„Wer war der Täter?“ heißt es in Krimis. Eine ähnliche Frage stellt sich auch Dr. Claudia Lichte, Leiterin des Museums für Franken. Nur geht es bei ihr nicht um Täter, sondern um Kunsthandwerker. Und nicht um einen Kriminalfall, sondern um den mehr als 500 Jahre alten Kiliansaltar. Detektivarbeit ist dennoch gefragt. Denn der Flügelaltar gibt Rätsel auf.
Sicher ist: Die Leihgabe aus dem Historischen Museum Basel an das Museum in der Würzburger Festung entstand in den 1470er Jahren. Das verrät die Datierung auf dem linken Flügel. Die letzte Ziffer ist nicht mehr lesbar.
So gut wie sicher ist: Der Altar hat etwas mit dem Bistum Würzburg zu tun. Indizien dafür sind die hölzernen Skulpturen im Mittelteil: der erste Würzburger Bischof Burkard und, links davon, der heilige Kilian. Kolonat und Totnan, die beiden anderen „Frankenapostel“, finden sich als Malereien außen auf den klappbaren Flügeln. Sie waren an Werktagen zu sehen, wenn der Altar geschlossen war.
Wieso ausgerechnet Hieronymus?
Doch: Wieso steht neben Kilian und Burkard – also sehr prominent – der heilige Hieronymus? Wie sind die Skulpturen der Dorothea und des Christophorus auf den Innenseiten der Altarflügel zu erklären? Diese Heiligen haben keine unmittelbare Verbindung zum Bistum Würzburg.
Claudia Lichte hat mehrere Theorien: „Möglicherweise waren es bevorzugte Heilige der Stifter.“ Oder: „Christophorus war der Schutzheilige der Reisenden. Vielleicht stand der Altar in einer Wallfahrtskirche.“ Oder hatten die nichtfränkischen Heiligen mit dem Patrozinium der Kirche zu tun, in welcher der Altar stand?
Über den ursprünglichen Standort des vergleichsweise kleinen Kiliansaltars lässt sich derzeit nur der eine oder andere Verdacht äußern. Vielleicht war er in einem Kloster, in einer Kapelle, in einer Nische einer größeren Kirche aufgestellt. Doch an welchem Ort?
Hilfe bei der Fahndung
Hier kann der Hintergrund weiterhelfen. Der ist hinter den Figuren der Altar-Vorderseite golden und von einem Muster strukturiert. Er ist original und gut erhalten. Das hilft bei der Fahndung.
Das Muster wurde – eine der damals üblichen Techniken – graviert, also in die dicke Kreide-Grundierung geritzt. Darüber wurde Blattgold gelegt. Die Linien des Musters zeichnen sich durch die nur wenige Tausendstel Millimeter dünne Edelmetallschicht ab.
Sogenannte Lochschablonen stellten die Gleichmäßigkeit der Muster in einem gewissen Maß sicher: Das Muster wurde zunächst auf Pergament, Karton oder geöltes Papier gezeichnet oder gepaust. Der so entstandene Umriss wurde mit Nadeln durchstochen. Die Schablone wurde auf den Kreidegrund gelegt. Dann wurde Kohlestaub durch die kleinen Löcher gedrückt, das Muster zeichnete sich auf dem Kreidegrund ab; es konnte graviert werden.
Viele Werkstätten entwickelten ihre eigenen, individuellen Ornamente. Wie ein Fingerabdruck kann die Verzierung des Hintergrunds also auf die richtige Spur führen. „Muster lassen sich zuordnen“, erklärt Claudia Lichte. Es gibt Musterbücher. Ein Teil der Ermittlungsarbeit besteht also darin, die Muster am Kiliansaltar mit schon zugeordneten zu vergleichen. Finden sich Übereinstimmungen, lässt sich der Ort oder zumindest die Region der Entstehung eingrenzen.
Weitere Ermittlungen
Claudia Lichte zeichnete nach, pauste durch, suchte, verglich – und wurde fündig. Der Altar, so ihr erster Ermittlungserfolg, stammt aus Württembergisch-Franken. Also aus der Gegend nördlich des heutigen Schwäbisch Hall. Wenn auch mit leichten Abweichungen, findet sich das Ornament noch an anderen Altären aus jener Region. Hall, wie die Stadt im 15. Jahrhundert hieß, war der südlichste Zipfel des Bistums Würzburg.
Für einen Altar, der in einer Kirche in oder um Hall stand, wären die Figuren der „Frankenapostel“ durchaus sinnvoll gewesen, erklärt die Würzburger Kunsthistorikerin: „Gleich an der Grenze wären Reisende dann mit den Heiligen des Bistums bekanntgemacht worden.“
Doch das sind Mutmaßungen – noch. Lichte möchte weiter ermitteln. Ein Grund, warum das Schweizer Museum den Kiliansaltar für die nächsten zwei, drei Jahre in die Gegend seiner Entstehung ausgeliehen hat, ist die Suche nach neuen Erkenntnissen.
Noch ein Verdacht
Der Hintergrund ist nicht nur schmückendes Beiwerk. Er hat symbolische Bedeutung. Er ist dreigeteilt. Besonders deutlich ist das am rechten Flügel: Hinter Dorothea glänzt oben Gold, die Mitte ist graubraun, die Füße der Heiligen stehen auf einer grünen Fläche. „Gold steht für Himmel“, erklärt Claudia Lichte. Die Mitte sei durch die heute nur noch zu erahnenden Brokatmuster als sogenanntes Ehrentuch aus kostbarstem Stoff zu deuten. Es sei ein „Hoheitszeichen“. Die unterste Zone steht für das Irdische. Die Heiligen stellen also eine Verbindung zwischen Erde und Himmel dar.
Wer seinerzeit einen Altar stiftete, wollte sich vom Fegefeuer oder der drohenden Hölle loskaufen. Der Kiliansaltar sei „sehr kostbar“, sagt Claudia Lichte. Der Stifter hat viel Geld ausgegeben – muss also ordentlich Angst gehabt haben vor den Strafen, die ihn nach dem Tod erwarteten . . . Doch auch das ist nur ein Verdacht. Schon deswegen, weil (noch) nicht klar ist, ob es einen einzelnen Stifter gab.
Öffnungszeiten des Museums für Franken, Festung Marienberg: Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr (April bis Oktober), 10-16 Uhr (November bis März). Die nächste Führung zum Kiliansaltar ist am 14. Juli, 14.30 Uhr. Gruppenführungen können auch gebucht werden (www.museum-franken.de)