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Würzburg
Mozartfest-Intendantin: "Dieses Virus, das zaubern wir weg"
Evelyn Meining und ihr Team haben erfolgreich Corona getrotzt - und erfahren, wie gering der Stellenwert der Kultur teilweise ist. Sie sagt: Die Politik braucht Handlungshilfen.
Evelyn Meining, die Mozartfest-Intendantin. 
Foto: Silvia Gralla | Evelyn Meining, die Mozartfest-Intendantin. 
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 09.02.2024 19:43 Uhr

Möglicherweise werde diese 99. Ausgabe des Mozartfests eher in die Geschichte eingehen als die 100. im kommenden Jahr, meinte Intendantin Evelyn Meining Ende Mai. Da hatte die Stadt auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben, das Würzburger Festival werde stattfinden, trotz Corona. Es klappte: Das Team hatte gepokert und konnte sogar Live-Konzerte anbieten. Der Live-Stream auf www.br-klassik.de, der am 9. Juni das Festival eröffnete, hatte 104 000 Besucher und damit die drittgrößte Reichweite bei BR Klassik seit Corona.

Am Ende dieses Corona-Mozartfests sind doch noch einige Live-Konzerte möglich geworden. Wie sind Ihre Gefühle?

Evelyn Meining: Erstmal das Gefühl der Befreiung. Dass wieder Musik erklungen ist. Dass wir ein Stück Normalität zurückgewinnen konnten. Dass es sich gelohnt hat, diese Mühen auf sich zu nehmen, die man so einem Abend gar nicht ansieht. Dieses „Corona-Mozartfest“ hat mindestens so viel Arbeit gemacht wie eine vollständige Festivalausgabe über vier Wochen mit 75 Konzerten. Weil uns auf dem Weg dahin von allen Seiten immer neue Planungsunsicherheiten begegnet sind. Wir mussten mit unseren Partnern immer unter Voraussetzungen planen, die wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennen konnten. Dass das überhaupt möglich war, ist dem gesamten Team vom Mozartfest zu verdanken, allen voran der Geschäftsführerin Katharina Strein.

"Dieses Corona-Mozartfest hat mindestens so viel Arbeit gemacht wie eine vollständige Festivalausgabe über vier Wochen mit 75 Konzerten."
Evelyn Meining, Intendantin
Viele Festivals haben mehr oder weniger sang- und klanglos abgesagt. War es schwer, in Würzburg durchzusetzen: Wir machen auf jeden Fall etwas?

Meining: Es kam für uns nie in Frage, nichts zu machen. Bis Ende April hatten wir gehofft, dass der Spuk im Juni vorbei sein würde. Diese massiven Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens in allen Bereichen – wir haben gedacht, dazu wird es nicht kommen. Dazu darf es nicht kommen. Vielleicht war das Absurde der Situation ein Hoffnungsgeber: Wir haben gesagt, dieses Virus, das zaubern wir weg. Und dann haben wir innerhalb von fünf Wochen das auf die Beine gestellt, was jetzt geboten wurde. Ich habe immer gesagt, solange wir essen und trinken, atmen wir auch, und unsere Seelennahrung ist die Musik. Die Musik selbst kennt Krisen, sie kann ein Medium der Krise sein. Und genau deshalb kann sie Menschen in Krisen und aus Krisen heraus helfen.

Wie war die Haltung der Stadt?

Meining: Das gehört zu den schönsten Erfahrungen meiner bisherigen Jahre in Würzburg: Die Stadtspitze hat immer zu uns gehalten – von Anfang an und kontinuierlich. Samt Kämmerer, der ja weiß Gott große Löcher im Haushalt haben wird. Das Rathaus hat immer gesagt: Macht, was möglich ist! Das hat mir auch persönlich viel gegeben. Es war eine fantastische Rückendeckung.

Endlich wieder ein gemeinsames Konzerterlebnis: Evelyn Meining und die Kammerakademie Potsdam auf der Bühne des Vogel Convention Centers.
Foto: Silvia Gralla | Endlich wieder ein gemeinsames Konzerterlebnis: Evelyn Meining und die Kammerakademie Potsdam auf der Bühne des Vogel Convention Centers.
Viele Wochen lang hat die Landespolitik zur Kultur geschwiegen. Wie haben Sie das empfunden?

