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WÜRZBURG
Wer zahlt, wenn Kinder einen Schaden anrichten?
Zertrümmerte Fensterscheibe. Kratzer im Auto. Wenn Minderjährige Unfug treiben, geht der Streit oft vor Gericht. Experten erklären, auf was Eltern achten müssen.
| Zertrümmerte Fensterscheibe. Kratzer im Auto. Wenn Minderjährige Unfug treiben, geht der Streit oft vor Gericht. Experten erklären, auf was Eltern achten müssen.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 11.12.2019 14:39 Uhr

Zertrümmert ein Sechsjähriger die Scheibe der Nachbarin mit seinem Ball oder wirft ein Neunjähriger von einer Brücke aus Steine auf ein Auto, ist er selbst nicht verantwortlich. Haben die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt, müssen sie den Schaden aus eigener Tasche bezahlen. Hat der Sechsjährige trotz angemessener Aufsicht die Scheibe eingeworden, bleibt die Nachbarin auf ihren Kosten sitzen. „Wir empfehlen daher dringend, solche Schäden über die Haftpflichtversicherung abzusichern“, sagt Simone Rzehak von der Verbraucherzentrale in Würzburg. Dazu müssen Eltern für ihren minderjährigen Sprössling entweder eine eigene Versicherung abschließen oder eventuelle Schäden über eine Familienversicherung abdecken. „Sie ersparen sich eine Menge Ärger“, fügt Rzehak hinzu.

Rechtliche Verantwortung

Kinder unter sieben Jahren können zivilrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden, sagt Dr. Anja Amend-Traut, Juraprofessorin an der Universität Würzburg. Sie gelten als nicht deliktsfähig, das heißt, ihnen fehlt die Einsichtsfähigkeit. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass sie die Tragweite ihrer Entscheidungen nicht absehen können. Geregelt ist das in Paragraph 828 des bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Im Straßenverkehr (bei Schäden im Zusammenhang mit Kraftfahrzeugen, Schienen- oder Schwebebahnen) gelten Kinder sogar bis zum zehnten Lebensjahr als nicht verantwortlich. Strafrechtlich verfolgt werden Vergehen erst ab dem 14. Lebensjahr.
 


Rat der Verbraucherschützerin

Die private Haftpflicht fungiere gleichzeitig als eine Art kleine Rechtsschutzversicherung. „Sie wehrt den Schaden ab für den Fall dass jemand an mich herantritt, obwohl ich eigentlich gar nicht oder nur teilweise haften muss“, sagt Verbraucherschützerin Rzehak. Ein Beispiel: Der Betreiber einer Baustelle hat dafür zu sorgen, dass die Gefahrenquelle ausreichend gesichert ist. Ein Schild mit der Aufschrift „Eltern haften für ihre Kinder“ entlässt ihn nicht aus seiner Verantwortung.

Ob die Eltern für die Schäden ihrer Kinder haften, hängt davon ab, ob sie „das Maß ihrer Aufsichtspflicht voll ausgeschöpft haben“, sagt Juristin Anja Amend-Traut. Aufsichtspflicht muss keine Rund-um-die-Uhr-Bewachung sein. Und die Aufsichtspflicht kann auch per Vertrag von einer Kindertagesstätte oder Schule übernommen werden. Jeder Fall werde nach Paragraph 832 BGB für sich genommen betrachtet und einzeln bewertet.

Je älter das Kind ist, desto größere Zeitabstände billigen Richter den Eltern zu, ihren Sohn oder ihre Tochter unbeaufsichtigt spielen zu lassen. Ein ein- oder zweijähriges Kind dürfe keine Minute aus den Augen gelassen werden, so Amend-Traut.

Pflichten der Eltern

Ein Beispiel: In einem kurzen unbeobachteten Moment entwischte ein zweijähriges Kind auf dem Spielplatz seiner Babysitterin, rannte zwischen parkenden Autos auf die Straße und verursachte einen Verkehrsunfall. Das Oberlandesgericht Koblenz attestierte der Frau eine Verletzung ihrer Aufsichtsplicht. Sie musste für den entstandenen Schaden haften.

Spielt ein Sechsjähriger dagegen alleine vor dem Haus, dürfen ihn seine Eltern 45 Minuten lang unbeaufsichtigt lassen. Die Mutter oder der Vater müssten allerdings in dieser Zeit alle 15 bis 30 Minuten überprüfen, ob ihr Sohn nichts anstelle. Dafür könne schon ein Blick aus dem Fenster genügen.

