Dies war die bislang wohl ungewöhnlichste Eröffnung eines Kissinger Sommers. Abgesehen von den pandemisch bedingten Ungewöhnlichkeiten, die inzwischen überall da Gewohnheit sind, wo Kultur stattfindet: Nur jede zweite Stuhlreihe aufgebaut, das Publikum fein säuberlich und mit großen Abständen verteilt, Einbahnwege, Masken und so weiter.
Nein, das eigentlich Ungewöhnliche war das Konzert selbst: keine Orchestergala mit sinfonischem Maintream, sondern ein Duo-Abend mit durchaus widerborstigem Programm. Auch er freilich Corona geschuldet: "Wir haben während des Wartens zunächst die Sachen geplant, die sich gut machen ließen. Also kleine Ensembles", sagt Intendant Tilman Schlömp.
Und so kam es, dass Mischa Maisky, 73, seit Jahrzehnten Mitglied der cellistischen Weltspitze, und seine Tochter Lily, Jahrgang 1987, das Festival eröffneten. Die beiden spielten im Max-Littmann-Saal zwar auch Eingängiges wie die Beethoven-Variationen über Mozarts "Bei Männern, welche Liebe fühlen" oder Charakter- und Salonstücke von Tschaikowsky und Rachmaninow. Aber ein Stück wie die 1961 uraufgeführte Sonate von Benjamin Britten hört man extrem selten im Konzert – weil es Interpreten und Hörern einiges abverlangt.
Bekennender Romantiker und bei Zeitgenössischem eher zurückhaltend
Mischa Maisky, bekennender Romantiker, Skeptiker der historisch informierten Aufführungspraxis und bei Zeitgenössischem eher zurückhaltend, nahm sich den Britten mit aller Sorgfalt, vor allem aber aller Macht vor: Das Werk, gewidmet Maiskys Lehrer Mstislav Rostropowitsch, der vor allem für seine unbändige Kraft berühmt war, ist ein Kraftakt in vielfacher Hinsicht. Atonale Ruppigkeit mit kratzigen Doppelgriffen, mit maximaler Anstrengung zu zupfende Passagen machen immer wieder kurzen lyrischen Einschüben Platz – die Interpreten müssen permanent sekundenschell umschalten.
Die Maiskys machten das mit großer Energie und Selbstverständlichkeit. Musikalisch verstehen sich Vater und Tochter ausgezeichnet. Kurios nur, dass sie einander beim Auf- und Abtreten und auch beim Verbeugen keines Blickes würdigten. Spätestens da ist es ja durchaus üblich, dass Künstlerinnen und Künstler den Applaus demonstrativ miteinander teilen. Nicht so hier. "Das Musizieren hat das jedenfalls nicht beeinträchtigt", kommentierte ein Besuchter trocken.
Russische Romantik – wie gemacht für Mischa Maisky
Jedenfalls eine gute Idee, den Britten ins Programm zu nehmen. Genauso, wie es eine gute Idee war, die Stücke von Tschaikowsky und Rachmaninow, darunter die berühmte "Vocalise", am Stück zu spielen, als bildeten sie ein Werk. So konnte Mischa Maisky ausgiebig seinem riesigen Talent frönen, auf seinem Instrument zu singen. Russische Romantik - wie für ihn gemacht.
Harte Arbeit dann wieder mit Astor Piazzollas "Le Grand Tango". Der klingt erstmal verfremdet, verzerrt, überzeichnet – der Tanz muss erst freigelegt werden. Es spiegelt sich darin Piazzollas schwieriges Verhältnis zur populären Musik seiner Vorfahren, aber auch sein tiefes Gespür für die Abgründe, die auch im konventionellen Tango immer mitschwingen. Lily und Mischa Maisky machten all das hör- und erfahrbar. Und als das begeisterte Publikum auch noch eine zweite Zugabe forderte, huschte sogar ein Lächeln über Mischa Maiskys Gesicht.
Der 35. Kissinger Sommer findet noch bis 1. Juli statt. Zu einigen Konzerten gibt es noch Restkarten: www.kissingersommer.de