Immer gegen Ende eines Jahres befällt Orchester landauf, landab die Wien-Ekstase. Eine von vielen treffenden Beobachtungen, die Beate Kröhnert beim – dreimal gespielten – Konzert zum Jahreswechsel des Philharmonischen Orchesters Würzburg in der Blauen Halle mit dem Publikum teilte. Kröhnert moderierte ihr letztes Programm als Konzertdramaturgin des Mainfranken Theaters, im neuen Jahr wird sie Pressesprecherin des Mozartfests. Ganz dem festlichen Anlass entsprechend im Glitzerfrack, umwehte sie mehr als nur ein Hauch Marlene Dietrich.
Ein kleiner Berliner Exkurs, wenn man so will, der den Eindruck eines etwas anderen Wiener Abends nur verstärkte. Denn Würzburgs Philharmoniker spielten unter der Leitung von Gábor Hontvári zupackend und schwungvoll zwar Werke von Wienern wie Joseph Haydn, Johann Strauss, Franz Lehár und Robert Stolz. Aber auch von weniger naheliegenden Kandidaten wie Karl Amadeus Hartmann, der neben riesigen, düsteren Sinfonien auch burleske Musiken wie den "Kleinen Walzer" geschaffen hat, der seinen Namen sehr zu Recht trägt. Oder von Johannes Brahms, dem zugezogenen Hanseaten. Oder von Georg Kreisler, dem gallig-geistreichen Spötter, der zeitlebens leugnete, überhaupt Österreicher zu sein.
Kleiner Wiener Benimmkurs mit "Baba" und "Küss die Hand"
Während etwa das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit lupenreiner Perfektion das romantische, beschwingte, herausgeputzte Wien feiert, hatte hier auch das morbide Wien mit Schmäh und Todessehnsucht seinen Platz. Und es gab sogar einen kleinen Wiener Benimmkurs. Das Publikum solle sich später stilecht verabschieden, bat Kröhnert – die Damen mit "Baba", die Herren mit "Küss die Hand". "Aber sagen Sie es mit wenig Emotion. Als würden Sie den Müll runterbringen."
Die 2G-Plus-Regel mit den Impfpass- und Test-Kontrollen, die Abstände, die Masken (getragen auch von allen Musikerinnen und Musikern, die kein Blasinstrument zu bedienen haben) sind inzwischen Gewohnheit, auch wenn es gelegentlich noch kleine Unebenheiten gibt, etwa wenn eine Booster-Impfung weniger als zwei Wochen zurückliegt und somit schnell noch ein Test zu absolvieren ist.
Das alles ist nicht wirklich geeignet, die Stimmung einer rauschenden Ballnacht aufkommen zu lassen. Doch wie so oft in dieser Pandemie überwand auch hier die Musik die Beschränkungen, auch wenn es sich angesichts der klaffenden Lücken im Saal in den ersten Momenten ein wenig sonderbar anfühlte, quasi allein auf weiter Flur beim Radetzky-Marsch mitzuklatschen.
Dass der Abend dennoch eine ganz spezielle Festlichkeit bekam, lag nicht zuletzt an der Solistin: Die vielseitige Mezzosopranistin Barbara Schöller begeisterte einmal mehr mit ihrem Sinn für Timing und Emotion. Mit einer turbulenten Arie aus Haydns Oper "Die unbewohnte Insel", deren Handlung Beate Kröhnert mit "Robinson Crusoe meets Desperate Housewifes" auf den Punkt brachte. Mit einem herrlich sentimentalen "Im Prater blüh'n wieder die Bäume". Und mit einem hinterlistig optimistischen "Tauben vergiften im Park". Ein vielschichtiger, wahrhaft angemessener Abschluss eines durchwachsenen zweiten Corona-Jahrs.