Angst vor Crossover hat der Berliner Opernregisseur und Dirigent Christoph Hagel sicher nicht. Für seine mutigen Produktionen ist er bekannt. Nach dem Erfolg von „Breakin' Mozart“ zeigt Hagel nun ein neues Projekt gemeinsam mit der Schweinfurter Breakdance-Gruppe „Dancefloor Destruction Crew“. Beim Schweinfurter Nachsommer feiert das von der Stadt Schweinfurt in Auftrag gegebene Stück „Fuck You Wagner“ Premiere, mit dem die DDC und Hagel dem Breakdance neue musikalische Welten erschließen wollen. Im Interview spricht Hagel darüber, warum es so spannend ist, Wagners Musik mit modernem Breakdance zu konfrontieren, und wie er und die DDC gemeinsam Stücke entwickeln.
Christoph Hagel: Der Titel ist natürlich eine kleine Provokation.
Im Grunde versuchen wir in dieser Produktion, uns Wagner von zwei Seiten zu nähern: von der ernsthaften, zum Beispiel in Isoldes Liebestod, im Karfreitagszauber und im Siegfried-Idyll, zum andern natürlich von der humoristischen Seite, so in einigen Stücken aus der Walküre und natürlich in der Prügelszene aus den Meistersingern. Das ist dann der Fun-Aspekt. Die Figuren unseres Stücks – Siegfried, Tristan und Isolde, Lohengrin oder Beckmesser – sind Schüler einer Schulklasse, deshalb der Titel in Anlehnung an einen berühmten Schulfilm.
Hagel: Jedenfalls ist der Abstand der beiden Welten, die sich hier finden sollen, besonders groß: auf der einen Seite Wagner mit seinen metaphysischen Räumen – in der Psychologie nennt man das Metaebenen –, auf der anderen Seite der diesseitige, unmittelbar und heftig wirkende Breakdance der DDC. Das macht die Produktion so spannend.
Hagel: Nein, überhaupt nicht. Natürlich geht es hier nicht nur um den Heiligen Wagner. Aber auch in Bayreuth ist er das schon lange nicht mehr. Für mich persönlich kann ich sagen: „Love You Wagner!“
Hagel: Lebensthema ist vielleicht ein zu großes Wort. Aber tatsächlich arbeite ich an diesem Thema nun schon fast zehn Jahre. Wie alle Klassik-Künstler bemühe ich mich um einen Platz der klassischen Musik in diesen modernen, verrückten und auch bedrückenden Zeiten. Für mich gab es nie die Unterscheidung zwischen U und E, alt und neu. Und Breakdance ist in seinen fast unbegrenzten kreativen Möglichkeiten ein idealer Partner für die Klassik.
Hagel: Ja, Breakdance ist ein eigenes, komplettes Genre. Es gibt eine eigene Fachsprache, wie in der klassischen Musik. Bei uns ist es Allegro, Vivace, Rondo, im Breakdance Dubstep, Breakbeat, Windmill. Und ständig entsteht Neues. Breakdance ist ein Teil von Hip-Hop, und Hip-Hop ist heute die weltweit führende Jugendkultur.
Hagel: Auf jeden Fall. Die DDC und ich touren seit drei Jahren mit „Breakin' Mozart“, wir sehen überall viele Kinder und Jugendliche, aber auch Großeltern mit ihren Enkeln und Party People.
Hagel: Die DDC hat einen eigenen Stil entwickelt, der sehr erfolgreich ist. Sie kombiniert Breakdance-Battles mit Showbiz. Es ist interessant zu sehen, wie man damit Klassik erzählen kann. Darüber hinaus ist gerade bei der DDC das Gesamtkonzept der Aufführung wichtig, der rote Faden, die inhaltlichen Schwerpunkte. Dieser Showinhalt entsteht in einem langen Entwicklungsprozess zwischen der DDC und mir – ein sehr wichtiger Vorgang.
Hagel: Das ist immer ein bisschen anders. Für mich stehen natürlich die Musikstücke im Mittelpunkt. Ich versuche, den Tänzern die Besonderheit, die Emotion, die Konstruktion der Musik zu vermitteln, und bin gleichzeitig gespannt, wie sie reagieren und was ihnen dazu einfällt. Und dann geht es in den Proben tatsächlich um viele einzelne Takte und dazu passende Bewegungen. Manchmal geht es ganz schnell, manchmal ist es ein langer Prozess. Und Konflikte gehören nun mal dazu.
Hagel: Vielleicht in einem sehr übertragenen Sinn. Es geht tiefer, es ist eine anthropologische Fremdheit. Der Fremde kommt in die Stadt, in diesem Fall Schweinfurt, integriert sich, integriert sich nicht, wird verstanden, wird nicht verstanden. Und geht wieder. Und das ist Lohengrin. Hier ist es ein Schüler, der mit Namen Wagner heißt. Der Titel heißt auch „Fuck You Wagner“, weil die anderen ihn ablehnen.
Hagel: Oh, das Sportprojekt dauert noch sehr lange. Zunächst einmal liegt der Fokus ganz auf der Uraufführung von „Fuck You Wagner!“ Und dann wollen wir unsere Stücke ja auch spielen! „Fuck You Wagner“ spielen wir nächstes Jahr in Bayreuth, das prickelt natürlich, und „Breakin' Mozart“ kommt in München, Stuttgart, Wien und vielleicht bald in China. Das wollen wir jetzt erstmal genießen.
Nachsommer Schweinfurt
Das Festival findet dieses Jahr vom 9. September bis 1. Oktober statt. Gespielt wird hauptsächlich in der SKF-Halle 411 sowie in der Kunsthalle. Die Termine: 9., 10., 11. und 21. September (jeweils 19.30 Uhr, SKF-Halle 411): „Fuck you Wagner“ – Richard Wagner meets Breakdance mit der Schweinfurter Dancefloor Destruction Crew und dem Berliner Regisseur und Dirigenten Christoph Hagel (alle Vorstellungen ausverkauft).
16. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): „Power! Percussion“
17. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): Jasmin Tabatabai & David Klein Quartett
22. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): Malia & Trio
23. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): Sjaella a cappella – Junge Bühne
24. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): Johanna Juhola Reaktori – Tango
25. September (11 Uhr Kunstmatinee in der Kunsthalle): Trio NeuKlang
30. September (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): tenThing – Brass (auch 11 Uhr als Schülerkonzert)
1. Oktober (19.30 Uhr, SKF-Halle 411): The Puppini Sisters.
Tickets gibt es unter www.nachsommer.de sowie in der Main-Post-Geschäftsstelle Würzburg, Plattnerstraße 14, Würzburg, sowie beim Schweinfurter Tagblatt, Schultesstraße 19a, Schweinfurt, und unter Tel. (09 31) 60 01 60 00. Alle Vorstellungen „Fuck you Wagner“ sind ausverkauft, für die anderen gibt es noch Resttickets.