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Bad Kissingen
Das Orchester, das sein eigener Intendant ist
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist seit 2017 Festival-Orchester des Kissinger Sommers. Die Besonderheit: Es ist eine GmbH, Gesellschafter sind die Musiker selbst.
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Paavo Järvi im Max-Littmann-Saal beim Kissinger Sommer
Foto: Julia Baier | Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit Paavo Järvi im Max-Littmann-Saal beim Kissinger Sommer
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:50 Uhr

Klavierlegende Radu Lupu hat sich krank gemeldet, es springt Richard Goode ein, allerdings eben mit anderem Programm. Anderes Klavierkonzert als geplant, andere Sinfonie. Also spielt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen  beim Eröffnungskonzert des Kissinger Sommers mal eben Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 503 und Beethovens siebte Sinfonie. Offenbar kein Problem. Ungeprobt klingt das nicht, im Gegenteil. Vor allem die Sinfonie, in der Dirigent Omer Meir Wellber gelegentlich extrem schnelle Tempi fordert, kommt mit Eleganz, Präzision und vor allem: spürbarem Spaß.

Nach dem Konzert, während beim Empfang im Weißen Saal noch Reden gehalten werden, kommen Beate Weis, Geigerin, Jürgen Winkler, Bratscher, und Matthias Beltinger, Bassist, zum Gespräch ins Foyer des Regentenbaus. Weis und Beltinger sind schon in zivil, Winkler trägt noch Frack. Es ist warm, das Konzert war anstrengend. "Die Konzerthemden sind nassgeschwitzt", sagt Beltinger. Erschöpft wirken die drei dennoch nicht. Eher beschwingt.

"Man muss sich frühzeitig viele Gedanken machen, wie man mehr Geld akquirieren kann."
Matthias Beltinger, Kontrabass

Nach der Beethoven-Sinfonie hatte das Publikum stehend applaudiert und gejubelt. Daheim, in Bremen, im kühlen Norden, haben sie zwar auch ein sehr treues und begeisterungsfähiges Publikum, aber das Temperament der Franken beeindruckt sie an diesem Abend einmal mehr. Die Kammerphilharmonie ist jetzt im dritten Jahr Festival-Orchester des Kissinger Sommers. "Wir fühlen uns hier schon richtig zu Hause", sagt Beate Weis. Den Hinweis, dass der Franke sonst eher nicht als besonders extrovertiert gilt, nehmen die Musiker mit mildem Erstaunen zur Kenntnis.

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Die Geigerin, der Bratscher und der Kontrabassist bilden den vom Plenum gewählten Orchestervorstand der Kammerphilharmonie. Ein Gremium, das in allen Orchestern wichtig ist, hier aber noch um einiges mehr, denn das Ensemble ist ein selbstverwaltetes Profi-Orchester, inzwischen international renommiert und vielfach ausgezeichnet. Hervorgegangen ist es 1987 aus einer Vereinigung von Musikstudenten. Da sich nicht immer alle mit allem beschäftigen können, ist der Vorstand eine Art Bindeglied zwischen künstlerischer und geschäftlicher Abteilung.

Vier Mitglieder sind noch aus der allerersten Gründungszeit dabei, viele weitere aus der Zeit, als sich das Orchester 1987 professionalisierte. Zwischenrein gab es harte Phasen, der Wikipedia-Eintrag über die Kammerphilharmonie spricht von "Jahren der Überschuldung und drohender Pleite". "Inzwischen sind wir ganz gut aufgestellt", sagt Beltinger, "weil wir von Anfang an nicht von städtischen Subventionen abhängig waren. Aber man muss sich frühzeitig viele Gedanken machen, wie man mehr Geld akquirieren kann, um mehrere Standbeine zu haben. Das zahlt sich jetzt aus." Dennoch sei es eine ständige Herausforderung, gleichzeitig unternehmerisch und künstlerisch zu arbeiten, sagt Beate Weis. Und für alles mitverantwortlich zu sein: "Das muss man schon auch wollen."  

"Anfangs haben wir basisdemokratisch über alles diskutiert, sogar wann der Bus fährt."
Matthias Beltinger, Kontrabass

Zwar tragen die Musiker mit Veranstaltungen zu Sponsoren-Gewinnung und -Pflege bei, aber inzwischen hat das Orchester Mitarbeiter, die sich um Organisatorisches und Geschäftliches kümmern. "Die sind aber an die Beschlüsse der Vollversammlung gebunden", sagt Winkler. Das Orchester ist gewissermaßen sein eigener Intendant. "Es gibt niemand, der von oben sagt, ihr müsst jetzt das oder das machen", sagt Weis. 

