Autos und Luftfahrt, Tempo und Bewegung faszinierten die italienischen Futuristen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wie kleine Jungs den technischen Fortschritt feierten. Nicht unwahrscheinlich, dass sie Ferdinand Lammeyers eigenartiges, in den geheimnisvollen Farben des Universums schimmerndes Bild „Segelflug“ beeinflusst haben, das dieser Tage inmitten altgriechischer Reliefs im Knaufmuseum Iphofen „fremdgeht“.
Bis 5. November hängt das Ölbild des in Fulda geborenen Malers (1899-1995) nicht an seinem Stammplatz in der Kunsthalle Schweinfurt, sondern umgibt sich mit antiken Kampfszenen und menschlicher Schönheit. Nebenan gürtet Nike ihre Sandale; die hauchdünne Tunika verbirgt und zeigt dabei alles.
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Gemalt hat Ferdinand Lammeyer den „Segelflug“ im Jahr 1950, als der Stern der Futuristen bereits gesunken war. Doch auch Lammeyer widmet sich hier auf 76 mal 60 Zentimetern Hartfaserplatte dem Thema Bewegung – im Luftraum wie auf der Erde. (Dreh-)Bewegung zeigt er etwa im Lauf zahlreicher Gestirne; der große gelbe Ball rechts vorne mag die Sonne darstellen.
Die Wasserkuppe als Wiege des Flugsports
Dazwischen strebt ein in kubistische Kristallformen zersplittertes Flugzeug im Aufwind nach oben, bis es den oberen Bildrand nahezu durchbricht. Der Flugsport hat in Lammeyers Heimat, der Rhön, eine lange Tradition, die Wasserkuppe gilt gar als dessen Wiege in Deutschland.
Eine einäugige Gliederpuppe, die mit drallen, gelben Brüsten um die eigene Achse kreiselt, erinnert an die leblosen, geheimnisvoll poetischen Schneiderpuppen de Chiricos, der einst dem Surrealismus den Weg ebnete. All das Drehen und Kreisen in Lammeyers „Segelflug“ spielt sich auf (und über) einer nur angedeuteten Landschaft mit zeichenhafter Vegetation ab. Möglich, dass der Künstler die gewählten Motive als Symbole für das ständige Auf und Ab im Lebenskreis verstanden hat.
Studiert hat Ferdinand Lammeyer in den 1920er Jahren an der Frankfurter Städelschule. Im Anschluss eröffnete er ein eigenes Atelier in Frankfurt, wurde Mitglied der Darmstädter Sezession, einer renommierten Künstlervereinigung, und studierte weiterführend Wandmalerei in Berlin.
Gleich mit sieben Arbeiten beteiligte er sich 1943 an der Ausstellung „Junge Kunst im Deutschen Reich“, die Baldur von Schirach – „Reichsstatthalter“ und „Reichsleiter“ im NS-Staat – im Wiener Künstlerhaus ins Leben gerufen hatte.
Die beharrliche Suche nach Reduktion
Bis zur Zerstörung seines Ateliers und seiner Wohnung im Jahr 1944, der auch seine Bilder, Zeichnungen und Skizzen nahezu vollständig zum Opfer fielen, arbeitete er als Kunstmaler in Frankfurt.
Nach dem Bombenangriff zog Ferdinand Lammeyer als freischaffender Künstler nach Bischofsheim an der Rhön, einen Wohnsitz, den er trotz intensiver auswärtiger Beschäftigungen bis zu seinem Tod im Jahr 1995 aufrechterhielt (er wurde 95 Jahre alt). Eine Professur sowie die Leitung der Klasse für Freie Malerei, später sogar das Rektorat seiner ehemaligen Hochschule fielen ihm als international völlig unbekanntem Künstler quasi in den Schoß. Denn Max Beckmann – einst von den Nazis von der Schule vertrieben – war kurz vor seiner Berufung an einem Herzinfarkt gestorben. Zunächst beeinflusst von Expressionismus und Kubismus, suchte Lammeyer in seiner Kunst stets nach Reduktion, ohne sich dabei gänzlich vom Gegenstand zu lösen.
Seine Maxime lautete: „Die Form wird Zeichen und die Farbe Klang.“ Dieses Zeichenhafte prägt auch seinen mystisch-dynamischen „Segelflug“.
Öffnungszeiten des Knauf-Museums Iphofen: Dienstag bis Samstag, 10 bis 17 Uhr, Sonntag 11 bis 17 Uhr, Montag geschlossen.