Meining: Wir wussten immer, dass Kultur im formalen Sinn eine „freiwillige Leistung“ ist. Dort lässt sich der Rotstift am schnellsten ansetzen. Dass in dieser Krise die Kultur allerdings wochenlang gar nicht erwähnt wurde, dass es bis vor zehn Tagen keine klaren Regelungen gab, das hat uns dann doch überrascht und auch befremdet. Wir hätten es einfach nicht für möglich gehalten. Da mussten wir uns selber helfen. Es waren die Kulturschaffenden, die sich organisiert und den Dialog mit der Politik gesucht haben. Zum Beispiel über das Forum Musik Festivals, dem das Mozartfest angehört. Wir haben gesagt, okay, die Politik braucht offensichtlich Handlungshilfen, also schlagen wir Konzepte vor. Aber ganz unabhängig von solchen Abläufen: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist mit 130 Milliarden Euro beziffert. Ein Hundertdreißigstel soll an die Kultur gehen. Ist sie wirklich ein so kleiner Baustein? Eine Milliarde klingt erstmal viel, aber das setzt die Kulturbranche pro Jahr locker mehrfach um.

"Das, was heute in Kunst und Kultur investiert wird, sparen wir morgen in der Sozialarbeit."
Evelyn Meining, Mozartfest-Intendantin
Es scheint sich eine Diskussion zu entwickeln, ob wir "so viel" Kultur brauchen. Das Wort "hochsubventioniert" kommt wieder in Mode.

Meining: Zuerst muss man weg vom Begriff "Subvention". Das klingt nach Alimentierung. Es geht aber um Investitionen. Sonst müsste man in vielen Bereichen der Gesellschaft von Subventionen sprechen. Kultur ist ein unverzichtbarer Baustein des menschlichen Lebens. Sie zeichnet uns aus, sie ist das einzige, was von uns bleibt. Nicht der Baumarkt, nicht der Friseursalon, nicht der Biergarten. Auch nicht die Lufthansa.

Warum ist das so schwer zu vermitteln?

Meining: Wir würden uns wünschen, dass die Politik entschiedener Position für die Kultur bezieht. Politiker sind schließlich diejenigen, die wir wählen, damit sie der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit gerecht werden. Das, was heute in Kunst und Kultur investiert wird, sparen wir morgen in der Sozialarbeit. Wenn eine Gesellschaft kulturell gebildet ist, wird sie viel weniger mit Schattenseiten wie Verrohung zu kämpfen haben. Kultur hat direkt mit mentaler Disposition zu tun. Darin liegen Chancen, die eine Gesellschaft nicht verspielen sollte.

Richtig durchgesetzt hat sich diese Einsicht bislang nicht.

Meining: Es geht darum, eine Wertegemeinschaft zu formen. Es ist schade und letztlich auch sachfremd, dass man immer wieder die Zahlen hervorholen muss: Wie groß die Branche ist, die Umsätze, wie unverzichtbar ihr Beitrag für die Wertschöpfungsketten.

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Die Krise zeigt, dass viele Künstler unter prekären Bedingungen leben. Was müsste sich ändern?

Meining: Ich bin ja in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Da hatten die Kulturschaffenden feste Arbeitsverhältnisse. Da gab es dieses eigene Risiko der Berufsausübung nicht. Wir leben jetzt in einer anderen Welt, und da greift die Marktwirtschaft auch in der Kultur. Der Markt hat nur Platz für die Allerbesten, das werden wir nicht ändern können. Die Hochschulen müssten aufhören, dieses Heer von nicht vermittelbaren Musikern zu produzieren, die sich mit kleinen Gehältern verdingen oder unfreiwillig in andere Berufe abwandern müssen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat das kürzlich wieder einmal bestätigt. Ganz abgesehen davon ist es kein Geheimnis: Statistisch gesehen verdient ein freiberuflicher Musiker laut Künstlersozialkasse gerade mal 10 000 Euro. Im Jahr.

Wenn man den Markt nicht ändern kann, was dann?

Meining: Es braucht Sicherungsnetze. In der alten DDR gab es den Kulturgroschen. Jeder, der ein Ticket löste, für welches Kulturangebot auch immer, hat zehn Pfennig mehr bezahlt. Wenn dieses System wieder eingeführt würde, könnte man einen großen Fonds ansparen, der auch für Musiker greifen würde, die in Not geraten – wie jetzt in der Corona-Krise.

Evelyn Meining (*1966) ist Dozentin für Kulturmanagement an den Musikhochschulen Mannheim und Karlsruhe - und seit der Saison 2014 Intendantin des Mozartfestes Würzburg. Ihre künstlerische Ausbildung erhielt sie an der Hochschule für Musik Dresden im Hauptfach Gesang. Nach ihrem Aufbaustudium für Kulturmanagement in Hamburg war sie u.a. Orchester- und Konzertmanagerin am Staatstheater Darmstadt und Programmdirektorin und Prokuristin beim Rheingau Musik Festival. 

Evelyn Meining im Garten des Exerzitienhauses Himmelspforten im Gespräch mit Redakteur Mathias Wiedemann.
Foto: Silvia Gralla | Evelyn Meining im Garten des Exerzitienhauses Himmelspforten im Gespräch mit Redakteur Mathias Wiedemann.
 
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