Wobei die Musiker inzwischen gelernt haben zu delegieren: "Anfangs haben wir in der Vollversammlung basisdemokratisch über alles diskutiert, sogar wann der Bus fährt. Das kann man durchaus mit der Anfangszeit der Grünen vergleichen", sagt Beltinger. "Jetzt haben wir ein sehr professionelles Büro, das all diese Dinge regelt." 

Die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Bremen-Ost können jederzeit zu Proben der Bremer Kammerphilharmonie kommen. 
Foto: Gerhild Ahnert | Die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Bremen-Ost können jederzeit zu Proben der Bremer Kammerphilharmonie kommen. 

Diese Souveränität meint man im Konzert zu hören. "Wir selbst können das gar nicht vergleichen, weil wir ja nichts anderes kennen", sagt Beltinger. "Aber wir sind überzeugt, dass die Struktur eine ganz große Rolle spielt. Weil man sich eben mit der ganzen Sache identifiziert. Weil man weiß, man muss 110 Prozent bringen, um überhaupt am Markt gewollt zu sein."

"Wenn wir nicht spielen, gibt's auch kein Geld."
Beate Weis, Geige

Es gibt eine Stammbesetzung mit Streichern und Holzbläsern, zwei Trompeten und Pauke. Posaunen oder Harfe werden bei Bedarf dazu geholt. Wer wann wieviel spielt, auch das bestimmen die Musikerinnen und Musiker selbst. Jeder entscheidet, an welchen Projekten, Konzerten, Tourneen, Aufnahmen er teilnehmen will. Bezahlt werden alle pro Tag, den sie spielen. So sind flexible Lösungen möglich, etwa für Mitglieder mit Kindern. Beate Weis: "Wenn wir nicht spielen, gibt's auch kein Geld." 

Das Repertoire der Kammerphilharmonie mit den Schwerpunkten Beethoven, Schumann und Brahms ist durchaus konventionell. Das sei eine Abwägung zwischen Notwendigkeiten und Neigungen, so Beltinger: "Unser Artistic Manager ist ganz nah dran am Markt. Der weiß, was gefragt ist und was nicht. Wenn wir gerne öfter Schönberg spielen würden, dann kommt von der Seite auch die Bremse, weil das viele Veranstalter nicht hören wollen." 

Das Orchester und seine Geschichte
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist seit 2017 Festival-Orchester des Kissinger Sommers. Das Orchester mit heute 41 festen Mitgliedern und 25 Mitarbeitern im Management ging 1987 als professionelles, selbstverwaltetes Ensemble aus einem Zusammenschluss von Musikstudenten hervor, zunächst mit Sitz in Frankfurt. Seit 1992 hat die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ihren Sitz in Bremen und gestaltet jährlich vier Abonnement-Reihen, Sonderkonzerte, eine Kammermusikreihe und ein Open-Air-Festival. Das inzwischen vielfach preisgekrönte Orchester konzertiert weltweit und hat sich schwerpunktmäßig mit der Sinfonik von Beethoven, Schumann und zuletzt Brahms beschäftigt.
Der Jahresetat von rund 7 Millionen Euro besteht zu je einem Drittel aus Förderung durch den Bremer Senat, aus Einspielergebnissen von Konzerten und Aufnahmen und aus Zuwendungen von Sponsoren und Stiftungen.
Künstlerischer Leiter ist seit 2004 Paavo Järvi. Die  Kammerphilharmonie ist eine gemeinnützige GmbH, deren Geschäftsanteile wiederum die Mitglieder des Orchesters in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts halten. Seit 2007 hat die Kammerphilharmonie Probenräume in einer Gesamtschule. Dadurch entstanden Projekte und Kooperationen mit der Schule, für die Orchester und Schule mit dem Zukunftsaward 2007 als "beste soziale Innovation" ausgezeichnet wurden. Zur Förderung des professionellen Nachwuchses hat das Orchester 2015 eine Akademie für junge Musiker gegründet. 
Die weiteren Auftritte beim Kissinger Sommer:
  • "Ein Quantum Verstörung": So., 7. Juli, 19 Uhr, Max-Littmann-Saal, Leitung Paavo Järvi , Daniil Trifonov, Klavier. Werke von Robert Schumann.
  • Abschlusskonzert: So., 14. Juli, 19 Uhr, Max-Littmann-Saal, Leitung Paavo Järvi, Valentina Farcas und Julia Lezhneva, Sopran, Chor des Bayerischen Rundfunks. Werke von Mozart und Beethoven. Karten: Tel. (0931) 6001 6000.
 
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