo heraus. Als schöne Helena ist sie zweieinhalb Stunden nahezu durchgängig hinreißend (halt immer, wenn sie auf der Bühne ist) – eine Meisterin der Koketterie, der Manipulation und zur Not auch der Herrschsucht. Und der Kaltblütigkeit. Einmal fällt sie mit großer Geste in Ohnmacht (in ausweglosen Situationen das Mittel der Wahl) – als Landeplatz vorgesehen wäre praktischerweise die Chaiselongue, doch Marzia Marzo trifft nur deren Kante und landet der Länge nach auf dem Boden. Sollte sie sich dabei wehgetan haben, der Zuschauer jedenfalls merkt davon nicht das geringste.
Marie Jacquot dirigiert das Philharmonische Orchester mit genau der richtigen Dosis an Spritzigkeit, die immer noch Zeit findet für diesen runden Klang, den die stellvertretende Generalmusikdirektorin bevorzugt. Dabei nimmt sie es nicht übel, dass ihr hin und wieder eine der Figuren von der Bühne herab Einhalt gebietet. Musiktheater am Mainfranken Theater ist dieser Tage eben vor allem eine Ensemble-Angelegenheit, die den Menschen beiderseits des Grabens gleichermaßen Spaß zu machen scheint. Langer Jubel des nicht sehr vollen Hauses.
Auf dem Spielplan bis Ende April. Die nächsten Vorstellungen: 7., 11., 13., 22. Dezember (19.30) und Silvester (14.30 und 19 Uhr). Karten: Tel. (09 31) 39 08-124, karten@mainfrankentheater.de