Klischees machen das Leben leicht. Sie ersparen es, selbst zu denken, weil man Schablonen nutzen kann, die – meist seit Gererationen – in den Köpfen drin sind. Klischees sind aber auch gefährlich, weil sie alles über einen Kamm scheren. Die Wirklichkeit dagegen ist differenziert und komplex.
Beispiele gefällig? Italiener sind, weil Südländer, locker und nehmen das Leben leicht. Deutsche sind verkrampft, nehmen alles zu ernst und vergessen darüber oft die Lebenslust. Beides Klischees. Was passiert, wenn man sie auf die Musik anwendet, auf Alte Musik? Die Würzburger Bachtage stellen italienische Komponisten dem Deutschen Johann Sebastian Bach gegenüber. Lassen sich da Klischees finden?
Matthias Querbach ist Leiter der Würzburger Bachtage. Sie finden zum 50. Mal statt und bieten zwischen 22. November und 2. Dezember zwölf Veranstaltungen an (einschließlich zweier Gottesdienste mit Bachkantaten). Querbach, Kantor der Würzburger Johanniskirche leitet Monteverdis „Marienvesper“ sowie Bachs h-Moll-Messe und „Weihnachtsoratorium“.
Eine Art Globalisierung
Er sagt, dass man durchaus Unterschiede in der Art zu komponieren zwischen Italienern und Deutschen fände. Also doch Klischee.
Mag es in beiden Ländern auch unterschiedliche Traditionen geben: So einfach ist es nicht. Schon deswegen, weil, so Querbach, sich italienische und deutsche Komponisten gegenseitig beeinflusst hätten. „Bach hat zum Beispiel ein ,Italienisches Konzert‘ geschrieben.“ Er hatte wohl sogar Noten von Antonio Vivaldis einflussreichem Konzertzyklus „L'Estro armonico“ in Händen. Er hat auch Vivaldi-Konzerte bearbeitet, nutzte Themen des Venezianers.
Das zeigt, dass der Musiker aus Eisenach sich sehr für das interessierte, was südlich der Alpen vor sich ging; dass Musik Ländergrenzen und unterschiedliche Mentalitäten überwindet; dass es in puncto Kunst schon damals eine Art Globalisierung gab, von der alle Seiten profitierten, weil sie sich vom jeweils anderen inspirieren ließen.
Monteverdi und die Stimmung
Dass Monteverdi (1567 bis 1643) anders klingt als Bach, hat wohl weniger mit dem klischeehaften Mentalitätsunterschied zu tun. Sondern damit, dass der Italiener eine Generation vor Johann Sebastian Bach (1685 bis 1750) lebte. Die Hörgewohnheiten zu Monteverdis Zeiten waren andere; zu Bachs Zeiten hatten Komponisten und Musiker andere Möglichkeiten und auch andere Instrumente zur Verfügung.
Ein Dirigent muss dementsprechend Monteverdi anders angehen als Bach. Querbach leitet für die „Marienvesper“ das Ensemble La Strada armónica, das auf historischen Instrumenten spielt. Wer dem Originalklang jener Zeit nahe kommen will, muss sich auch Gedanken über die Stimmung der Instrumente machen. Das eingestrichene „a“ wird heute allgemein auf 440 Hertz gestimmt. Anfang des 17. Jahrhunderts seien 415 Hertz üblich gewesen, so Querbach. Das „a“ (und natürlich auch alle anderen Töne) klang also fast einen halben Ton tiefer. Aber: Seinerzeit gab es keine Norm. In Italien wurde auch auf 465 Hertz gestimmt – deutlich höher als heute. Was manchen historischen Instrumenten an manchen Stellen der „Marienvesper“ Probleme bereitet. Da war für Dirigent Querbach Forschungsarbeit angesagt.
Für Bachs „Hohe Messe h-Moll“ nehmen die Münchner Bachsolisten modernes Instrumentarium her. Schon von daher werden bei den Bachtagen der Italiener und der Deutsche unterschiedlich klingen. Mit Klischees über das jeweilige Land hat das nichts zu tun.
Die Sache mit der Oper
Monteverdi hat Opern geschrieben. Seine bekannteste ist „L'Orfeo“. Im Bach-Werke-Verzeichnis findet sich keine Oper. Bach gilt als großer Meister der Geistlichen Musik. Also (obacht Klischee!): Der Italiener schreibt zur Unterhaltung, der Deutsche zur spirituellen Erbauung. Nur, dass Claudio Monteverdi eben mit seiner Marienvesper („Vespro della beata vergine“) eines der bedeutendsten geistlichen Werke der Musikgeschichte komponiert hat. Die Musik beinhalte auch „Schwere“, urteilt Matthias Querbach. Übrigens hat auch Bach Launiges vertont, etwa die sogenannte Kaffeekantate. Die kann man durchaus als kleine komische Oper sehen.
Ein „kühles Gemüt“?
„Auch im Barock hatten Komponisten ihre eigene Handschrift“, sagt Matthias Querbach. Bach sei herausragend wegen seiner ausgeklügelten Kontrapunktik und seiner Zahlensymbolik, urteilt der 45-jährige Kirchenmusiker. Das verleihe den Werken des profunden Bibelkenners „zusätzliche Ebenen“ und einen „theologischen Hintergrund“.
Querbach schätzt den Lutheraner Bach als „kühles Gemüt“ ein. Endlich ein Klischee? Der kühle Deutsche? Wohl eher nicht. Kühle Gemüter gibt es überall. Hitzköpfe übrigens auch.
Das Programm der 50. Würzburger Bachtage
22. November, Toscanasaal der Residenz: Festakt zur Eröffnung mit Musik von Bach und italienischen Meistern. Festvortrag von Professor Ulrich Konrad zum Thema „Allzugroße Kunst – Johann Sebastian Bach in der Kritik von Zeitgenossen und Nachgeborenen“.
24. November: Monteverdi, „Vespro della beata Vergine“. Ensemble La Strada armónica, Bachchor, Solisten; Leitung Matthias Querbach
26. November: Orgelkonzert mit Martin Sturm; Bach und Improvisationen
27. November, 19.30 Uhr, Großer Saal der Musikhochschule: Bach, Werke für Tasteninstrumente und Orchester. Christoph Bossert (Orgel), Pauline Nobes (Violine), Ensemble der Hochschule für Musik, Leitung Matthias Querbach.
28. November, Großer Saal der Musikhochschule: Konstantin Lifschitz, Klavier. Bach (u. a. Ausschnitte aus „Kunst der Fuge“), Beethoven.
29. November: Vogler-Quartett, Bach und Brahms.
30. November, 19.30 Uhr, Mehrzweckraum der Hochschule für Musik: „Die Verbindung von Wort und Ton“, Vortrag und Podiumsdiskussion.
1. Dezember, 11 Uhr, Toscanasaal der Residenz: Förderkonzert für junge Künstler mit Roberta und Richard Verna (Violine/Cello); Bach, Crumb und Ysaye.
1. Dezember: Bach, „Hohe Messe h-Moll“; Münchner Bachsolisten, Bachchor, Solisten; Leitung Matthias Querbach
2. Dezember, 17 Uhr: Bach, „Weihnachtsoratorium“ I bis III; Münchner Bachsolisten, Bachchor, Solisten, Leitung Matthias Querbach
Die Veranstaltungen beginnen, wenn nicht anders angegeben, um 20 Uhr in der Würzburger Kirche St. Johannis.