Tatort: die Würzburger Residenz. Tatzeit: Sommer 1753. Zahl der Opfer: zwei, und dazu fünf Todgeweihte. Knapp 20 Jahre nach „Tiepolos Fehler“ und acht Jahre nach seinem letzten Kommissar-Kilian-Krimi hat Roman Rausch wieder einen Kriminalroman geschrieben. Beziehungsweise „schreiben lassen“: Denn Rauschs neues Buch „Tiepolos Geheimnis“ ist unter dem Pseudonym Jo Kilian erschienen. Wieso das andere Ich? Ein Gespräch über Zwänge des Buchmarkts, englischsprachige Leser und die noch ungelösten Rätsel im berühmten Fresko von Giovanni Battista Tiepolo.
Herr Rausch, oder Herr Kilian? Wie ist's, unter Pseudonym zu schreiben? Setzt sich der Autor da in anderer Haltung an den Schreibtisch?
Roman Rausch: Ja, ich kann mir schon vorstellen, dass das so ist. In meinem Fall war es nicht so, weil ich auf einen Protagonisten aus meinen ersten Krimis zurückgegriffen habe, den Kommissar Jo Kilian. Da ist mir diese Figur doch sehr vertraut. Und auch der Charakter des Jo Kilian passt doch gut zur Stimme dessen, der hier als Erzähler auftritt.
Wollten Sie als Roman Rausch nicht mehr erzählen?
Rausch: Ich hatte einfach Lust, mal wieder einen Krimi zu schreiben. Aber ich bin in das Fahrwasser des historischen Romans hineingekommen, und es ist verdammt schwer, da wieder raus zu kommen. Die Skepsis ist groß: Sie sollen Krimis schreiben können? Aha. Ein Krimischreiber kann doch keine historischen Romane schreiben. Dann noch Theaterstücke? Erzählungen? Ja, was denn jetzt? Entscheide dich mal. Letzten Endes habe ich die ganze „Industrie“, die hinter dem Schreiben steht – vom Hersteller über Buchhandel bis zum Leser – völlig verwirrt. Keiner wusste mehr, mit dem Roman Rausch etwas anzufangen. Das war der Grund, warum ich Jo Kilian erzählen lasse.
Der Buchmarkt und der Leser brauchen Schubladen?
Rausch: Jo Kilian schreibt zukünftig Krimis und Thriller, Roman Rausch bleibt bei historischen Romanen, Erzählungen und Theaterstücken. Schubladen machen die Sache einfacher. Es gibt auf dem Markt bestimmte Erwartungen und auch Nöte, die mögen banal sein: Der Buchhändler weiß nicht, wo er mich im Regal einzuordnen hat. Ein Buch muss schnell gefunden werden.
Und traut man dem Krimi-Autor keine „ernsthaften“, schweren historischen Stoffe zu?
Rausch: Das trifft sicherlich zu. Was mittlerweile aber noch schwerer ins Gewicht fällt, ist, dass es innerhalb der Genres gewisse Gesetze gibt. Im Genre historischer Roman muss ein Held vorkommen, diese Figur, jene. Im Krimi hat man das auch: Da muss eine Rechtsmedizinerin dabei sein, da muss ein verschrobener Ermittler dabei sein. Man muss diese Erwartungshaltung erfüllen. Es ist schwer, sich aus den Genre-Zwangsjacken zu befreien.
Aber wenn Sie unter Pseudonym schreiben, begeben Sie sich doch gerade in die Zwangsjacke.
Rausch: Ich gebe einen Ärmel von der Zwangsjacke ab – und habe einen freien Arm. Und der Kopf bleibt sowieso frei. Von allem etwas in wechselnder Abfolge – ich brauche das, um kreativ zu bleiben.
Apropos nötige Zutaten: Eine Rechtsmedizin gibt?s in „Tiepolos Geheimnis“ nicht, eigentlich auch keinen Ermittler, nicht mal einen richtigen Fall ….
Rausch: Stimmt schon, wer das erwartet, wird enttäuscht. Es ist eine Erzählung, die auf manch kriminelles Handwerkszeug verzichtet und sich sprachlich vom Genre entfernt. Es geht um die Geschehnisse am Würzburger Hof von Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau 1751 bis 1753. Jene Jahre, die von den überlieferten Aufzeichnungen des Hoffouriers Spielberger ausgespart bleiben.
. . . und damit der Fantasie freien Lauf lassen. Erstaunlich, dass es noch Geheimnisse gibt im weltberühmten Tiepolo-Fresko. Und dass Sie sich nach 20 Jahren, nach „Tiepolos Fehler“ noch mal damit beschäftigen.