Fallbeispiele

Abgesehen vom Alter des Kindes entscheidet die jeweilige Situation, in der es zu dem Schaden gekommen ist, ob die Eltern ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. „Stellen Sie sich vor, eine Fünfjährige liebt Hunde und Sie wissen, sie lässt alles stehen und liegen, wenn sie einen Hund sieht“, erklärt Rzehak und fügt hinzu: „Die Kleine ist in ähnlichen Situationen auch schon mehrfach abgehauen“. In diesem Fall müsse der Aufsichtspflichtige voraussehen, dass das Kind über die Straße rennen könnte, wenn auf der anderen Seite ein Hund Gassi geführt wird. Er muss sein Kind fester an die Hand nehmen, wenn er einen Hund sieht. Er muss allerdings nicht permanent nach Hunden Ausschau halten.

Für alle Minderjährigen ab sieben (im Straßenverkehr ab zehn) Jahren gilt: Besitzt das Kind für das, was es anstellt, die nötige Einsicht? Falls ja, kann es auch zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Beispiel: Ein Zwölfjähriger sorgte in einer Schule für einen Überschwemmungsschaden, in dem er die Abflüsse verstopfte und gleichzeitig die Wasserhähne öffnete. Das Oberlandesgericht Düsseldorf nahm an, dass er die Schäden bewusst und gewollt herbeigeführt hatte. Er habe den Schaden im Großen und Ganzen vorhergesehen und geplant. Der Zwölfjährige wurde zur Rechenschaft gezogen. „Mit Rücksicht auf das Alter eine grenzwertige Entscheidung“, so Amend-Traut.

Ein anderer Fall: Ein 13–Jähriger hantierte in einer Kirche mit einem Feuerlöscher und verursachte dadurch Reinigungs- und Renovierungskosten von rund 27 000 Euro. Hier urteilte das Gericht, er habe nicht gewusst, ob sich Schaum oder Pulver in dem Feuerlöscher befinde. Er hätte daher die weitreichenden Folgen weder gewusst, noch billigend in Kauf genommen. „Die Rechtsprechung orientiert sich allein am Einzelfall. Die Entscheidung ist manchmal unberechenbar“, sagt Amend-Traut.

Cyber-Mobbing als Thema

Ein 17-Jähriger, dem ein medizinischer Gutachter bescheinigt, er sei reifeverzögert, wird unter Umständen zivilrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen. Ein 15-Jähriger, der über Whatsapp intime Bilder einer Mitschülerin versendete und vorher ein Schulseminar über soziale Medien besuchte, dagegen schon. Ebenso zur Verantwortung gezogen wurde ein Zwölfeinhalbjähriger, der unter dem Namen und Foto eines anderen auf Facebook das Profil „...Fat-Opfer“ anlegte. Der Richter betonte, der Zwölfjährige sei auf dem Gymnasium als „herausgehobene Schule“ im Unterricht über das Thema Cyber-Mobbing aufgeklärt und sensibilisiert worden.

Verbraucherzentralen helfen in Streitfällen

Gilt der Minderjährige als einsichtsfähig, kann sich die Versicherung auf den Paragraphen 103 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) berufen, erklärt Amend-Traut: Demnach muss die Police nicht für den Schaden aufkommen, wenn dieser „vorsätzlich und widerrechtlich“ herbeigeführt wird. Lehnt ein Versicherer die Zahlung ab, sollte man sich an die Beratungsstelle der Verbraucherzentrale wenden. Sie kontrollieren im individuellen Fall, ob die Ablehnung gerechtfertigt ist.

Mobbing, ungewollte Vertragsabschlüsse, urheberrechtliche Abmahnungen: Gerade im Internet lauern viele Gefahren für Kinder, sagt Rzehak. „Als wir jung waren, waren manche Kinderscherze auch kein Spaß, hatten aber noch nicht solche Auswirkungen. Man musste sie persönlich machen, nicht anonym.“

Darauf sollten Verbraucher achten

15 Millionen Euro: So hoch sollte nach Einschätzung von Simone Rzehak von der Verbraucherzentrale in Würzburg die Summe sein, bis zu der Schäden über die private Haftpflicht abgedeckt werden. Stiftung Warentest rät zu mindestens fünf Millionen Euro.

Im schlimmsten Fall müsse die Versicherung Millionenbeträge zahlen, sagt Anja Amend-Traut, Juraprofessorin an der Universität in Würzburg. Ein Beispiel: „Ein Kind setzt eine Maschine in Gang und verletzt damit einen Menschen, dem als Pflegefall eine lebenslange Leibrente zusteht.“

Bei manchen Policen fällt das Kind automatisch mit dem 18. Lebensjahr aus der Familienversicherung. Bei anderen sind Kinder bis zum Ende ihrer ersten Ausbildung, maximal aber bis zum 25. Lebensjahr bei den Eltern mitversichert.
 
 
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