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Weikersheim
Der Pianist, der sich einmischt: Igor Levit eröffnet mit einem umjubelten Konzert die Saison der Tauberphilharmonie
Igor Levit ist einer der führenden Musiker unserer Zeit. Und als politischer Aktivist eine Ausnahmeerscheinung im Klassikbetrieb. Warum das durchaus kein Widerspruch ist.
Igor Levit am Flügel der Tauberphilharmonie Weikersheim.
Foto: Michael Pogoda | Igor Levit am Flügel der Tauberphilharmonie Weikersheim.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:54 Uhr

Klassische Musikerinnen und Musiker gelten gemeinhin als eher unpolitisch. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch diesen vermeintlichen Frieden beendet, vor allem für Künstlerinnen und Künstler aus Russland. Wer sich nicht schnell und klar genug von Putins Staatskulturapparat distanziert, riskiert Kontakte und Karriere im Westen.

Igor Levit mahnt zu mehr Differenzierung. Der 1987 im russischen Gorki geborene Pianist lebt seit 1995 in Deutschland. Er hat sich politisch schon immer eingemischt und ist dafür angefeindet, aber auch vielfach ausgezeichnet worden, etwa für sein Engagement gegen Antisemitismus. Am Samstag hat er mit einem umjubelten Konzert die Spielzeit der Tauberphilharmonie in Weikersheim eröffnet - sein bereits dritter Auftritt in der fabelhaften modernen Konzerthalle am Rande des idyllischen historischen Städtchens.

Viele im Westen haben erst am 24. Februar ihr moralisches Gewissen entdeckt

Vor dem ausverkauften Konzert ist Igor Levit bereit, ein kurzes Interview zu geben. Die Frage, ob sich nicht viel mehr Künstlerinnen und Künstler einmischen sollten, findet er falsch gestellt: "Ich tue es, weil ich es für richtig und wichtig halte. Ich leite nicht aus meinem Musikersein ab, dass ich Verantwortung zeige. Das tun extrem viele Menschen, und grundsätzlich sollten es alle tun, unabhängig vom Beruf."

Viele im Westen hätten erst am Tag des russischen Angriffs ihr moralisches Gewissen entdeckt: "Wenn wir Künstlerinnen und Künstler jetzt als Propagandisten eines faschistoiden Staates sehen, dann müssen wir uns an die eigene Nase fassen und sagen, das waren sie schon immer, und zwar transparent und offen. Das hat uns nur vor dem 24. Februar nicht interessiert." Gleichzeitig gebe es aber eine große Menge russischer Musikerinnen und Musiker, die mit diesem Land leben müssten: "Was sollen die machen? Die haben nichts anderes als dieses Land."

Igor Levit spielt Liszt als persönlichen, ganz im Augenblick fußenden Ausbruch

Dass Igor Levits humanistisches Engagement so viel Gehör findet, liegt natürlich auch an seiner Kunst. Der 35-Jährige gehört zweifellos zu den führenden Musikern dieser Zeit. Seine Einspielung der 32 Beethoven-Sonaten ist kompromisslos expressiv und beglückend schön.

Genau diese beiden Pole bestimmen auch das Weikersheimer Konzert.  Die sechs Choralvorspiele von Brahms und die Variationen über einen Folksong von Fred Hersch führen auf des eigentliche Ereignis hin: ein liebevolles, wehmütiges "Tristan"-Vorspiel und - direkt anschließend - die kolossale, absurd schwere, grandiose, intime, maßlose, überwältigende h-Moll-Sonate von Franz Liszt.

Die Tauberphilharmonie Weikersheim: eine moderne Konzerthalle am Rande eines idyllischen historischen Städtchens.
Foto: HG Esch | Die Tauberphilharmonie Weikersheim: eine moderne Konzerthalle am Rande eines idyllischen historischen Städtchens.

Igot Levit gestaltet sie nicht so sehr als epische Lebensreise, sondern als höchst persönlichen, ganz im Augenblick fußenden Ausbruch. Mal ist er ganz nah an der Tastatur, mal dreht er sich weg vom Flügel, als nehme er Anlauf für die krachenden Schläge im Fortississimo. Dann wieder Inseln der Hoffnung und des Friedens, so überirdisch schön, dass man versucht ist, vor Erleichterung aufzuschluchzen.

Und man versteht: Musik, so gespielt, kann gar nicht unpolitisch sein. Sie ist ein Plädoyer für Sensibilität, Offenheit, Miteinander, für Ehrlichkeit und für Liebe. Igor Levit mischt sich ein. Auch und gerade als Musiker.

 
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