Klavierlegende Radu Lupu hat sich krank gemeldet, es springt Richard Goode ein, allerdings eben mit anderem Programm. Anderes Klavierkonzert als geplant, andere Sinfonie. Also spielt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen beim Eröffnungskonzert des Kissinger Sommers mal eben Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 503 und Beethovens siebte Sinfonie. Offenbar kein Problem. Ungeprobt klingt das nicht, im Gegenteil. Vor allem die Sinfonie, in der Dirigent Omer Meir Wellber gelegentlich extrem schnelle Tempi fordert, kommt mit Eleganz, Präzision und vor allem: spürbarem Spaß.
Nach dem Konzert, während beim Empfang im Weißen Saal noch Reden gehalten werden, kommen Beate Weis, Geigerin, Jürgen Winkler, Bratscher, und Matthias Beltinger, Bassist, zum Gespräch ins Foyer des Regentenbaus. Weis und Beltinger sind schon in zivil, Winkler trägt noch Frack. Es ist warm, das Konzert war anstrengend. "Die Konzerthemden sind nassgeschwitzt", sagt Beltinger. Erschöpft wirken die drei dennoch nicht. Eher beschwingt.
Nach der Beethoven-Sinfonie hatte das Publikum stehend applaudiert und gejubelt. Daheim, in Bremen, im kühlen Norden, haben sie zwar auch ein sehr treues und begeisterungsfähiges Publikum, aber das Temperament der Franken beeindruckt sie an diesem Abend einmal mehr. Die Kammerphilharmonie ist jetzt im dritten Jahr Festival-Orchester des Kissinger Sommers. "Wir fühlen uns hier schon richtig zu Hause", sagt Beate Weis. Den Hinweis, dass der Franke sonst eher nicht als besonders extrovertiert gilt, nehmen die Musiker mit mildem Erstaunen zur Kenntnis.
Die Geigerin, der Bratscher und der Kontrabassist bilden den vom Plenum gewählten Orchestervorstand der Kammerphilharmonie. Ein Gremium, das in allen Orchestern wichtig ist, hier aber noch um einiges mehr, denn das Ensemble ist ein selbstverwaltetes Profi-Orchester, inzwischen international renommiert und vielfach ausgezeichnet. Hervorgegangen ist es 1987 aus einer Vereinigung von Musikstudenten. Da sich nicht immer alle mit allem beschäftigen können, ist der Vorstand eine Art Bindeglied zwischen künstlerischer und geschäftlicher Abteilung.
Vier Mitglieder sind noch aus der allerersten Gründungszeit dabei, viele weitere aus der Zeit, als sich das Orchester 1987 professionalisierte. Zwischenrein gab es harte Phasen, der Wikipedia-Eintrag über die Kammerphilharmonie spricht von "Jahren der Überschuldung und drohender Pleite". "Inzwischen sind wir ganz gut aufgestellt", sagt Beltinger, "weil wir von Anfang an nicht von städtischen Subventionen abhängig waren. Aber man muss sich frühzeitig viele Gedanken machen, wie man mehr Geld akquirieren kann, um mehrere Standbeine zu haben. Das zahlt sich jetzt aus." Dennoch sei es eine ständige Herausforderung, gleichzeitig unternehmerisch und künstlerisch zu arbeiten, sagt Beate Weis. Und für alles mitverantwortlich zu sein: "Das muss man schon auch wollen."
Zwar tragen die Musiker mit Veranstaltungen zu Sponsoren-Gewinnung und -Pflege bei, aber inzwischen hat das Orchester Mitarbeiter, die sich um Organisatorisches und Geschäftliches kümmern. "Die sind aber an die Beschlüsse der Vollversammlung gebunden", sagt Winkler. Das Orchester ist gewissermaßen sein eigener Intendant. "Es gibt niemand, der von oben sagt, ihr müsst jetzt das oder das machen", sagt Weis.
Wobei die Musiker inzwischen gelernt haben zu delegieren: "Anfangs haben wir in der Vollversammlung basisdemokratisch über alles diskutiert, sogar wann der Bus fährt. Das kann man durchaus mit der Anfangszeit der Grünen vergleichen", sagt Beltinger. "Jetzt haben wir ein sehr professionelles Büro, das all diese Dinge regelt."
Diese Souveränität meint man im Konzert zu hören. "Wir selbst können das gar nicht vergleichen, weil wir ja nichts anderes kennen", sagt Beltinger. "Aber wir sind überzeugt, dass die Struktur eine ganz große Rolle spielt. Weil man sich eben mit der ganzen Sache identifiziert. Weil man weiß, man muss 110 Prozent bringen, um überhaupt am Markt gewollt zu sein."
Es gibt eine Stammbesetzung mit Streichern und Holzbläsern, zwei Trompeten und Pauke. Posaunen oder Harfe werden bei Bedarf dazu geholt. Wer wann wieviel spielt, auch das bestimmen die Musikerinnen und Musiker selbst. Jeder entscheidet, an welchen Projekten, Konzerten, Tourneen, Aufnahmen er teilnehmen will. Bezahlt werden alle pro Tag, den sie spielen. So sind flexible Lösungen möglich, etwa für Mitglieder mit Kindern. Beate Weis: "Wenn wir nicht spielen, gibt's auch kein Geld."
Das Repertoire der Kammerphilharmonie mit den Schwerpunkten Beethoven, Schumann und Brahms ist durchaus konventionell. Das sei eine Abwägung zwischen Notwendigkeiten und Neigungen, so Beltinger: "Unser Artistic Manager ist ganz nah dran am Markt. Der weiß, was gefragt ist und was nicht. Wenn wir gerne öfter Schönberg spielen würden, dann kommt von der Seite auch die Bremse, weil das viele Veranstalter nicht hören wollen."
- "Ein Quantum Verstörung": So., 7. Juli, 19 Uhr, Max-Littmann-Saal, Leitung Paavo Järvi , Daniil Trifonov, Klavier. Werke von Robert Schumann.
- Abschlusskonzert: So., 14. Juli, 19 Uhr, Max-Littmann-Saal, Leitung Paavo Järvi, Valentina Farcas und Julia Lezhneva, Sopran, Chor des Bayerischen Rundfunks. Werke von Mozart und Beethoven. Karten: Tel. (0931) 6001 6000.