Der rote Teppich führt durch eine leere erste Halle in eine zweite. Hier wie dort stimmungsvolles rotes Licht und vornehme Weite. Auf der Bühne hätte mühelos ein ausgewachsenes Wagner-Orchester Platz, der Publikumsbereich ist so locker bestuhlt, dass Beinfreiheit an diesem Abend sicher kein Thema werden wird.
Das erste Innenraum-Live-Konzert des Mozartfests 2020 im Würzburger Vogel Convention Center (VCC) ist für alle ein Experiment. Bis vor wenigen Tagen galt noch die 50-Personen-Regel, seit Montag dürfen sogar 100 in den Saal. Entsprechend schüchtern tastet sich die gezwungenermaßen überschaubare Besucherschar an diesem Mittwochabend voran. Am Eingang bietet das Team ein Glas Sekt oder Wasser an und folgenden Ratschlag: "Nehmen Sie eins mit, dann dürfen Sie während des Konzerts die Maske abnehmen."
Es hat geklappt, das Orchester ist da, das Publikum auch
Zu Gast für drei Konzerte ist die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Hartmut Haenchen. Eine Wunschkombination von Intendantin Evelyn Meining. Das Orchester hatte noch nie mit dem bekanntermaßen anspruchsvollen Dirigenten gearbeitet – die Organisation der Proben unter brandenburgischen Corona-Bedingungen, die ständig neuen behördlichen Vorgaben in Bayern, etwa die Abstandsregel auf der Bühne, der Saal mit seiner wenig hilfreichen Akustik, die Auswahl des Programms, das alles hat eine Menge Kommunikation und ständige Nachjustierungen erfordert. Es hat geklappt, das Orchester ist da, das Publikum auch, und Intendantin Meining ist erleichtert: "Es ist ein Fest, hier zu stehen", sagt sie in ihrer kurzen Begrüßung.
Nun also spielen gut 20 Musikerinnen und Musiker für etwa viermal so viele Zuhörer. Der Jubilar und Motto-Geber des Jahres ("Widerstand, Wachsen, Weitergehen"), Ludwig van Beethoven, ist mit Gustav Mahlers Bearbeitung seines f-Moll-Streichquartett op. 95 für Streichorchester vertreten. Nicht ganz so spröde wie Mozarts eingangs gespieltes Adagio und Fuge in c-Moll, aber so ernst und zerklüftet, dass der Beiname "Quartetto serioso" schon seine Berechtigung hat.
Wie Mozarts Stück, das als Auseinandersetzung mit dem Werk von Johann Sebastian Bach entstand, ist auch Beethovens Quartett op. 95 nicht fürs große Publikum gedacht, sondern für kundige Liebhaber. Dass ein Virus gut 200 Jahre später dafür sorgt, dass dieses Werk vor sozusagen handverlesener Hörerschaft erklingt, ist eine der Ironien dieser sonderbaren Zeiten.
Es ist das erste Konzert seit drei Monaten und das erste unter Corona-Bedingungen
Für Dirigent und Orchester ist es das erste Konzert seit drei Monaten. Und das erste unter diesen Bedingungen. Jede Musikerin, jeder Musiker hat ein eigenes Pult, was auf der praktischen Seite bedeutet, dass jeder selbst umblättern muss. Für die Hälfte der Besetzung also eine ungewohnte Zusatzaufgabe. Vor allem aber bedeutet es, dass es so weit auf der Bühne verstreut in der kleinen Besetzung (fünf erste und vier zweite Geigen, drei Bratschen, zwei Celli und ein Kontrabass) deutlich schwieriger ist, einen geschlossenen Gruppenklang hinzubekommen.
Tatsächlich sind in Mozarts Adagio und Fuge – schon unter normalen Umständen kein sehr dankbares Werk – noch einige Unebenheiten zu hören. Hin und wieder zerfällt der Geigenklang, dann wieder überdecken die tiefen Streicher mit zu wuchtigem Einsatz den Rest. Im Beethoven aber geschieht das, weswegen Live-Konzerte so unersetzbar sind: Wie sich der Blick durch ein Fernglas schärft, wenn man richtig herum am Rädchen dreht, schärft sich der Klang des Orchesters.
Musik kann man nicht wie andere Kunstwerke an die Wand hängen
Es ist wie ein Zusammenfinden, ein Wachsen, ein Lernen, ein Vorwärtskommen, eine Befreiung, eine Erfüllung. Pathetisch ausgedrückt: Es ist etwas Gutes in die Welt gekommen, das vorher nicht darin war. Womit der Kern der Kunstform Musik umrissen wäre: Musik kann man nicht wie andere Kunstwerke an die Wand hängen oder auf den Sockel stellen, sie existiert nur, wenn sie erklingt. Am besten eben vor echtem, anwesendem Publikum – im Moment, unwiederbringlich und doch wiederholbar.
Da die Regeln eine Pause eher erschweren, folgt gleich darauf Mozarts abschließende große g-Moll-Sinfonie KV 550. Dass hier nun sogar Bläser mitspielen, ist ein weiterer wohltuender Schritt in Richtung Normalität. Die Erleichterung darüber ist auf der Bühne wie im Publikum zu spüren. Dies ist kein Behelfskonzert, kein Kompromisskonzert. Hier findet jetzt echte Sinfonik statt.
Das Orchester hat sein Rezept für den Saal gefunden
Hartmut Haenchen, der manchen Orchestern zu anstrengend ist, weil er immer eigenes, von ihm selbst eingerichtetes Notenmaterial mitbringt, hat mit den Potsdamern offensichtlich eine gemeinsame Ebene gefunden. Am Pult muss er gar nicht mehr viel machen, damit das Werk in all seinem Farbenreichtum, seiner Vitalität und seinem letzlich optimistischen Tonfall erklingt. Nicht so elegant oder gar rasant, wie es oft zu hören ist, dafür sachlicher, konkreter, verbindlicher, vielleicht auch nachdenklicher.
Das Orchester hat sein Rezept für den Saal gefunden – die Streicher versuchen nicht, etwa mit besonders viel Wärme im Ton gegen die Unwirtlichkeit des Zweckbaus anzuspielen, sondern klingen direkt, hell und homogen, die Bläser fügen sich makellos ein.
Weitere Karten: Dank der Lockerungen sind nunmehr 100 Personen bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen erlaubt. Für die Live-Konzerte des Mozartfests sind deshalb weitere Karten erhältlich: Tel (0931) 37 23 36.