Rausch: Was hat es mit den mysteriösen altarmenischen Schriftzeichen auf dem Steinblock in der Asia-Allegorie auf sich? Das beschäftigt die Wissenschaft bis heute. Haben sie tatsächlich keine Bedeutung? Ist das nur ein wirres, verunglücktes ABC einer alten, fast vergessenen Schrift aus urchristlichen Zeiten? Bei der Detailtreue und Detailversessenheit Tiepolos ist das kaum vorstellbar. Und dann der Mann ohne Gesicht, noch so ein seltsames, rätselhaftes Detail im 600 Quadratmeter großen Meisterwerk. Eine namen- und gesichtslose Figur in unmittelbarer Nähe zu den wichtigsten Männern des Residenzbaus in der Europa-Allegorie, in der der Fürstbischof über allen thront? Was hat Tiepolo dazu veranlasst und warum haben Baumeister Neumann, Stuckateur Bossi und vor allem der Hausherr Greiffenclau keine Einwände erhoben?
Jo Kilian versucht in Ihrem Auftrag eine Erklärung. War das Ihr Ziel? Die Wahrheit zu finden?
Rausch: Die Idee war: Da stimmt etwas nicht, dem muss man nachgehen. Tiepolo scheint ein sehr ironischer Mann gewesen zu sein, eigentlich völlig unverständlich. Im Fresko widerspricht vieles dem Götterhimmel. Manche Dinge weisen darauf hin, dass dieser Götterhimmel stürzen wird. Es ist letztlich eine Götterdämmerung.
Stichwort Genres, der Boom der Regionalkrimis scheint ja immer und immer weiterzugehen, oder? Geradezu inflationär.
Rausch: Richtige Frage an den falschen Mann. Obwohl ich vor 20 Jahren einer der ersten war, der „Regiokrimis“ geschrieben hat. Ich wusste damals gar nicht, dass es das gibt. Aber mit „Regio“ wurde eben ein halbwegs unbekannter Ort bezeichnet, an dem schrullige Leute herumlaufen. Wie groß ist Ystad? Zehntausend Einwohner an der Südküste Schwedens, ein Kaff . . . Ist das dann ein Regiokrimi? Da wird die Frage nicht gestellt.
Sie spielen auf die Wallander-Krimis von Henning Mankell an.
Rausch: Ich habe seit zehn Jahren keinen Krimi mehr geschrieben. Wenn ich jetzt wieder damit anfange und man sie dann „Regio“ nennt, nur weil sie in Würzburg spielen? Dankeschön.
Immerhin ist das Buch gleich auch auf Englisch erschienen. Wieso das? Weil „Tiepolos Fehler“ auch und immer noch im Ausland erfolgreich ist?
Rausch: In den Fremdsprachenabteilungen, ja. Der Roman wird in Australien, in Südafrika, in Japan, in den USA gelesen, natürlich von deutschsprachigen Lesern. „Tiepolos Geheimnis“ habe ich ganz bewusst auch für die Übersetzung geschrieben. Die deutsche Fassung ist eigentlich das „Nebenprodukt“. Ich wollte „The Tiepolo Mystery“ schreiben, speziell für die Touristen im Residenz-Shop. Ein kleines Büchlein für die Tasche, in dem etwas drin steht, das man nicht in Reiseführern findet.
Der Autor als Erfüller von Bedürfnissen des Marktes?
Rausch: So sehr ich es hasse: Der Autor muss schauen, wer seine Bücher liest. Und wie. Nehmen Sie das E-Book, das kleine Display. Da kann ich einen Satz über vier Zeilen vergessen. Ich muss kurze Sätze bringen, die eindrücklich sind, die man in der U-Bahn, in der Badewanne schnell lesen kann. Das Digitale verändert das Schreiben. Man schreibt auf ein Gerät hin.
Roman Rausch
Der Schriftsteller, 1961 in Gerolzhofen geboren, ist bekannt durch Kriminalromane, Thriller, historische Romane und Theaterstücke. Rausch hat Betriebswirtschaft mit den Schwerpunkten Marketing und Medienwirtschaft studiert und einige Jahre im Medienbereich gearbeitet. 1999 erschien der erste Band seiner Kommissar-Kilian-Reihe „Tiepolos Fehler“. Seit 2003 erscheinen seine Bücher u. a. im Rowohlt Verlag. Nach vielen Jahren in Würzburg, der Heimat seiner Krimi-Figuren Kilian und Heinlein, lebt Rausch heute in Berlin.
Buchtipp: „Tiepolos Geheimnis“, Echter Verlag 2018, 128 Seiten, 9,90 €